Im PortraitClara-Christina Streit

Strategin mit Allergie gegen egoistische Manager

Clara-Christina Streit soll bald die Deutsche Börse überwachen. Die Deutsch-Amerikanerin ist aber weit mehr als eine Kontrolleurin. Wie sie ihren Job interpretiert und was sie bei Managern gar nicht leiden kann.

Strategin mit Allergie gegen egoistische Manager

Strategin mit Allergie
gegen egoistische Manager

Von Philipp Habdank, Frankfurt

Die Papstwahl benötigte vier Wahldurchgänge. Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz brauchte überraschend zwei Anläufe. Unspektakulär dagegen dürfte diese Woche die Wahl von Clara-Christina Streit erfolgen. Es gilt als ausgemachte Sache, dass sie im Anschluss an die Hauptversammlung von Deutschlands größtem Börsenbetreiber an die Spitze des Aufsichtsrats gewählt wird. Ihre Wahl soll in einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung erfolgen, die unmittelbar im Anschluss an die Hauptversammlung einberufen wird.

Ihren privaten Lebensmittelpunkt hat die 56-jährige Deutsch-Amerikanerin in Portugal. Die Deutsche Börse kennt sie aber in- und auswendig. Nicht nur, weil sie schon immer eine Passion für Börsenthemen gehabt hat und Fan der Deutschen Börse ist. Sie begleitet das Unternehmen auch beruflich schon seit Anfang der 90er Jahre. Damals war sie noch bei der Strategieberatung McKinsey und beriet die Börse beispielsweise bei deren eigenem Börsengang oder bei Übernahmen.

Sparringspartner für neue Strategie der Deutschen Börse

Seit 2019 sitzt sie im Aufsichtsrat. An dem Börsenmandat gefällt ihr, dass es um Wachstum und nicht um Restrukturierung geht. In dem Erfolg der Vergangenheit liegt für Streit und ihren neuen CEO Stephan Leithner gleichzeitig aber auch das größte Risiko. Das Wachstum der vergangenen Jahre aufrechtzuerhalten ist nicht einfach und für das neue Führungsduo wahrscheinlich die größte Herausforderung überhaupt. Die Fallhöhe ist enorm.

Bis 2026 ist die Strategie „Horizon“ gesetzt. Doch danach muss es weitergehen. Die neue Strategie auszuarbeiten liegt in Deutschland in der Verantwortung des Vorstands. Streit hat sich jedoch den Ruf erworben, ihr Aufsichtsratsmandat aktiv zu interpretieren. Daraus macht sie selbst auch keinen Hehl: „Aufsichtsräte kontrollieren nicht mehr vor allem, wir beraten und geben Impulse“, sagte sie selbst in einem Interview mit dem „Handelsblatt“. Ein moderner Aufsichtsrat ist nach diesem Verständnis mehr Sounding Board als Kontrollgremium.

Mehr als Überwachung

Die Kontrollaufgaben sind die Pflicht, die jeder Aufsichtsrat erfüllen muss. Die Kunst besteht darin, gleichzeitig ein effektiver Sparringspartner für den Vorstand zu sein. Um das zu schaffen, muss es einem Aufsichtsratschef gelingen, seine Aufsichtsratskollegen so zusammenzubringen, dass sie für das Unternehmen produktiv werden, obwohl das nicht ihr Hauptjob ist. Bei der Deutschen Börse dürfte das leichter funktionieren als anderswo. Das Selbstverständnis dort gilt weniger als bewahrend oder beschützend, sondern stärker nach vorn gerichtet.

Durch viele internationale Aufsichtsratsmandate hat Streit Erfahrung gesammelt, verschiedene Systeme gesehen und gilt als moderne Aufsichtsrätin. Es ist für sie sehr wichtig, dass die persönlichen Interessen der Vorstände eng an den Erfolg der Unternehmensstrategie geknüpft sind. Sie gilt daher als Verfechterin von Vergütungssystemen, welche die Strategieumsetzung maximal unterstützen. Das Vergütungssystem der Deutschen Börse wurde für dieses Jahr unter Streits Mitwirken frisch überarbeitet und soll von den Aktionären bei der Hauptversammlung abgesegnet werden.

Was Clara-Christina Streit bei Vorständen nicht leiden kann

Streit ist eine langfristig denkende Strategin. Oberflächlich mag sie bisweilen ungeduldig wirken, doch ihr Umfeld attestiert ihr in Wirklichkeit einen sehr langen Atem. Ungemütlich wird sie vor allem dann, wenn Führungskräfte ihre eigenen Interessen vor die des Unternehmens stellen. Stellt Streit hier ein strukturelles Thema fest, schätzt sie das gar nicht. Sie ist mit Herzblut dabei, ihre Aufsichtsratsmandate sind ein Vollzeitjob. Auch wenn ihre Arbeitszeiten heute natürlich nicht mehr mit ihrer aktiven McKinsey-Zeit zu vergleichen sind.

Neben der Deutschen Börse sitzt Streit auch noch dem Aufsichtsrat des Wohnungsbaukonzerns Vonovia vor. Neben Joe Kaeser und Frank Appel ist sie damit aktuell im deutschen Aktienleitindex die einzige Aufseherin mit zwei Chefposten gleichzeitig. Ihre übrigen Aufsichtsratsmandate hat Streit für diese beiden Posten zurückgefahren, denn nebenbei ist sie auch noch Chefin der deutschen Corporate Governance Kommission – jenes Ausschusses, der in Deutschland langfristig die strategischen Weichen für gute Unternehmensführung stellt.

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