Wankender Immobilienriese

Evergrande beunruhigt Chinas Bankenszene

Evergrande ist ein wankender Immobilienriese mit systemischem Risikopotenzial. Inzwischen reagiert die chinesische Zentralbank. Dennoch gibt es Stresssymptome am Bondmarkt.

Evergrande beunruhigt Chinas Bankenszene

nh Schanghai – Die Existenznöte des zweitgrößten chinesischen Immobilienentwicklers China Evergrande Group verdichten sich zu einer immer ungemütlicheren Atmosphäre am chinesischen Finanzmarkt. Angesichts gewaltiger Verbindlichkeiten gegenüber Banken, Zulieferern, Baukontraktpartnern und Anleihegläubigern von über 300 Mrd. Dollar (255 Mrd. Euro) und einer immer drastischeren Liquiditätsklemme wachsen die Sorgen über „systemische Risiken“ beziehungsweise Ansteckungsgefahren im Falle eines ungeordneten Zusammenbruchs des dramatisch überschuldeten Bauträgers.

Interbankzins zieht an

Am Freitag hat sich Chinas Zentralbank dazu entschlossen eine außerplanmäßige Liquiditätsinjektion im Rahmen von kurzfristigen Repogeschäften vorzunehmen, mit denen 100 Mrd. Yuan (gut 13 Mrd. Euro) in den Geldmarktkreislauf eingeschossen wurden. Die Maßnahme trug allerdings nicht dazu bei, die Zinsen im Interbankenmarkt zu drücken, vielmehr zog der der 7tägige Reposatz als wichtiger Indikator für Refinanzierungskosten am Geldmarkt um 14 Basispunkte auf 2,4% an und steht jetzt wieder auf dem höchsten Niveau seit Jahresmitte.

Gegenwärtig sieht man zwar keine Anzeichen für Panik im chinesischen Bankenlager, allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass chinesische Kreditinstitute Liquidität horten zu beginnen, um sich auf das „Worst-Case-Szenario“ eines Konkurses mit einem Totalausfall von Krediten und Anleihen und weiteren Schockwellen im Finanzsystem vorzubereiten. Analysten betonen, dass die Vermeidung von Liquiditätsspannungen im Finanzsektor gegenwärtig absolute Priorität für die People’s Bank of China (PBOC) hat, um sogenannten systemischen Ansteckungsrisiken zu begegnen.

Seitens der chinesischen Regierung wiederum hält man sich weiter zurück und gibt keinerlei Signale, dass die vom Milliardär Hui Ka Yan maßgeblich kontrollierte Evergrande-Gruppe mit staatlichen Mitteln aufgefangen werden soll, um den chinesischen Immobilienmarkt und andere Bauträger vor größeren Schäden zu bewahren. Allerdings scheinen chinesische Behörden und Finanzregulatoren hinter den Kulissen die in der Regel staatskontrollierten heimischen Banken angewiesen zu haben, Evergrande nicht plötzlich fallen zu lassen, sondern zumindest vorläufig mit dem Aufschub von Zinsrückzahlungen  und einem Rollover von fällig werdenden Krediten zahlungsfähig zu halten.

Bankaktien unter Druck

Freilich wächst dennoch die Unruhe, dass die chinesischen Banken mit letztlich hohen Kreditausfällen wegen Evergrande konfrontiert werden und auch andere hoch verschuldete Immobilienentwickler darunter der Marktführer Country Garden Holdings und die Nummer Drei, Sunac China Holdings, in Liquiditätsnöte geraten und zu säumigen Zahlern werden. Zuletzt standen denn auch die Aktien  von einigen Großbanken mit hohem Exposure gegenüber Evergrande und weiteren Immobilienfirmen unter Druck.

Besonders im Fokus steht dabei China Minsheng Banking Corp., deren Aktiennotierung an der Hongkonger Börse am Freitag um weitere 5,3% verlor und damit auf ein Allzeittief abgerutscht ist. Seit Aprilbeginn, als die Überschuldungsprobleme von Evergrande immer manifester wurden, hat die Minsheng-Aktie nun bereits gut 40% ihres Werts eingebüßt. Chinas führende Kreditinstitute ICBC und China Construction Bank, bei denen Evergrande ebenfalls in der Kreide steht, tendierten am Freitag allerdings relativ stabil.

Bonds im Keller

Auf der Bondseite wiederum liegen die Ratingagenturen mittlerweile bei einem Basisszenario, das auf einen sogenannten „Haircut“ (Schuldenschnitt) von rund 75% hinausläuft, so dass die Anleihegläubiger im Zweifelsfall drei Viertel ihres Einsatzes zu verlieren drohen. Entsprechend stehen auch die auch umlaufenden Dollaranleihen der Evergrande immer tiefer im Keller, während der Handel mit Onshore-Bonds also Yuan-denominierten Evergrande-Anleihen zur Wochenmitte bereits ausgesetzt wurde. Am Freitag fiel Evergrandes Benchmarkanleihe mit Laufzeit bis Oktober 2023 um weitere 10% zurück und notiert nunmehr nur noch bei rekordtiefen 16 Cents zum Dollar.

Die Unruhe am Anleihemarkt macht sich auch im weiteren Renditeauftrieb von chinesischen Unternehmensanleihen mit Junkbondrating bemerkbar. Mittlerweile gehören fast alle chinesischen Immobilienentwickler aufgrund gestiegener Ausfallrisiken zum Segment der Junkbondemittenten. Bislang liegt die sogenannte Default Rate (Zahlungsausfallquote) für chinesische Hochzinsanleihen nur bei etwa 3%, würde bei einem Totalausfall von Evergrande jedoch auf 14% hochschießen betonen Analysten. Zum Wochenende hin kletterte die Durchschnittsrendite auf chinesische Dollaranleihen im Hochzinsbereich auf fast 14%. Damit liegt man fast wieder auf dem im März 2020 erreichten Rekordniveau, als der Ausbruch der Coronapandemie kurzzeitig Chinas Junkbondrenditen in die Höhe jagte.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.