Energieversorgung

Gaskrise erfordert besondere Vereinbarungen

Energiekostensprünge, drohende Gasrationierungen und die Gefahr von Produktionsstopps werfen juristische Fragen auf. Welche rechtlichen Implikationen die Gaskrise mit sich bringt.

Gaskrise erfordert besondere Vereinbarungen

Von Till Mahler*)

Die Kostenexplosionen bei Strom und Gas bringen immer mehr Unternehmen und Privathaushalte ernsthaft in finanzielle Bedrängnis. Verschärft sich die Lage im Winter gar durch die Rationierung von Gas, werden sich daraus noch weit größere Probleme ergeben. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, warnt bereits vor wiederkehrenden Engpässen bei Gas.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat die „Alarmstufe“ aus­gerufen und damit die zweite Stufe des Notfallplans Gas. Es droht die Feststellung­ der „Notfallstufe“. Aus Unternehmensperspektive ein Schreckensszenario, denn dann droht die Rationierung von Gas bis hin zu Abschaltungen.

Für viele Unternehmen könnten Auseinandersetzungen mit ihren Energieversorgern und – im Falle der Rationierung – auch mit ihren Kunden, mit der Bundesnetzagentur und mit ihrer Versicherung die Folge sein. Diese einvernehmlich zu lösen, statt zu streiten, sollte das Mittel der Wahl sein.

Versorger begründen die Preiserhöhungen oftmals mit einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage. Die Rede ist auch von höherer Gewalt, die es rechtlich betrachtet erlauben würde, sich auf Force-majeure-Klauseln zu berufen. Eben darauf können die Versorger die Preiserhöhungen in der aktuellen Situation aber nicht stützen. Denn um Force majeure annehmen zu können, muss die Lieferfähigkeit vorübergehend unmöglich oder erheblich erschwert sein aus Gründen, die vom Lieferanten nicht beeinflusst werden können. Dies kann bei der Rationierung von Gas der Fall sein, nicht jedoch bei Preissteigerungen. Höhere Gewalt rechtfertigt also allenfalls die vorübergehende Aussetzung der Belieferung, nicht aber Preiserhöhungen.

Das im Mai 2022 in Kraft getretene novellierte Energiesicherungsgesetz sieht zwar in § 24 für die Versorger außerordentliche Preisanpassungsrechte vor. Allerdings sollen diese erst greifen dürfen, wenn die Bundesnetzagentur erheblich verringerte Gesamtgasimporte feststellt, nicht schon automatisch mit Ausrufung der Alarm- oder Notfallstufe nach dem Notfallplan Gas.

Grundsätzlich tragen die Versorger das Preis- und Beschaffungsrisiko für die Energieressourcen, die sie verarbeiten bzw. verkaufen. Daher ist schon fraglich, ob die Geschäftsgrundlage durch die erhöhten Kosten der Versorger überhaupt so schwerwiegend gestört ist, dass ihnen die Fortsetzung der Belieferung nicht mehr zumutbar ist. Üblicherweise bleibt die Belieferung zumutbar, da die Gründe für die Preissteigerungen, abgesehen von der Rationierung von Gas, allesamt in der Sphäre des Lieferanten liegen. Bei Steigerungen, wie sie aktuell vorkommen, könnte die Grenze der Zumutbarkeit aber ausnahmsweise überschritten und die Geschäftsgrundlage tatsächlich gestört sein.

Keine Erhöhung bei Garantie

Haben die Versorger eine Preisgarantie übernommen, scheiden Preiserhöhungen erst einmal aus. Selbst wenn eine gravierende Störung bei der Zulieferung gegeben ist, dürfen die Versorger vertraglich garantierte Preise nicht erhöhen.

Auch ohne Garantie dürfen die Versorger die Preise im Fall der Störung der Geschäftsgrundlage nicht einseitig erhöhen, sondern es steht ihnen nur ein Recht auf Anpassung des Vertrags zu. Die neuen Preise werden erst mit einer einvernehmlichen Vertragsänderung wirksam.

Unternehmen werden – und sollten – einer Vertragsanpassung daher zunächst nicht zustimmen. Neben dem Widerspruch gegen die Preiserhöhung sollten sie den Versorger darauf hinweisen, dass die Einstellung der Energieversorgung gravierende Schäden zur Folge hätte, und hinsichtlich einer Anpassung der Preise Gesprächsbereitschaft signalisieren. Sie sollten den bisher geltenden Preis weiter bezahlen, allerdings vorsorglich etwaige Einzugsermächtigungen widerrufen.

Sich der Vertragsanpassung komplett verweigern, sprich sie schlichtweg ignorieren, darf ein Unternehmen indessen nicht. Umgekehrt darf der Versorger die Belieferung dann nicht einstellen, wenn das Unternehmen ein zumutbares Angebot auf Erhöhung der Preise gemacht hat.

Bis neue Vertragskonditionen vereinbart sind, bleibt die rechtliche Grundlage der Energieversorgung unsicher. Diese Unsicherheit der Vertragsgrundlage sollten Unternehmen möglichst schnell beenden, indem sie versuchen, mit dem Versorger einvernehmlich eine wirtschaftliche Lösung zu vereinbaren. So könnten höhere Preise gegen eine Verlängerung der Laufzeit akzeptiert werden.

Wichtig zu beachten für Unternehmen ist auch, dass der Versorger unter Umständen berechtigt ist, den Vertrag zu kündigen, wenn tatsächlich eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, sofern eine Anpassung des Vertrags nicht möglich ist. Einen neuen Versorger zu finden, dürfte in der aktuellen Situation schwierig sein.

Gegen den Versorger zu klagen, ist zwar eine Alternative zur einvernehmlichen Lösung. Am Ende der gerichtlichen Auseinandersetzung steht dann zwar fest, ob die Versorger die Vertragsanpassung tatsächlich mit einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage begründen durften. Im Zweifel hat sich die wirtschaftliche Lage bis dahin aber verschlechtert, und im Falle einer Niederlage kommen auf das Unternehmen neben den Nachzahlungen auch noch die Prozesskosten zu.

Schadenersatzpflicht droht

Wenn Unternehmen ihre Produktion wegen der Preissteigerungen oder einer Rationierung von Gas durch die Bundesnetzagentur einstellen müssen, können sie sich gegenüber ihren Kunden schadenersatzpflichtig machen. Denn auch insoweit ist unklar, ob sie sich gegenüber ihren Kunden auf höhere Gewalt oder Störung der Geschäftsgrundlage berufen können.

Steht ein Stillstand der Produktion bevor, sollten Unternehmen alle Kunden, gegenüber denen sie bereits zur Lieferung verpflichtet sind, rechtzeitig informieren. Dadurch können sie ihren Verschuldensanteil reduzieren, sollte der Kunde später wegen Nichtlieferung Schadenersatz geltend machen. Beim Abschluss von neuen Verträgen sollten sich die Unternehmen ein Sonderkündigungsrecht für den Fall einer Produktionseinstellung aufgrund der kritischen Versorgungslage vorbehalten.

Die Gasrationierung durch die Bundesnetzagentur kann bei kurzfristiger Abschaltung zu Schäden in der Produktion führen, beispielsweise an Öfen oder den gerade in Bearbeitung befindlichen Produkten, wenn keine Bevorratung von Gas möglich ist und die Produktion nicht rechtzeitig gestoppt werden kann. Die Deckung solcher Schäden durch die Versicherung kann in Frage stehen, da die Abschaltung der Versorgung nicht notwendig ein unvorhersehbares Ereignis ist. Auch hier sollten die Unternehmen mit der Bundesnetzagentur und ihrer Versicherung ins Gespräch gehen und entsprechende Vereinbarungen treffen.

Beispielsweise könnten die Unternehmen mit der Bundesnetzagentur Abschaltzeiten vereinbaren, die nicht unterschritten werden dürfen, um die Produktion rechtzeitig und ohne Schäden stoppen zu können. Mit ihrer Versicherung könnten die Unternehmen beispielsweise vereinbaren, dass ein unvorhersehbares Ereignis vorliegt, wenn diese Abschaltzeiten doch nicht eingehalten werden.

Wenn die Unternehmen wegen der Produktionseinstellung tatsächlich nicht mehr voll lieferfähig sind, können sie im Wege der Allokation die verfügbaren Produkte auf ihre Kunden verteilen. Das bedeutet, dass sie die Produkte nach bestimmten Kriterien verteilen. Dies geschieht üblicherweise quotal, es sind aber auch andere Kriterien denkbar. Unternehmen sollten die von ihnen verwendeten Kriterien dokumentieren und ihre Kunden entsprechend informieren. Abhängig vom Marktanteil der Unternehmen ist dieses Vorgehen kartellrechtlich zulässig, solange die Verteilung auf sachlichen Gründen und nicht auf Willkür beruht.

Vor Schadenersatzansprüchen der Kunden, die nicht voll bedient werden können, schützt dies jedoch nicht unbedingt, es sei denn, es lässt sich belegen, dass höhere Gewalt oder eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt. Auch hier gilt es, Auseinandersetzungen dadurch zu vermeiden, dass die Unternehmen mit ihren Kunden sprechen, die Situation erklären, gemeinsam Lösungen finden und Vereinbarungen treffen.

*) Dr. Till Mahler ist Partner der Kanzlei Menold Bezler in Stuttgart.

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