Anlageberatung

Gretchenfrage

In der Anlageberatung gibt es eine Zäsur: Ab dem 2. August müssen Finanzberater erstmals die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abfragen.

Gretchenfrage

Nun sag‘, wie hast du’s mit der Religion?“ So bohrte Gretchen bei Heinrich Faust nach in der berühmten Tragödie „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe. Ähnliche Gesinnungsfragen erwarten Privatkunden spätestens ab dem 2. August in der Anlageberatung: „Nun sag’, wie hast du’s mit der Nachhaltigkeit?“ Oha – wer kann dazu schon Nein sagen! Ist mir doch wurscht, wird wohl kaum noch jemandem über die Lippen kommen wegen der Katastrophe im Ahrtal, der Energiekrise und der Hitzewelle. Selbst wer dadurch noch nicht wirklich ernsthaft ins Grübeln gekommen ist, ob die Warnungen vor der Klimakatastrophe nicht doch mehr sind als Fake News, wird, wenn er so explizit mit der Nase drauf gestoßen wird, zumindest ein bisschen Nachhaltigkeit neben den anderen üblichen Anlagezielen Sicherheit und Ertrag akzeptieren.

In Europa boomen die nachhaltigen Fonds ohnehin. Das Inkrafttreten der ersten Meilensteine im EU-Regulierungsprojekt Nachhaltige Finanzwirtschaft, die Sustainable Finance Dis­closure Regulation (SFDR, Offenlegungsverordnung) sowie die Taxonomie als grundlegender Katalog der nachhaltigen und nichtnachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten, zündeten das Feuer. Das Anlegerinteresse ist zudem angesichts der Vorboten des Klimawandels gewachsen. Einen großen Anteil am sprunghaft gestiegenen Vermögen haben aber auch bestehende Fonds, die von den Gesellschaften in nachhaltige Produkte umgewidmet wurden. Wie sehr man allerdings auf das Marketingversprechen vertrauen kann, dass diese Fonds wirklich Gutes im Sinn haben wie Umwelt oder soziale Aspekte, ist spätestens mit dem DWS-Skandal zum heiklen Thema der Finanzbranche geworden. Wer zu viel verspricht, riskiert seine Reputation.

Leider setzen die neuen Vorgaben in der An­­lageberatung nach der Finanzmarktricht­linie Mifid II die gleichen Webfehler in der EU-Regulierung zur Nachhaltigkeit fort, die bereits in der Offenlegungsverordnung und der Taxonomie erkennbar sind. Man verhakt sich im Klein-Klein, geht den zweiten Schritt vor dem ersten und läuft Gefahr, einerseits damit den Anleger zu überfordern und andererseits die Greenwashing-Debatte weiter anzufachen. Wozu es schon wieder neuer Definitionen für drei Mifid-Kategorien von nachhaltigen Finanzprodukten bedurfte, obwohl doch die Offenlegungsverordnung SFDR eine gute Vorlage lieferte, erschließt sich wohl nur den EU-Regulierern. Das ist überkomplex und überflüssig. Die EU wollte damit Anleger vor Grünwäsche schützen, aber gerade mit der Festlegung auf Kriterien und Transparenzausweise, die erst nach Inkrafttreten der neuen Regeln in der Anlageberatung in den nächsten Jahren kommen, öffnet man Tür und Tor für ein An­heizen dieses Verdachts. Wenn Schätzungen der Anbieter herhalten müssen, kommen nicht erst Verbraucherschützer und NGOs auf die Idee, man könnte hier die Katze im Sack kaufen. Wer soll das denn überprüfen, wenn die Daten fehlen? Hier reicht der Glaube eben nicht.

Insofern dürften viele Anleger die Gretchenfrage an Fondsanbieter und Bankvertriebe zurückspielen: „Nun sag’, wie hast du’s mit der Nachhaltigkeit?“ Wie sehr können Anleger darauf vertrauen, dass die Finanzbranche es wirklich ernst meint mit dem Versprechen, sich dem Klimawandel entgegenzustellen und soziale Belange wie auch gute Unternehmensführung in der Investmententscheidung im Blick zu haben? Hier führt die Schwarz-Weiß-Denke mancher Dogmatiker in die Irre, wenn nur noch wirklich grüne Unternehmen Gelder erhielten. Der Umwelt ist mehr geholfen, wenn der gesamten Wirtschaft genügend Mittel zur Verfügung stehen, um die überaus schmerzhafte Transformation hinzubekommen, wie auch dem Letzten seit dem Ukraine-Krieg dämmern dürfte.

Der Anleger aber kann nicht blind nur auf sein gutes Gewissen setzen. Die Rendite ist und bleibt das wichtigste Ziel im Verhältnis zur individuellen Risikotragfähigkeit, eine sorgsame Produktauswahl essenziell. Dass nachhaltige Anlageprodukte aber nicht weniger Ertrag abwerfen als herkömmliche, haben schon viele Studien ge­zeigt. In jüngerer Vergangenheit hatten sie sogar mehr Erfolg, wie selbst die EU-Wertpapieraufsicht ESMA staunend erkannte. Auch wenn dies viel mit der Überwertung nachhaltiger Assets zu tun hat, der Konzentration der nachhaltigen Fonds auf große Unternehmen und die Branchen Tech und Gesundheit sowie dem allgemeinen Börsenboom bis voriges Jahr, so ist es aber zu­- mindest nicht des Teufels, wenn der Anleger mit einem nachhaltigen Fonds lieb­äugelt.

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