Berlin verschärft Investitionskontrolle
Von Dimitri Slobodenjuk und Thomas Voland *)Ist Deutschland noch ein guter Standort für Investitionen? Diese Frage dürften sich vor allem ausländische Investoren gestellt haben, als die Bundesregierung am 19. Dezember eine weitere Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) beschlossen hat. Die neue AWV soll voraussichtlich Anfang 2019 in Kraft treten.Bislang konnte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) nach der AWV prüfen, ob die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet wird, wenn ein Erwerber von außerhalb der EU mindestens 25 % der Stimmrechte an einem inländischen Unternehmen erwirbt und das inländische Unternehmen in einem sicherheitsrelevanten Bereich tätig ist (sektorübergreifende Prüfung). Sicherheitsrelevant sind insbesondere kritische Infrastrukturen aus den Bereichen Energie, Wasser, Telekommunikation, Finanzwesen, Gesundheit, Transport und Ernährung. Weitere sicherheitsrelevante Bereiche betreffen sogenannte branchenspezifische Software zum Betrieb von kritischen Infrastrukturen bzw. bestimmte Cloud-Computing-Dienste. Eine Eingriffsmöglichkeit besteht ferner bei Transaktionen, in denen ein nicht-deutscher, aber gegebenenfalls in der EU ansässiger Erwerber mindestens 25 % der Stimmrechte an einem inländischen Unternehmen erwirbt, welches in bestimmten verteidigungsrelevanten Bereichen, wie etwa Waffenherstellung oder Verschlüsselungstechnologien, tätig ist.Die neue AWV senkt die Eingriffsschwelle nun für beide Verfahrensarten von 25 % auf 10 % der Stimmrechte ab. Faktisch kann sogar ein noch geringerer Stimmrechtsanteil die Investitionskontrolle auslösen, da bei mittelbaren Anteilserwerben eine volle, ungewichtete Zurechnung aller Anteile in der Beteiligungskette erfolgt.Hintergrund der neuen Regelung ist die steigende Zahl von Übernahmen von und Beteiligungen an deutschen Unternehmen durch ausländische Investoren. Dies gilt insbesondere für chinesische Erwerber. Allein im Jahr 2017 prüfte das BMWi insgesamt 66 Übernahmen, wobei in 30 Verfahren chinesische Investoren involviert waren. Zwar dürfte die Zahl der Verfahren mit chinesischer Beteiligung in 2018 leicht gesunken sein. Aus Sicht der Bundesregierung ist sie aber anscheinend immer noch so hoch, dass eine weitere Verschärfung der AWV als notwendig erachtet wurde. Die letzte Verschärfung der AWV liegt nur etwas mehr als ein Jahr zurück, als die Bundesregierung im Sommer 2017 beschloss, den Anwendungsbereich der AWV sowie die entsprechenden Prüffristen erheblich zu verschärfen. Verunsicherung im MarktDoch die Absenkung der Eingriffsschwelle ist nicht die einzige Änderung. Vielmehr stuft die Bundesregierung nunmehr auch deutsche Medienunternehmen als sicherheitsrelevant ein. Dadurch nimmt sie die ebenfalls voraussichtlich Anfang 2019 in Kraft tretende EU-Verordnung zum “Investment Screening” vorweg, die den Medienbereich als sensibel einstuft. Die Regierung begründet diese Änderung damit, dass sich der Medienbereich erhöhtem Druck auf die eigene Unabhängigkeit ausgesetzt sehe. Dieser Druck folge aus Versuchen ausländischer Beeinflussung im Rahmen “vielgestaltiger, hybrider Bedrohungen”. Dazu zähle insbesondere die Nutzung von deutschen Medienorganen, die (teilweise) durch ausländische Investoren übernommen würden, für Zwecke der Desinformation.Die Bundesregierung betont zwar weiterhin, dass Deutschland ein attraktiver Standort für ausländische Direktinvestitionen bleiben solle. Die jüngsten Entwicklungen, auch vor der Verschärfung der AWV, dürften aber zu einer Verunsicherung bei ausländischen Investoren geführt haben. So hatte die Bundesregierung schon vor der jüngsten AWV-Novelle im Sommer 2018 eine Investition in das westfälische Unternehmen Leifeld verhindert. Leifeld Metal Spinning, ein deutscher Hersteller von besonders festen Materialien für die Luft- und Raumfahrt, sollte durch den chinesischen Investor Yantai Taihai übernommen werden. Da jedoch die Produkte von Leifeld Metal Spinning nach Erkenntnissen der Bundesregierung auch im Nuklearbereich eingesetzt werden konnten, wurde das BMWi von der Bundesregierung ermächtigt, die Übernahme zu untersagen. Zu einer formalen Untersagung kam es jedoch nicht mehr, da Yantai Taihai den Antrag auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung mangels Erfolgsaussichten zurückzog. Der Leifeld-Fall sowie das Vorgehen der Bundesregierung in anderen Situationen, zum Beispiel die Intervention in Bezug auf die letztlich gescheiterte Übernahme von 50Hertz durch State Grid, zeigen, dass es die Bundesregierung durchaus ernst meint. Die Absenkung der Eingriffsschwelle auf 10 % der Stimmrechte und die Erstreckung der sektorübergreifenden Prüfung auf Medienunternehmen unterstreichen diesen Befund.Aus sicherheitspolitischer Sicht lässt sich nachvollziehen, dass Deutschland eigene strategische Industrien vor Übernahmen durch ausländische Investoren schützen möchte, insbesondere, wenn ausländische Investoren staatlich kontrolliert sind. Allerdings könnte die erneute Verschärfung der AWV über dieses Ziel hinausschießen. Da die Eingriffsschwelle pauschal für alle ausländischen Investoren gilt, kann sich die Investitionskontrolle nicht nur auf asiatische Investoren mit staatlicher Kontrollbeteiligung erstrecken, sondern beispielsweise auch auf nordamerikanische Pensionsfonds, die rein passive Beteiligungen an deutschen Unternehmen erwerben möchten.Dieser Befund dürfte im Zuge des Brexits weiter an Bedeutung gewinnen. Denn sobald das Vereinigte Königreich die EU und die Zollunion verlässt, gelten sämtliche Investoren mit Sitz im Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs, insbesondere die Private-Equity-Häuser, die ihren Sitz häufig auf den Kanalinseln oder der Isle of Man haben, als Nicht-EU-Erwerber. Sie würden damit ebenfalls in den persönlichen Anwendungsbereich der AWV fallen. Damit dürfte die Anzahl der prüfungsrelevanten Erwerbsvorgänge weiter steigen.Es bleibt abzuwarten, in welchem Maße das Bundeswirtschaftsministerium von den neuen Befugnissen Gebrauch machen wird. Im Sinne einer offenen, global vernetzten Volkswirtschaft wäre es wünschenswert, wenn das BMWi seinen Spielraum mit Augenmaß einsetzen würde, um Investitionen in Deutschland nicht unnötig zu erschweren oder gar zu verhindern.Das Gleiche gilt auch für die Verfahrensführung, die bislang aus Sicht der Unternehmen wenig transparent ist und teilweise von politischen Überlegungen beeinflusst wird. Hierzu enthält die AWV-Novelle – anders als ursprünglich vorgesehen – leider keine klarstellenden Regelungen. Damit bleibt es bei der bisherigen Möglichkeit, dass die tatsächliche Prüffrist des BMWi die gesetzlich vorgesehenen sechs Monate überschreiten kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die beteiligten Ministerien im Rahmen der Prüfung immer neue Fragen stellen und die Frist für die vertiefte Prüfung aus diesem Grund zu laufen beginnt. Die Prüffrist wird ferner gehemmt, wenn das BMWi im Rahmen des Prüfverfahrens mit den am Erwerb beteiligten Unternehmen Verhandlungen über vertragliche Regelungen zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland führt. Aufgrund der damit verbundenen Rechtsunsicherheit wird die Transaktionsplanung nicht unerheblich erschwert. Top-Punkt auf der AgendaDie Investitionskontrolle bleibt damit weiterhin ganz oben auf der politischen Agenda. Dies gilt allerdings nicht nur für Deutschland, sondern auch für die USA, wo kürzlich die entsprechenden Regelungen zu Investitionen aus dem Ausland verschärft wurden. Auch die EU hat eine politische Einigung auf ein “Investment Screening” erzielt und plant, bis Mitte nächsten Jahres konkrete Regelungen dafür zu erarbeiten. Vor diesem Hintergrund bleibt zu hoffen, dass die wirtschaftliche Entwicklung nicht wegen derartiger Eingriffsmöglichkeiten gehemmt wird.—-*) Dr. Dimitri Slobodenjuk ist Counsel, Dr. Thomas Voland ist Partner im Düsseldorfer Büro von Clifford Chance.