Marktinfrastruktur

Chaostage an der London Metal Exchange

Matthew Chamberlain wird es wohl nicht bereuen, kommenden Monat den Chefsessel der London Metal Exchange mit dem der Kryptofirma Komainu zu tauschen. Die Börse steht vor einem Scherbenhaufen.

Chaostage an der London Metal Exchange

Von Andreas Hippin, London

Die London Metal Exchange (LME) hat nach dem von einem chinesischen Stahlbaron verursachten Chaos im Nickelhandel der vergangenen Wochen ein Glaubwürdigkeitsproblem. CEO Matthew Chamberlain hätte sich keinen besseren Moment aussuchen können, um zur Kryptofirma Komainu zu wechseln. Die 145 Jahre alte Börse steht vor einem Scherbenhaufen. Am 8. März musste sie erstmals seit mehr als einem Vierteljahrhundert den Handel aussetzen, weil am Markt nach der russischen Invasion in der Ukra­ine steigende Preise für „Teufelskupfer“ erwartet wurden. Das zwang den Milliardär Xiang Guangda, von dem man sonst wohl nie gehört hätte, und seine Tsingshan Holding dazu, ihre Shortposition aufzulösen, was den Preis rasant nach oben jagte (siehe Grafik).

Guangda hatte mit Hilfe von J.P. Morgan und anderen Banken darauf gewettet, dass die schnell steigende Produktion in seinen indonesischen Werken den Preis nach unten drücken würde. Der Nickelpreis stieg auf mehr als 100000 Dollar pro ­Tonne. Dann schritt die LME ein, setzte den Handel für eine Woche aus und stornierte Trades im Volumen von rund 4 Mrd. Dollar, die von den handelnden Parteien in gutem Glauben getätigt wurden. Der Preis ­wurde auf den Schlusskurs des 7. März (48 078 Dollar) zurück­gedreht. Das sei nötig gewesen, um die ordent­liche Funktion des Marktes zu gewährleisten, verlautbarte die Tochter von Hong Kong Exchanges & Clearing. Der Markt habe sich von der physischen­ Realität entfernt. Es brachte ihr jedoch den Vorwurf ein, Tsing­shan dabei geholfen zu haben, ihren Milliardenverlust zu begrenzen.

Der Hedgefondsmanager Chris Asness von AQR Capital sprach von Vetternwirtschaft. Zudem wurden Zweifel daran laut, ob der Marktinfrastrukturbetreiber aus der chinesischen Sonderwirtschaftszone der richtige Eigentümer für die LME sei. Schließlich hatte es bei den Trades auch Gewinner gegeben. „Denkt jemand, dass der Rubikon überschritten wurde?“ fragte Asness. Er wollte zudem wissen, ob man künftig damit rechnen müsse, dass einem der Gewinn vorenthalten werde, wenn man bei einem Short Squeeze das Glück hatte, sich auf der richtigen Seite zu befinden. „Wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Glaubwürdigkeit am Finanzmarkt wiederherzustellen, wird das unsere Fähigkeit zu wachsen beeinträchtigen“, gab Chamberlain zu. Er hatte darauf gesetzt, Marktteilnehmer wie Asness anzuziehen.

Technische Probleme

Um die LME auch für Hedgefonds attraktiver zu machen, wollte er den Präsenzhandel nach der Pandemie gar nicht wieder eröffnen und voll auf elektronischen Handel umsteigen. Was bei der Wiederaufnahme des Handels geschah, leistete zur Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit keinen großen Beitrag. In den ersten drei Tagen kam es immer wieder zu technischen Problemen mit der elektronischen Handelsplattform. Nur wenige Trades gingen durch, bevor Mechanismen zur Begrenzung von Preisschwankungen griffen. Das sorgte für nahezu illiquide Handelsbedingungen an dem Ort, an dem der Referenzpreis für Industriemetalle wie Nickel festgelegt wird. Alternativen gibt es bislang dazu nicht. Zwar werden auch in Schanghai Industriemetalle gehandelt. Doch gibt es dort keinen freien Marktzugang.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.