Stimmrechtsmitteilungen

Das Rätsel der Goldman-Sachs-Anteile im Dax

Goldman Sachs flutet den Markt mit Stimmrechtsmitteilungen. Was steckt hinter den hohen Beteiligungen an den deutschen Blue Chips?

Das Rätsel der Goldman-Sachs-Anteile im Dax

Von Michael Flämig, München

Der Bärenmarkt an der Aktienbörse hat auch die Allianz erwischt. Im laufenden Jahr ist der Kurs zeitweise um fast ein Fünftel gesunken. Damit schneidet der Versicherer deutlich schlechter ab als der Stoxx Europe 600 Insurance. Im Vergleich zum Deutschen Aktienindex liegt der Versicherer seit Januar immerhin auf Augenhöhe – aber eben auch nicht besser. Am Donnerstag allerdings gelang der Allianz eine bemerkenswerte Entwicklung. Ihr Aktienkurs stieg um 0,2% auf 172,22 Euro, die Allianz war damit der zweitbeste Wert im Dax. Der Dax 40 sank um 1,8%, und auch der Stoxx Europe 600 Insurance lag klar im Minus.

Der Treiber der Outperformance war eine Stimmrechtsmitteilung, die kurz nach 10 Uhr veröffentlicht wurde. Goldman Sachs meldete, am 15. September die Schwelle von 5% des Grundkapitals überschritten zu haben. Die Investmentbank hält nun 5,4% an der Allianz, davon 4,9 Prozentpunkte in Form von Derivaten. Das Gesamtengagement hat einen Wert von fast 4 Mrd. Euro. Damit ist Goldman Sachs zumindest auf dem Papier der zweitgrößte Allianz-Aktionär nach Blackrock (6,8%).

Besonders auffällig: Die Meldeschwelle von 3% hatte zuvor keine Extra-Stimmrechtsmitteilung ausgelöst, sondern es wurde gleich die 5-%-Hürde gerissen. Zudem stechen zwei Instrumente heraus:  ein Future (2,3%) und eine Put-Option (1,0%).

Bemerkenswert an der Meldung ist trotzdem weniger der Name Goldman Sachs. Die US-Bank tritt meist nicht als Investor auf, der auf eigene Rechnung tätig wird. Dies tut sie auch in diesem Fall nicht. Dagegen ist sie naturgemäß häufig im Namen von Kunden unterwegs. Dann hält sie Instrumente temporär, kann aber in dieser Handelsfunktion infolge des Zusammenspiels der Anlageentscheidung vieler Kunden schon einmal eine Meldeschwelle überschreiten. Das Milliardenvolumen im Fall Allianz lässt jedoch eine andere Vermutung plausibel erscheinen: Ist ein einziger Großinvestor aktiv geworden, um verdeckt eine große Position bei dem Erstversicherer aufzubauen?

Die Indizien sprechen überzeugend dagegen. Denn um 16.30 Uhr veröffentlichte die Munich Re ebenfalls eine Stimmrechtsmitteilung. Der Inhalt: Goldman Sachs ist auch bei dem Rückversicherer temporär zum Großaktionär geworden. Ebenfalls 5,4% sind der Investmentbank formal zuzurechnen.

Weitere verblüffende Parallelen zum Allianz-Einstieg offenbart die Mitteilung. Goldman Sachs hatte zuvor auch kein Engagement bei der Munich Re im meldepflichtigen Umfang gehalten, und die Bank hatte die Meldeschwelle ebenfalls am 15. September überschritten. Mehr noch: Future (2,3%) und Put-Option (1,0%) sind prozentual genauso groß bemessen wie bei der Allianz, sie haben sogar mit den Jahren 2030 und 2031 die exakt gleiche Fälligkeit.

Was soll das? Der One-size-fits-all-Ansatz mag bei der Zalando-Kundschaft funktionieren, Großanlegern wird ein differenzierteres Vorgehen nachgesagt. Aber sollte es dennoch einen Anleger geben, der seinen Zugriff auf Allianz und Munich Re dermaßen über einen Investment-Kamm schert?

Es müsste ein wilder Vogel sein, wie der Blick in weitere Stimmrechtsmitteilungen des gestrigen Tages zeigt. Denn Bayer meldet ebenso einen Zugriff via Goldman Sachs, und zwar im Volumen von 5,9% am 15. September. Damit nicht genug. Bei BASF das gleiche Bild: 5,9% via Goldman Sachs. Schon am 14. September hätte der fiktive Investor bei Delivery Hero über 10% aufgestockt. Wieder war Goldman Sachs aktiv. Kein Großanleger kann so verrückt agieren. Was aber steckt hinter diesen Stimmrechtsmitteilungen, die den Kapitalmarkt fluten? 

Die gleichartige Derivatekonstruktion aller Meldungen offenbart, dass der indexgetriebene Handel etwa von Dax-Futures der Treiber ist. Drastische Preisveränderungen in dem aktuell volatilen Markt können dazu führen, dass plötzlich hohe Beteiligungen entstehen. Weil in letzter Zeit sehr viele Großinvestoren in diesen Futures aktiv geworden sind, gibt es einen enormen Hebel. Derlei ist meist nicht von Dauer, so dass Goldman Sachs bald wieder unter die relevanten Meldeschwellen fallen sollte.

Anleger schielen auf Allianz

Großinvestoren können natürlich gleichwohl die aktuelle Baisse zum Einstieg nutzen. Versicherer wie die Allianz bieten sich für langfristig orientierte Branchenkenner deswegen an, weil die Münchner auf längere Sicht drastisch von der Zinswende profitieren. Denn die Kapitalerträge werden stark steigen. Die Wiederanlagerendite in der Sachversicherung, die im vergangenen Jahr noch 1,4% betrug, ist im ersten Quartal auf 2,2% und im zweiten Quartal auf 3,3% gestiegen. Dies spült perspektivisch hunderte Millionen Euro pro Jahr in die Kasse und erhöht dementsprechend die Dividendenbasis.

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