Britische Regierung hat wenig Geduld mit Notenbankchef Bailey
Unabhängigkeit der Notenbank hin oder her: Wer im britischen Schatzamt in Ungnade fällt, kann nicht lange an der Spitze der Bank of England stehen. Zwar macht Andrew Bailey, der 121. Gouverneur der „Old Lady of Threadneedle Street“, keinerlei Anstalten, den Chefsessel vor Vertragsende 2028 zu räumen. Doch sein Verhältnis zu Schatzkanzlerin Rachel Reeves (Labour) und ihren Beamten trübt sich zusehends ein.
Britische Regierung hat wenig Geduld mit Andrew Bailey
Von Andreas Hippin, London
Bailey hatte nicht gefallen, dass Reeves die Aufsichtsbehörden beim traditionellen Dinner vor Vertretern der Finanzbranche als „Stiefel im Nacken der Wirtschaft“ bezeichnet hatte. Bailey führte selbst eine Weile die Financial Conduct Authority (FCA), nachdem sich der flamboyante Kanadier Mark Carney im Rennen um die Spitzenposition durchgesetzt hatte.
Keine Kompromisse
Man könne dem Wachstum zuliebe keine Abstriche an der Finanzstabilität machen, sagte er vor dem Finanzausschuss des Unterhauses. „Die Erfahrung haben wir schon einmal gemacht“, fügte er hinzu – eine Anspielung auf die Finanzkrise, die durch die „Light Touch“-Regulierung der FCA-Vorgängerbehörde erst möglich wurde. Bei der grundlegenden Finanzstabilität darf es aus seiner Sicht keine Kompromisse geben.
Doch Reeves verfolgt eine Deregulierungsagenda. Sie steht unter großem Druck, mehr Wirtschaftswachstum durch Deregulierung zu ermöglichen. Denn Labour konnte geplante Kürzungen von Sozialleistungen trotz großer Mehrheit der Mandate nicht durchs Unterhaus bringen. Die Finanzbranche ist einer von acht Wachstumssektoren, die von der Regierung identifiziert wurden.
Reeves benötigt auch dringend sinkende Zinsen. Am Donnerstag wird das geldpolitische Komitee der Notenbank den Leitzins aller Wahrscheinlichkeit nach um 25 Basispunkte auf 4,0% senken. Doch die hartnäckig hohe Inflation könnte dafür sorgen, dass die Geldpolitiker die Zügel noch langsamer lockern als zuletzt erwartet. Deshalb wird es stark darauf ankommen, wie sich Bailey zur künftigen Entwicklung äußert. Davon hängt ab, wie viel Spielraum Reeves noch bleibt.
Hohe Zinsen
Schon jetzt machen ihr die höheren Kosten für den Schuldendienst schwer zu schaffen. Das „Quantitative Tightening“ beschwert der Staatskasse enorme Verluste. Man würde Bailey wohl nur allzu gerne los. Doch er gilt in der Bank of England, bei der die Bankenaufsicht PRA (Prudential Regulation Authority) angesiedelt ist, als „einer von uns“. Vor seinem Abstecher zur FCA hatte er mehr als 30 Jahre in den festungsartigen Gewölben der Notenbank verbracht. Nicht einmal Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng hätten es gewagt, ihn zu feuern.
„Sexy Schildkröte“
Carney nannte den Cambridge-Absolventen angeblich einmal eine „große sexy Schildkröte“. In seiner Doktorarbeit befasste sich der Historiker mit den Auswirkungen der Napoleonischen Kriege auf die Textilwirtschaft von Leicester.
Die prominente City-Aktivistin Gina Miller legte vor fünf Jahren eine Petition vor, in der eine Überprüfung seiner Ernennung zum Nachfolger Carneys gefordert wurde. Der Finanzausschuss des Unterhauses und die Regierung dürften die vom ehemaligen Schatzkanzler Sajid Javid getroffene Personalentscheidung nicht einfach abnicken, heißt es darin. Taten sie aber.
Der ehemalige Deutschbanker Sajid Javid hatte Bailey dem „Spectator“ zufolge gegen andere Kandidaten wie den von Boris Johnsons Strategen Dominic Cummings favorisierten Chefvolkswirt der Notenbank, Andrew Haldane, durchgesetzt. Cummings traute Haldane angeblich mehr kreatives und flexibles Denken zu. Javid wollte dagegen einen erfahrenen Veteranen, der im Durcheinander rund um den Brexit nichts anbrennen lässt.
Erfahrener Veteran
Vor ihrer Petition hatte Miller bereits eine 36-seitige Kampfschrift unter dem Titel „Am Steuer eingeschlafen“ vorgelegt. Darin breitet sie Pannen aus, die sich unter Baileys Führung bei der FCA zugetragen haben. Die Zahl und das Ausmaß der Fehler seien „symptomatisch für seinen Mangel an Kompetenz und Integrität“, schrieb Miller.
Durch die Entscheidung für Bailey schaffte es in der mehr als 330-jährigen Geschichte der Bank of England immer noch keine Frau an die Spitze. Nun wäre ein geeigneter Zeitpunkt für Interessentinnen, sich warmzulaufen. Unverhofft kommt oft.