Die US-Schuldenbombe tickt unerbittlich weiter
Die US-Staatsschulden geraten außer Rand und Band
US-Präsident Donald Trumps „big, beautiful bill“ könnte die Schuldenspirale weiter beschleunigen. Doch Politiker lassen es bei Lippenbekenntnissen bewenden.
Von Peter De Thier, Washington
Amerikas Staatsschulden legen rasant zu. Zwar sorgte die Ratingagentur Moody’s kürzlich für einen Weckruf, als sie die Bonität der USA herunterstufte. Die Verhaltensmuster der Politiker bleiben aber dieselben: Alle schlagen Alarm, doch unternehmen wollen sie gegen den wachsenden Schuldenturm nichts. Unterdessen zeichnen sich Rekorde ab, die noch vor zehn Jahren unmöglich erschienen: Die Zahlungsverpflichtungen des Bundes werden in vier Jahren die gesamte Wirtschaftsleistung der USA übersteigen. Nach einigen Kalkulationen liegt die Schuldenquote sogar heute schon bei über 120%.
Diskussion um Schuldenquote
Die schieren Dimensionen sind schwer nachvollziehbar. Werden die Obligationen, die von der Öffentlichkeit gehalten werden, berücksichtigt, dann liegt die Verschuldungsquote heute bei 98%. Zu den Gläubigern zählen sowohl die Fed als auch ausländische Notenbanken, andere Staaten, institutionelle sowie private Anleger. Die US-Notenbank fasst den Begriff der Staatsschulden aber deutlich weiter: Die Fed berücksichtigt auch Schulden, die der Fiskus gegenüber den Empfängern der gesetzlichen Rentenversicherung hat. Zudem zählt die Zentralbank Verpflichtungen gegenüber der staatlichen Einlagensicherung FDIC und gegenüber Kriegsveteranen. Diese „innerstaatlichen Zahlungsverpflichtungen“ sind in den letzten zehn Jahren von 4,8 auf 6,8 Bill. Dollar gestiegen. Fließen auch diese in die Kalkulationen ein, dann liegt die Schuldenquote heute schon bei 122%.
Beide Größen sind relevant, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Die Gesamtverschuldung, die um mehr als ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukt (BIP) übersteigt, entscheidet, wann das gesetzliche Schuldenlimit erreicht ist. Ökonomen betrachten hingegen die kleinere Zahl, die „von der Öffentlichkeit gehaltenen Schulden“, in anderer Hinsicht als aussagekräftiger. Diese gibt nämlich Aufschluss darüber, welche Staatsausgaben tatsächlich die Wirtschaft ankurbeln, private Investitionen verdrängen könnten und die Zinsentwicklung beeinflussen.
Gesamtwirtschaftliche Folgen
Egal, ob sie eine Schuldenquote von 122% oder 98% unterstellen, sind sich Experten über eines einig: Die Zahlungsverpflichtungen sind bereits heute ökonomisch nicht mehr tragfähig. Über das Konzept der „Tragfähigkeit“ der Zahlungsverpflichtungen wird schon seit Jahrzehnten diskutiert. Eine neue Studie der Peter G. Peterson Foundation setzt sich aber detailliert mit den gesamtwirtschaftlichen Folgen auseinander. Die nach dem gleichnamigen, früheren Handelsminister benannte Stiftung nennt drei Ursachen der extremen Schieflage bei den Staatsfinanzen: die alternde Bevölkerung, die Kostenspirale im Gesundheitswesen und die Auswirkungen der hohen Zinsen auf den Schuldendienst.
Eine bedeutende Herausforderung stellen die demografischen Veränderungen dar. Nach Angaben der Social Security Administration (SSA), die für die Berechnung und Auszahlung der gesetzlichen Rentenversicherung zuständig ist, war vor 15 Jahren jeder achte Amerikaner im Rentenalter. In weniger als fünf Jahren wird nach Schätzungen der SSA jeder fünfte US-Bürger das 65. Lebensjahr vollendet haben. Die steigende Inanspruchnahme staatlicher Leistungen – insbesondere der Krankenversicherung Medicare – wird nach Schätzungen der Behörde dazu führen, dass im Jahr 2030 die Gesundheitsausgaben des Staates 20% der Wirtschaftsleistung aufzehren.
Zinszahlungen gehen an die Substanz
Hinzu kommt, dass kein Etat-Posten des Fiskus annähernd so schnell wächst wie die Zinszahlungen auf die Staatsschuld. Zum einen wegen der Höhe der Staatsschuld, zum anderen aufgrund der hohen Zinssätze. Dies hatte zur Folge, dass der Fiskus im vergangenen Jahr für den Schuldendienst mehr ausgab als für Medicare. Nach Angaben des Congressional Budget Office (CBO) werden die Zinsen den Staat erstmals mehr als 1 Bill. Dollar kosten. Das entspricht 3,2% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und ist die höchste Quote in der Geschichte.
Als dritten Faktor nennt die Peterson Foundation die Kostenexplosion im Gesundheitssektor. Die Stiftung erwartet, dass die Gesundheitsleistungen des Staates in 30 Jahren ein Fünftel der Wirtschaftsleistung aufzehren werden. Bereits heute liegen laut OECD in den USA die jährlichen Kosten der Krankenversorgung im Schnitt bei mehr als 12.700 Dollar pro Person. In den übrigen Industrieländern hingegen betragen die Gesundheitskosten nur etwas mehr als die Hälfte, nämlich 6.850 Dollar für jeden Bürger.

Dieser perfekte Sturm aus Gesundheitskosten, steigenden Zinszahlungen und einer älter werdenden Bevölkerung könnte durch US-Präsident Donald Trumps Haushalts- und Steuergesetz weiteren Auftrieb erhalten. Laut CBO würden die Steuernachlässe, gepaart mit höheren Rüstungsausgaben und Einsparungen im Sozialbereich, in der kommenden Dekade das Haushaltsdefizit um weitere 3,8 Bill. Dollar hochtreiben.
Gegenfinanzierung sicherstellen
Folglich fordert das Committee for a Responsible Federal Budget (CRFB), dass der Kongress Gesetze verabschiedet, „die dafür sorgen, dass Ausgabenprogramme mit Maßnahmen zur Gegenfinanzierung ausgeglichen werden“. Nur so könne sichergestellt werden, „dass die Neuverschuldung sich stabilisiert und einen geringeren Teil der Wirtschaftsleistung in Anspruch nimmt“. Dazu zählt das CFRB eine Reihe von Optionen auf, die zu 700 Mrd. Dollar an Einsparungen führen könnten.
Unter anderem fordern die Budgetexperten gesetzlich vorgeschriebene Zwangseinsparungen bei Medicaid, der staatlichen Krankenversorgung für Arme im Land. Auch müsse die Autorität des Präsidenten eingeschränkt werden, bestimmte Subventionen, beispielsweise für die Agrarindustrie, eigenhändig zu verlängern. Zudem müsse die Bundesfinanzbehörde Internal Revenue Service (IRS) die Steuereintreibung verbessern. Auch könne der Fiskus an verschiedenen Stellen neue Gebühren für staatliche Leistungen erheben.
Sparmaßnahmen unverzichtbar
Ohne einen Maßnahmenkatalog aus Sparmaßnahmen, einer progressiven Steuerpolitik, besserer Steuereintreibung und differenzierten Kürzungen warnen Experten vor verheerenden Folgen. Gerade vor dem Hintergrund der hohen Zinsen könnten die Staatsschulden produktive Investitionen in die Wirtschaft verdrängen. Zu den Sorgen trägt auch die Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Zinspolitik der Fed bei. Damit könnte ein Vertrauensverlust einhergehen, der langfristig die Attraktivität von US-Staatsanleihen beeinträchtigt. Zudem könnte ein Kursverfall des Dollar die Inflation wieder befeuern. „Wer einen Beweis dafür braucht, dass wir keinen weiteren Anstieg der Schulden zulassen dürfen, der braucht nur auf den jüngsten Downgrade durch Moodys zu schauen“, sagt Stiftungspräsident Michael A. Peterson.