Distressed M&A als Chance in der Coronakrise

Welche Rahmenbedingungen zu beachten sind

Distressed M&A als Chance in der Coronakrise

Dr. Björn HürtenRechtsanwalt und Partner bei Osborne ClarkeDr. Philipp ReebRechtsanwalt und Senior Counsel bei Osborne ClarkeDer Ausbruch der Covid-19-Pandemie hat zu einem weltweiten Rückgang der Wirtschaftsleistung geführt. Unternehmen sind dabei sehr unterschiedlich von der Pandemie und deren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen betroffen. Zu den Unternehmen, die bislang gut oder sehr gut durch die Krise gekommen sind, zählen insbesondere solche Unternehmen, die sich schon vor dem Ausbruch der Pandemie zukunftsfähig aufgestellt haben. Solche Unternehmen haben sich etwa frühzeitig mit den Herausforderungen der digitalen Transformation, der Reduzierung des CO2-Ausstoßes und der neuen Formen des Lebens, Arbeitens und Reisens auseinandergesetzt – in unserer Beratungspraxis kurz unter dem Stichwort 3D-Beratung zusammengefasst (Digitalization, Decarbonization, Urban Dynamics). Diese Unternehmen stellen sich häufig als besonders krisenfest heraus.Andere Unternehmen, welche diese Herausforderungen entweder noch nicht erkannt oder zu spät umgesetzt haben oder bei denen vergleichbare Herausforderungen bevorstehen, haben diesen Weg noch vor sich und müssen in vielen Fällen einschneidende Maßnahmen zur Sanierung oder gar Liquidation ergreifen. Wir wollen nachfolgend einen Überblick dazu geben, welche Rahmenbedingungen zu beachten sind, wenn Unternehmen oder Investoren die Chancen der Krise durch Erwerb von notleidenden Unternehmen nutzen wollen.Im Ausgangspunkt folgt Distressed M&A denselben Regeln, die für gewöhnliche M&A-Transaktionen gelten. In Betracht kommt der Erwerb der Gesellschaftsanteile an den Unternehmen von den Gesellschaftern (Share Deal) oder der Erwerb aller Vermögensgegenstände des Unternehmens von dem Unternehmen selbst (Asset Deal). Bestimmte Besonderheiten sind jedoch zu beachten: Transaktionen im Krisenumfeld unterliegen in aller Regel einem deutlich erhöhten Zeitdruck, zuweilen so sehr, dass es zu regelrechten Panikverkäufen (sog. “Fire Sales”) kommt. Das rechtliche Umfeld (einschließlich der handelnden Personen) hängt zudem davon ab, in welchem Verfahrensstadium sich das betreffende Unternehmen befindet, also ob vor Stellung eines Insolvenzantrags oder nach Stellung eines Insolvenzantrags (bzw. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens).Für den Zeitraum vor Insolvenzantragstellung gelten die insolvenzspezifischen Regelungen der Insolvenzordnung noch nicht mittelbar, aber dann, wenn der Verkäufer (die Gesellschafter im Falle eines Share Deals bzw. das Unternehmen im Falle eines Asset Deals) später Insolvenz anmeldet. In einem solchen Fall besteht das Risiko, dass ein zukünftiger Insolvenzverwalter die Transaktion aufgrund einer etwaigen Gläubigerbenachteiligung anficht, die Erfüllung von Verpflichtungen des Verkäufers unter dem Kaufvertrag verweigert und schlimmstenfalls den Erwerber mit seinem Kaufpreisrückzahlungsanspruch auf eine Anmeldung zur Insolvenztabelle verweist. Solchen Risiken kann zum einen dadurch begegnet werden, dass ein angemessenes Austauschverhältnis von Leistung (Übertragung des Unternehmens) und Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) besteht (und überzeugend nachgewiesen werden kann) und Leistung und Gegenleistung zügig abgewickelt werden (Bargeschäftsprivileg). Zum anderen kann durch Einholung einer positiven Fortbestehensprognose des Verkäufers vor Abschluss des Kaufvertrages nachgewiesen werden, dass keine Kenntnis des Erwerbers von einer möglichen Insolvenz des Verkäufers und somit von einer Gläubigerbenachteiligung besteht.Bei der Abwägung zwischen Share und Asset Deal ist vor Antragstellung etwa zu überlegen: ob der Kaufpreis den Gesellschaftern oder dem Unternehmen zufließen soll, ob das Unternehmen insgesamt oder nur einzelne Vermögensgegenstände (ggf. mit verkürzter Due Diligence) übergehen werden sollen und ob Verträge unangetastet bleiben sollen oder Zustimmungen von Vertragspartnern zur Übertragung eingeholt werden können. Im Zeitraum nach Insolvenzantragstellung kommt es darauf an, ob das Verfahren auf Sanierung oder Liquidation ausgerichtet ist.Bei der (Eigen-)Sanierung kommt die Veräußerung des Unternehmens regelmäßig nicht in Betracht, sondern die “Rettung” des Unternehmens, insbesondere durch Kostensenkungs- oder Liquiditätssicherungsmaßnahmen, wie Reduzierung der Personalkosten (auch vorübergehend durch Insolvenzgeld) oder Reduzierung der Verbindlichkeiten (auch durch Kündigung bestimmter Verträge).Im vorläufigen Insolvenzverfahren bieten sich dazu insbesondere die Instrumente des Schutzschirmverfahrens (§270b InsO) und der Eigenverwaltung (§270a InsO) an (auf den Entwurf des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), das ab Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit einen Rechtsrahmen für Sanierungen außerhalb des Insolvenzverfahrens einführen soll, kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden).Das Schutzschirmverfahren ist zumeist allein auf die Eigensanierung gerichtet. Im Rahmen der Eigensanierung mag dann allenfalls in Betracht kommen, einen (Co-)Investor zur Finanzierung der Eigenlösung mit ins Boot zu holen, etwa auch im Rahmen der Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital (sog. Debt-Equity Swap). Bei der Eigenverwaltung dagegen ist häufig neben einer Eigensanierung auch die Möglichkeit einer Veräußerung, ggf. auch in einem zweigleisigen Verfahren (Dual Track), zu eruieren.Im Falle der Liquidation (Verwertung der Vermögensgegenstände) wird es dagegen regelmäßig um den Verkauf des Unternehmens im Ganzen gehen. Hierbei wird, von den eher seltenen Fällen eines (aufwendigen) Insolvenzplans oder einer vorherigen Einbringung aller werthaltigen Vermögensgegenstände in eine neu zu gründende Tochtergesellschaft abgesehen, häufig ein Asset Deal zum Tragen kommen. Hier spielt einerseits eine Rolle, dass der Verkaufserlös der Insolvenzmasse zugutekommen soll (nicht den Gesellschaftern), andererseits, dass der Erwerber die Verbindlichkeiten zurücklassen und die Due Diligence zeitlich straffen kann. Demgegenüber fällt in der Regel weniger ins Gewicht, dass Vertragsbeziehungen auf den Erwerber nur mit der Zustimmung der Vertragspartner übergeleitet werden können.Die Besonderheiten des Erwerbs von notleidenden Unternehmen im Wege eines Asset Deals lassen sich dabei wie in unten stehender Tabelle zusammenfassen.Fazit: Die Akquisition von Unternehmen, die infolge der Coronakrise in Schieflage geraten sind, bietet auch große Chancen: Erstens stehen möglicherweise Unternehmen oder Unternehmensteile zum Kauf, die bei Ausbleiben der Pandemie nicht zum Verkauf gestanden wären, vielleicht gerade weil die Herausforderungen der Digitalisierung, Dekarbonisierung und urbanen Dynamik zu spät erkannt wurden, im Übrigen aber das Geschäftsmodell dieser Unternehmen bzw. Unternehmensteile tragfähig ist. Zweitens zeigt die Erfahrung, dass der Kaufpreis bei solchen Akquisitionen wesentlich geringer ist, als er es ohne die Unternehmenskrise wäre, zumal sich der Markt infolge der Krise von einem Verkäufermarkt wegbewegt. Daneben können drittens gerade im Rahmen eines Kaufs aus der Insolvenz sämtliche Altverbindlichkeiten zurückgelassen und (unter bestimmten Umständen) die Mitarbeiteranzahl angepasst werden, was die Neuaufstellung des akquirierten Geschäftsbereichs beschleunigen dürfte.