Neupositionierung

Das Verbot von Payment for Orderflow ist verfrüht

Die Europäische Kommission hat ein Verbot des sogenannten Payment for Orderflow vorgeschlagen. Die Bundesregierung hat sich jetzt in Brüssel klar dagegen positioniert.

Das Verbot von Payment for Orderflow ist verfrüht

Nach einem jüngst durchgesickerten Positionspapier für den Rat der Europäischen Union hat die Bundesregierung ihre Position zum sogenannten Payment for Orderflow (PFOF) revidiert und will sich in Brüssel nunmehr klar gegen das von den Europäischen Kommission vorgeschlagene vollständige Verbot der Annahme derartiger Zahlungen positionieren – und sie tut gut daran. Denn das Verbot ist überschießend, jedenfalls aber verfrüht. Ähnlich sieht das auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme gegenüber der Europäischen Kommission vom 11.März: das vorgesehene Verbot des PFOF würde Fakten schaffen, ohne dass zunächst eine hinreichende Analyse des Sachverhalts vorgenommen wurde.

PFOF bezeichnet die Praxis einiger Marketmaker und Handelsplatzbetreiber, Retail-Broker dafür zu bezahlen, dass sie die Aufträge ihrer Kunden an sie weiterleiten. Die weitergeleiteten Orders werden dann jedenfalls bei Aktien an einem geregelten Markt ausgeführt, an dem der zahlende Marketmaker tätig ist, oder auch im Wege der außerbörslichen (systematischen) Internalisierung durch den Marketmaker. Da Privatanleger in der Regel weniger informiert sind als professionelle oder institutionelle Anleger und der Marketmaker von ihnen – anders als von Informationshändlern – daher nicht übervorteilt werden wird, vermag er über den Bid-Ask-Spread weitgehend risikolose Gewinne zu erzielen. Diese Verringerung seines Risikos wiederum wird ihn – bei funktionierendem Wettbewerb – zu einer Verringerung des Bid-Ask-Spread veranlassen, was die Marktliquidität steigert. Der Retail-Broker seinerseits kann das PFOF an den Endkunden weitergeben, indem er auf Gebühren für die Weiterleitung von Handelsaufträgen verzichtet. Auch eine Handelsplatzgebühr fällt für den Endkunden in der Regel nicht an. Theoretisch könnten alle Beteiligten profitieren.

Das Geschäftsmodell birgt allerdings auch Gefahren. Die britische und die niederländische Finanzaufsichtsbehörde beargwöhnen PFOF schon länger, insbesondere als Verstoß gegen die Best-Execution-Grundsätze der Mifid. Bei der ESMA und der Europäischen Kommission sind auf PFOF aufbauende Geschäftsmodelle der sogenannten Neo-Broker dagegen erst durch die Vorgänge um Gamestop im Frühjahr 2021 stärker in Verruf geraten. Auslöser war der – freilich nicht einmal für die USA sich bestätigende – Vorwurf, die Abhängigkeit der Neo-Broker von bestimmten Marketmakern hätte diese dazu ver­anlasst, den Handel unter anderem in Gamestop-Aktien zum Vorteil der Marketmaker und zum Nachteil der Kunden zeitweise einzuschränken.

Die Kritik verlagert sich

In der Folge verlagerte sich die Kritik am PFOF. Die auch von der ESMA geteilten Bedenken richten sich gegen die Vereinbarkeit mit den Mifid-II-Vorgaben zum Umgang mit Interessenkonflikten, zum Best-Execution-Erfordernis, zum Um­gang mit Zuwendungen und zur Kostentransparenz. Die Europäische Kommission teilt diese Problemsicht mit ihrem Vorschlag, die Mifir um ein umfassendes Verbot der Annahme von Zuwendungen für die Weiterleitung von Kundenaufträgen zu ergänzen (Vorschlag eines Art. 39a Mifir im jüngsten Maßnahmenpaket zur Kapitalmarktunion). Allerdings geht es ihr nicht nur um die Vermeidung potenzieller Nachteile für Privatanleger. Vielmehr soll das Verbot auch die Markttransparenz und in der Folge die effiziente Preisbildung stärken, da Handelsaufträge – so die Hoffnung – dann nicht mehr an systematischer Internalisierung betreibende oder OTC ausführende Marketmaker weitergeleitet werden, sondern an transparente geregelte Märkte. Ohne PFOF wären auch die OTC-ausführenden Marketmaker zur Stärkung ihrer Wettbewerbsposition veranlasst, die eigene (Vor-)Handelstransparenz auszubauen.

Nachteile unklar

Mögen diese – und auch andere (z.B. front running) – Bedenken und Risiken nicht ganz von der Hand zu weisen sein, ist doch derzeit nicht klar, ob PFOF tatsächlich generell oder zumindest überwiegend für Kunden nachteilig oder gar der Markteffizienz in anderer Weise abträglich sind. Nach einer vom Neo-Broker Trade Republic in Auftrag gegebenen Studie sollen dessen Kunden in lediglich 0,85% der untersuchten Fälle mit Blick auf die impliziten Kosten einen schlechteren Abschluss als hypothetisch über Xetra erzielt haben, und in immerhin 21,10% sogar einen besseren Abschluss; und zwar ohne Berücksichtigung der expliziten Kosten der Orderausführung. Allerdings sind auch die Spreads im vor- und nachbörslichen Handel nicht berücksichtigt. Studien, die die niederländische und die spanische Finanzaufsicht veröffentlichten, zeigen für die untersuchten Vergleichsgruppen zudem große Anteile an ungünstigeren Abschlüssen als auf den jeweiligen Referenzhandelsplätzen. Allerdings werden die bei Neo-Brokern meist vollständig eingesparten expliziten Kosten nicht gegengerechnet, was für die Beurteilung der systematischen Vor- oder Nachteile des Geschäftsmodells angezeigt wäre und auch im Rahmen der Mifid-Best-Execution bedeutsam ist. Etwaigen, auch systematischen Verstößen gegen die Mifid-II-Vorgaben wäre, statt durch ein Verbot, durch eine effizientere Überwachung und Durchsetzung und gegebenenfalls weitere Konkretisierung bzw. Nachschärfung ebendieser Vorgaben zu begegnen. Die ESMA hat ihre Q&As dazu teilweise bereits ergänzt.

Geregelte Märkte dominieren

Den Bedenken hinsichtlich der negativen Effekte für die Markttransparenz – die in Deutschland kaum eine Rolle spielen, da die Orders ohnehin ganz überwiegend an geregelten Märkten ausgeführt werden –, wäre eher durch die (noch) konsequentere Erstreckung der Mifir-Transparenzvorgaben auf die OTC-Ausführung zu begegnen. Ohnehin enthält das jüngste Maßnahmen­paket zur Kapitalmarktunion den schon lange kontrovers diskutierten Vorschlag zur Etablierung eines ­EU-weiten konsolidierten Daten­tickers (consolidated tape). Die daraus resultierende Verbesserung der Markttransparenz und auch der Überwachung der Best-Execution-Grundsätze würde auch allfällige negative Effekte des PFOF relativieren.

Paternalistischer Vorbehalt

Angesichts der großen Unsicherheiten hinsichtlich der Vor- oder Nachteile des PFOF verwundert es nicht, wenn es verschiedentlich heißt (Giegold, Ferber), dass ein Verbot zum gegenwärtigen Zeitpunkt weniger Privatanlegern oder dem Markt als vielmehr den traditionellen Intermediären und Handelsplattformen (Börsen) nützen würde; dass gerade die Niederlande zu den stärksten Verfechtern eines Verbots zählen, mag auch mit Euronext zu tun haben. In der Kritik schwingt zudem immer wieder ein paternalistischer Generalvorbehalt gegen Neo-Broker und deren vermeintliche „Gamification“ des Wertpapierhandels mit. Ein vollständiges Verbot des PFOF würde zwar etwaige Gefahren – wie sie auch der Fall Gamestop exemplifiziert – zumindest eindämmen. Auf der anderen Seite könnte das Potenzial einer sich verändernden Investitionskultur weder vermessen noch gar voll ausgeschöpft werden. Die reduzierten oder weggefallenen direkten Ordergebühren und die ansprechende Aufmachung der App-basierten Neo-Broker haben Eintrittsbarrieren aufgeweicht und zu einer Erhöhung des Anteils von Privatanlegern, aber auch zu einer Veränderung der Altersstruktur und größeren Diversität der Anleger beigetragen. Dabei ist kurzfristige Spekulation keineswegs die Regel. Die meisten Anleger scheinen langfristig zu investieren, wie eine – ebenfalls von Trade Republic in Auftrag gegebene – jüngere Studie zeigt.

Zudem wird dem durch Social Media vermittelten Einfluss von Kleinanlegern auf das Verhalten von Aktiengesellschaften mit Blick auf die ESG-Orientierung von Millennials großes Potenzial zugesprochen. Den Wettbewerb als Entdeckungsprozess so frühzeitig durch ein vollständiges Verbot zu verhindern, wäre daher auch mit Blick auf die Risiken des PFOF keinesfalls anzuraten.

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