Dekarbonisierungsbranche hofft auf politischen Rückenwind
Dekarbonisierungsbranche hofft auf Politik
sar Frankfurt
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Wenn Unternehmen über Umweltkennzahlen sprechen, ist der CO2-Fußabdruck eine oft zitierte Größe. Um ihn zu verringern, ist der beste Weg, CO2 möglichst zu vermeiden. Wo das nicht geht, setzen Unternehmen beispielsweise auf CO2-Zertifikate, um den Ausstoß zu kompensieren. Noch einen Schritt weiter gehen Projekte für Negativemissionen, bei denen zusätzliches CO2 aus der Atmosphäre entnommen wird. „Die Investitionen in CO2-Entnahmen lagen nach unseren Daten im ersten Halbjahr 2025 deutlich über dem Vorjahreszeitraum“, sagt Magnus Drewelies, Gründer und CEO der CO2-Zertifikateplattform Ceezer. Die steigende Aktivität stehe im Kontrast zur Stimmung. „In Politik und Wirtschaft wird weniger über ESG-Themen gesprochen – umso wichtiger ist es, dass die Aktivitäten weitergehen.“
Wenig standardisierte Branche
Ceezer ist eine digitale Plattform, die Informationen über den freiwilligen Kohlenstoffmarkt bündelt. Unternehmen können darüber Projekte für ihre CO2-Portfolios beschaffen und verwalten. Ein wissenschaftliches Beratergremium soll sicherstellen, dass die Projekte dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen. Der Aufwand sei wichtig, um Vertrauen aufzubauen. „Die Branche ist sehr jung, vieles ist nur wenig standardisiert oder reguliert“, sagt Drewelies, der sein Unternehmen vor vier Jahren gegründet hat.
Der Ruf der Branche ist angekratzt. Wiederholt machten CO2-Zertifikate in den vergangenen Jahren Negativschlagzeilen, weil Projekte die versprochenen Emissionsreduktionen nicht liefern konnten. „Wir wollen Skeptikern mit Transparenz begegnen“, sagt Drewelies. Für jedes Projekt biete Ceezer bis zu 500 Datenpunkte an. „Viele Kunden haben mittlerweile selbst Listen mit Dutzenden Kriterien, die sie abprüfen. Auch Ratingprovider schauen sich das Thema an.“ Das Geschäft werde insgesamt professioneller.
Verband setzt sich für Dekarbonisierung ein
Um die Interessen der Industrie besser zu vertreten, hat Drewelies mit gut einem Dutzend Mitstreitern 2023 den Deutschen Verband für negative Emissionen (DVNE) gegründet. Ansätze zur CO2-Entnahme, auch bekannt als Carbon Dioxide Removal (CDR), gibt es unterschiedliche. Verbreitet sind CO2-Abscheidung und -Speicherung aus der Luft, über Bioenergie oder Pflanzenkohle. Der Bereich entwickle sich bei Ceezer gerade rasant, sagt Drewelies: „Vor vier Jahren sind vielleicht 3% der Investitionen in CO2-Entnahme geflossen, heute sind es fast 50%.. Technologisch gebe es mittlerweile ein deutlich breiteres Angebot an Entnahmetechnologien.
Politisches Signal
Auch wenn einige der DVNE-Mitglieder Wettbewerber sind, arbeiten sie im Verband zusammen. „Wenn das Thema ins Bewusstsein rückt, profitieren wir alle“, sagt Drewelies. Er sieht in Deutschland politische Initiativen, die ihm Hoffnung machen: „Wir hören aus den Ministerien, dass großes Interesse am Thema Dekarbonisierung besteht“, sagt der 35-Jährige. Noch unter der Ampel-Regierung wurde eine „Langfriststrategie Negativemissionen“ initiiert. Es gebe Signale, dass das Thema auch unter der neuen Regierung weiterverfolgt werde. „Wenn eine Langfriststrategie verabschiedet würde, wäre das ein Riesenschritt“, sagt Drewelies. Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung sei ein Budget für CO2-Entnahmezertifikate vorgesehen. „Das ist ein Signal, das dem Thema zu mehr Sichtbarkeit verhilft“, ist Drewelies sicher. Auch unternehmerisch könnte dies Rückenwind bringen. Drewelies gründete sein Startup nach beruflichen Stationen bei der Unternehmensberatung BCG sowie als Chief Strategy Officer bei Park Now, einem Mobilitäts-Joint Venture von BMW und Daimler. Für Klimathemen hat er sich schon während des Studiums interessiert. „Ich wollte an die Schnittstelle von Wirtschaft und Chemie, da kam ich schnell auf Cleantech.“
Dennoch entschied er sich zunächst für den Einstieg in der Unternehmensberatung. „Der Cleantech-Markt war einfach noch sehr jung. In der Beratung konnte ich mit damit befassen, wie sich ESG-Themen in der Breite in das Wirtschaftssystem integrieren lassen“, berichtet er. Dabei fiel ihm auf, dass zwar viele Unternehmen Pläne zur Dekarbonisierung hatten – „aber die Ziele waren in vielen Fällen kaum zu erreichen“. Als Chief Strategy Officer bei Park Now habe er dann selbst über CO2-Kompensationen nachgedacht und die Perspektive seiner heutigen Kunden eingenommen. Mittlerweile zählt Ceezer dem CEO zufolge mehr als 60 Beschäftigte, im vergangenen Jahr sammelte das Startup in einer Series-A-Finanzierungsrunde gut 10 Mill. Euro ein.
Präsenz am US-Markt
Seit dem vergangenen Jahr hat Ceezer auch ein Büro in den USA. „Da führen wir auch viele Gespräche zum Marktsentiment“, berichtet Drewelies. Zwar werde in den USA kaum öffentlich über ESG-Themen gesprochen, dennoch verzeichne Ceezer steigendes Interesse an Lösungen zur Dekarbonisierung. „Das geschieht nicht unbedingt aus Überzeugung, sondern aus Risikomanagementgründen“, sagt Drewelies. Bei Fondsmanagern und Private-Equity-Investoren gehe es zunehmend darum, Klimarisiken im Portfolio abzusichern und damit wirtschaftliche Risiken abzuwenden, beobachtet Drewelies. „Die Notwendigkeit zur Dekarbonisierung bleibt – unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt.“