Cum-ex-Prozess

„Das Problem war uns nicht bewusst“

Im Cum-ex-Prozess gegen Hanno Berger zeigen sich die Zeugen unwissend. Weder die Experten des Bundesfinanzministeriums noch der Bankenverbände erkannten nach eigener Aussage die Schlupflöcher für Cum-ex-Steuerbetrug.

„Das Problem war uns nicht bewusst“

Drei Zeugen aus dem Bundesfinanzministerium und zwei kreditwirtschaftlichen Verbänden gaben am letzten Verhandlungstag vor einer knapp dreiwöchigen Verhandlungspause des Cum-ex-Prozesses gegen Hanno Berger vor dem Landgericht Wiesbaden gute Einblicke in den Einfluss von Interessenverbänden auf die Arbeit von Ministerien. Zu Beginn der Sitzung am Freitag verkündigte die Vorsitzende Richterin Kathleen Mittelsdorf aber noch, dass Bergers Pflichtverteidiger nicht von ihren Aufgaben entbunden werden, wie sie am Vortag beantragt hatten. Damit nahm der Prozess weiter seinen Lauf.

Der erster Zeuge Michael G. hatte als Referatsleiter im Bundesfinanzministerium erstmals 2002 Berührung mit Leerverkäufen von Aktien rund um den Dividenden-Ex-Tag, Beteiligten im Ausland und doppelten Anrechnungen der Kapitalertragsteuer. Ende 2002 und 2003 gab es erste Vorschläge des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) bzw. der kreditwirtschaftlichen Verbände zur Regelung von Leerverkäufen rund um den Ex-Tag. G. hielt das für ein „rein technisches Problem“. Über Gestaltungsspielraum sei damals nicht gesprochen worden, da man das für strafbar hielt, so G. auf Nachfrage der Richterin Mittelsdorf. Auf ihre Vorhaltung, die Banken könnten durch Eigengeschäfte Nutznießer einer von ihnen vorgeschlagenen lückenhaften Regelung sein, betonte der frühere Referatsleiter, dass er seine Gesprächspartner der Bankenverbände für „absolut integer“ halte. „Die wussten nicht, was da passiert.“ Als nicht so dringendes Problem wurde dann die Regelung der Steuerpflicht in das Jahressteuergesetz 2007 gepackt, ohne allerdings den Fall der Transaktionen mit ausländischen Banken zu erfassen, die ja nicht zur Abführung von Kapitalertragsteuer verpflichtet werden konnten. „Das Problem war uns nicht bewusst“, sagte G. Auch dass Banken seit 2005 in großen Umfang im Eigenhandel Cum-ex-Geschäfte durchführten, „wussten wir nicht“.

Von „größeren Betrügereien“ (so G.) habe man erst 2009 erfahren, nachdem es 2007 erste anonyme Hinweise gab. Im Gedächtnisprotokoll einer Bund-Länder-Besprechung im März 2009 hieß es: „Die bislang ungerechtfertigte zweifache Steuerbestätigung wird durch die steuerliche Gesetzesänderung ‚bestätigt‘.“ Laut G. war das aber „nie die Auffassung der anderen Gesprächspartner“. Auch der frühere Leiter der Steuerabteilung des Sparkassen- und Giroverbandes DSGV, Manfred M., war nach eigener Aussage der Ansicht, dass mit dem Jahressteuergesetz 2007 das Thema erledigt sei. Von Umgehungen mit Hilfe ausländischer Banken habe man erst aus der Presse erfahren. „Modelle zur doppelten Steuererstattung kannten wir nicht. Wir waren selbst überrascht.“

Wolfgang S., beim Bankenverband BdB bis 2014 für Steuern zuständig, betonte, dass der BdB 2002 und 2003 das Bundesfinanzministerium in seinen Regelungsvorschlägen ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass ausländische Beteiligte davon nicht erfasst würden. Motivation des Verbandes, diese Vorschläge zu machen, war ausschließlich die Vermeidung von Haftungsrisiken der Banken bei der Ausstellung der Steuerbescheinigungen. Vom Ausnutzen von Gestaltungsmöglichkeiten in erheblichem Umfang sei man erst Anfang 2009 vom Ministerium informiert worden. „Alle Verbandsvertreter waren überrascht“, schildert S. ein Treffen Anfang 2009.