RECHT UND KAPITALMARKT – IM INTERVIEW: PHILIPP ESSER

Praxis muss Konzerninsolvenzrecht noch mit Leben füllen

Mehr Sicherheit und innovativ, aber punktuell sehr weich und ungenau

Praxis muss Konzerninsolvenzrecht noch mit Leben füllen

– Herr Dr. Esser, was ist das Ziel des neuen Konzerninsolvenzrechts? Mit der Reform sollen die einzelnen Insolvenzverfahren verschiedener Gesellschaften innerhalb eines Konzerns – wie etwa im Fall von Air Berlin – bei einem Gericht mit einem Richter und einem Verwalter konzentriert werden. Das wurde zwar auch schon bislang in der Praxis häufig so versucht. Doch erst jetzt sind die notwendige Rechtssicherheit und Planbarkeit in weiten Bereichen hergestellt. – In weiten Bereichen? Es gibt also noch Verbesserungspotenzial?Ja, denn bei einzelnen Punkten wurde ein sehr weicher Regelungsansatz gewählt, der auf die freiwillige Mitwirkung der Beteiligten setzt. So wird sich etwa beim innovativen Koordinationsverfahren für Konzerninsolvenzen erst zeigen, ob die neuen Vorschriften überhaupt praxistauglich sind.- Wie sehen die wesentlichen Neuerungen des Konzerninsolvenzrechts aus?Der Gesetzgeber hat mit dem Gruppen-Gerichtsstand einen Wahlgerichtsstand geschaffen. Dieser kann am Ort jeder insolventen Konzerngesellschaft beantragt werden – außer, die Gesellschaft ist offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die Unternehmensgruppe. Zudem legt der Gesetzgeber den Gerichten nahe, für alle Konzerngesellschaften denselben Insolvenzverwalter zu bestellen. Zwingend ist dies aber nicht. Hier sind wir also wieder beim weichen Regelungsansatz. Der umfasst auch die Ausgestaltung der Kooperationspflichten der Beteiligten, wenn unterschiedliche Gerichte verschiedene Verwalter für die Konzerngesellschaften bestellen.- Bleibt das Konzerninsolvenzrecht also hinter den Erwartungen zurück?Nein, es bringt auf jeden Fall mehr Sicherheit bei der Sanierung eines Konzerns – bei der Planung und der Umsetzung. Allerdings wird eine Konzerninsolvenz damit allein noch nicht zum Selbstläufer. Speziell dann, wenn unterschiedliche Verwalter sich hinter die Interessen ihres Verfahrens zurückziehen und nicht kooperieren. Es hängt also viel davon ab, wie die Praxis und die Gerichte das neue Recht anwenden, das ja in Europa im letzten Jahr zeitgleich mit ganz ähnlichen Bestimmungen in der Europäischen Insolvenzverordnung eingeführt wurde. – Beim Konzerninsolvenzrecht dreht sich vieles um Koordination, auch beim neuen Gruppen-Gläubigerausschuss. Was verbirgt sich dahinter? Der Gruppen-Gläubigerausschuss soll die Verwalter und Gläubigerausschüsse in den einzelnen Verfahren insolventer Konzerngesellschaften unterstützen und damit die Abstimmung zwischen den Verfahren erleichtern. Er hat primär eine koordinierende Funktion und weniger Mitwirkungs- und Entscheidungsbefugnisse als ein Ausschuss im Einzelverfahren. – Wird es bei Konzerninsolvenzen künftig immer einen Gruppen-Gläubigerausschuss geben?Nein, einen Gruppen-Gläubigerausschuss gibt es nur dann, wenn ihn ein Gläubigerausschuss im Einzelverfahren beantragt. Allerdings nur, wenn das Einzelverfahren nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die Unternehmensgruppe ist. Der Gruppen-Gläubigerausschuss kommt also nicht automatisch. Am Ende ist es dann aber eine Kosten-Nutzen-Abwägung des Gerichts.- Welche Herausforderungen stellen sich für den Gruppen-Gläubigerausschuss?Die Höchstzahl der Mitglieder ist nicht festgelegt. Dadurch steigt die Gefahr, dass ein Gruppen-Gläubigerausschuss mit sehr vielen Mitgliedern nur teuer, aber nicht mehr handlungsfähig ist. – Für Banken dürfte der Gruppen-Gläubigerausschuss von großer Bedeutung sein?Ja, denn Konzerninsolvenzen sind häufig Großverfahren. Banken sind als typische Großgläubiger gut beraten, die ihnen zustehenden Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen – auch im neuen Gruppen-Gläubigerausschuss. —-*) Dr. Philipp Esser ist Rechtsanwalt im Geschäftsbereich Internationale Sanierungsberatung von Schultze & Braun. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.