Mehr Banker werden künftig zu Hause arbeiten

Anwesenheitskultur verliert durch Coronakrise an Bedeutung - Meinungen gehen in Banken und Sparkassen allerdings auseinander

Mehr Banker werden künftig zu Hause arbeiten

Homeoffice hat für Banken und ihre Mitarbeiter oft Vorteile. Die einen sind flexibler, wenn es um die Organisation familiärer Belange geht, und sie sparen Pendelzeiten, die anderen profitieren von zufriedeneren und produktiveren Mitarbeitern. Aber nicht überall stößt die krisenbedingt erzwungene Heimarbeit auf Wohlgefallen.Von Tobias Fischer, FrankfurtDie Pandemie hat die Zahl der Bank- und Sparkassen-Mitarbeiter, die im Homeoffice arbeiten, drastisch anschwellen lassen. Die Frage ist, wie es nach einer Lockerung oder Rücknahme des Lockdowns weitergeht -hier driften die Meinungen in der Branche auseinander. In der Tendenz zeichnet sich ein Bedeutungsgewinn des Homeoffice in der Branche und gesamtwirtschaftlich ab, zumal Arbeitsminister Hu-bertus Heil bis Herbst einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen will, der jedermann das Recht darauf verbrieft. Es zeigt sich allerdings auch, dass nicht jede Bank und jeder Mitarbeiter daheim arbeiten möchte, da das Homeoffice auch Nachteile hat.Im Vergleich mit der Zeit vor der Corona-Krise könnten in den klassischen Bürojobs bis zu 30 % der Belegschaft zusätzlich von zu Hause arbeiten, schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Jüngsten verfügbaren Zahlen von 2017 zufolge bestand demnach in den unternehmensnahen Dienstleistungsberufen, zu denen auch die Finanzbranche zählt, für 43 % der Mitarbeiter zumindest die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten – so viel wie nirgends sonst. Im Schnitt hatten 22 % der in privatwirtschaftlichen Betrieben mit mindestens 50 Beschäftigten wenigstens gelegentlich von zu Hause gearbeitet. Die Zahl der Beschäftigten, die Homeoffice nutzen könnten, übersteige jedoch deutlich die Zahl jener, die faktisch Gebrauch davon machten, berichtete das IAB Ende März. 60 000 arbeiten von zu HauseIn Banken und Sparkassen gehen die Ansichten darüber auseinander, wie eine Befragung durch die Börsen-Zeitung zeigt. Während in der DKB und der Deutschen Bank derzeit noch nicht absehbar sei, wie sie künftig verfahren werden, wollen die Direktbank ING und die Frankfurter Volksbank die in der Krise gewonnenen Erfahrungen analysieren und in Prozesse einfließen lassen, um mobiles Arbeiten möglicherweise auch im Normalbetrieb auszuweiten. In der Onlinebank-Tochter der BayernLB, DKB, arbeiten nach Auskunft eines Sprechers 80 % im Homeoffice.In der Deutschen Bank haben sich die Zahlen in Spitzenzeiten auf 60 000 verdreifacht, wie es heißt, wobei der Anteil von Region zu Region stark variiere. “So kommen wir beispielsweise aufgrund des strikten Lockdown-Szenarios in Indien in Mumbai derzeit auf nahezu 100 % Homeoffice. Das ist hingegen in Deutschland wegen der geöffneten Filialen der Deutschen Bank und der Postbank nicht zu erreichen.” Krise als BeschleunigerDie Santander Consumer Bank mit Sitz in Mönchengladbach geht davon aus, dass auch dann viele Mitarbeiter freiwillig vom mobilen Arbeiten Gebrauch machen werden, wenn die Krise überwunden ist. Mehr als 2 900 seien es derzeit. Die Volksbank Mittelhessen in Gießen, für die nach Aussage eines Sprechers mobiles Arbeiten seit Jahren geübte Praxis ist, hat die Homeoffice-Zahlen von 100 auf 280 Mitarbeiter hochgefahren. “Diese Entwicklung wird auch nach überstandener Krise fortgeschrieben.” Auch wenn sie in erster Linie eine Folge digitalisierungsbedingt veränderter Job-Profile sei, wirke die Corona-Krise als Beschleuniger, heißt es.Einige Institute reagieren verhalten auf die Option, deutlich mehr Mitarbeiter als vor der Krise ins Homeoffice zu schicken. “Das ist nicht geplant. Wir machen gerade die Erfahrung, dass die Mitarbeiter lieber im Büro als zu Hause arbeiten, vor allem, weil ihnen die sozialen Kontakte zu den Kollegen fehlen”, berichtet ein Sprecher der Oberbank. Derzeit arbeiteten rund 500 Mitarbeiter der österreichischen Bank, die mit mehr als 40 Filialen auch in Deutschland präsent ist, im Homeoffice. Bevor sich das Virus verbreitete, hatte ihm zufolge kein einziger von zu Hause gearbeitet.Auch die Mittelbrandenburgische Sparkasse in Potsdam verweist auf Nachteile des mobilen Arbeitens. “Homeoffice über längere Zeit kann nur zweite Wahl sein, insbesondere im Hinblick auf das Wir-Gefühl”, sagt Vorstandsvorsitzender Andreas Schulz. “Da wir eine Sparkasse mit sehr vielen Geschäftsstellen sind, die wir gegenwärtig alle offenhalten, ist das eher ein Thema für Kolleginnen und Kollegen in Stab und Betrieb.” Gegenwärtig könnten sich 450 von gut 1 400 Mitarbeitern von zu Hause einwählen. Vor der Krise seien es 13 gewesen.Für die Sparkasse Gießen, welche die Zahl ihrer Mitarbeiter in Heimarbeit von Null auf 41 erhöht hat, sei dies für den Großteil ihrer Angestellten zunächst keine Option, da sie sich wegen des weiten Filialnetzes nicht anbiete. Auf lange Sicht werde es aber weniger Arbeitsplätze geben, die Personen fest zugeordnet seien. Mittelweg wahrscheinlichNach Ansicht von IAB-Forscherin Carola Burkert werden Banken und Unternehmen einen Mittelweg einschlagen. “Ein paar Wochen Homeoffice in der Krise können nicht 50 Jahre Betriebskultur wegwischen”, sagt sie. Dass die Arbeit im Homeoffice in den vergangenen Jahren zwar an Bedeutung gewonnen, ihr Potenzial bei Weitem aber nicht ausgeschöpft habe, führt das IAB in einer Studie neben rechtlichen wie technischen Hürden auf die in vielen Unternehmen noch immer dominante Anwesenheitskultur zurück – ein Argument, das sich Burkert zufolge nach den Erfahrungen aus der Krise aber kaum mehr aufrechterhalten lassen dürfte. “Früher hieß es oft, dass Arbeiten von Zuhause nicht möglich sei, es wurde auf Präsenzkultur gepocht. Auf einmal geht das aber alles, weil es sein muss. Corona schafft also einen Präzedenzfall gegen das Argument, es funktioniere nicht.”Deutsche Bank Research geht davon aus, dass Homeoffice-Regelungen im laufenden Jahr nur vereinzelt ausgeweitet werden, sie aber perspektivisch an Bedeutung gewinnen, umso mehr, da weniger Berufspendelei der Erreichung der Klimaziele förderlich ist. Dennoch glauben die Analysten, dass der Zuwachs an Homeoffice-Arbeit gesamtwirtschaftlich betrachtet nur einige Zehntel Prozentpunkte pro Jahr betragen dürfte. Auch sie führen ins Feld, dass viele Arbeitsplätze wegen rechtlicher und regulatorischer Vorgaben nicht komplett in Heimarbeit erledigt werden könnten.Außerdem stünden einer Flexibilisierung der Arbeitsformen der in Deutschland hohe Anteil des verarbeitenden Gewerbes entgegen. Eine Rolle spiele auch, dass sich viele Arbeitnehmer eine klare Trennung von Arbeit und Freizeit wünschten. Deshalb erwartet die Deutsche Bank auch keinen deutlich negativen Einfluss auf die Nachfrage nach Büroraum. “Das Social Distancing könnte die Fläche pro Bürobeschäftigten, die derzeit bei rund 23 Quadratmetern liegt, temporär sogar erhöhen”, heißt es. BlackRock-Chef Larry Fink hatte hingegen jüngst die Erwartung nachhaltiger Effekte sowohl auf die Mitarbeiter als auch auf die Nachfrage nach Büroflächen geäußert. Er glaube nicht, dass Firmen alle Angestellten aus der Heimarbeit in die Büros zurückholten, selbst wenn dies ungefährlich sei, berichtete Bloomberg. Eine bedeutende Auswirkung der Krise sei der nachlassende Bedarf an Gewerbeimmobilien. Offene FührungsfragenIAB-Wissenschaftlerin Burkert gibt zu bedenken, dass Führungsfragen im Homeoffice noch weitgehend ungeklärt seien. “Das Arbeiten im Homeoffice verlangt Führungskräften besondere Erfordernisse ab. Sie müssen erst lernen, aus der Ferne zu führen.” Es erfordert ihr zufolge andere Herangehensweisen, klare Regeln und das Schaffen entsprechender Strukturen. Ferner stellten sich Fragen nach der Firmenkultur und was ein Unternehmen zusammenhält. Darauf müssten noch Antworten gefunden werden.Auch Marco Leist hält es für unabdingbar, dass sich Teams ein klares Regelwerk verpassen, wie sie zusammenarbeiten möchten. Hier sollten zudem individuelle Vorlieben berücksichtigt und die Erreichbarkeitszeiten geklärt werden. “Homeoffice bedeutet nicht Erreichbarkeit rund um die Uhr, sondern nur zu den gemeinsam festgelegten Zeiten”, sagt der Head of Human Resources der Frankfurter Beratungsgesellschaft TME, der Banken und Unternehmen unterstützt, den Umgang mit Homeoffice und virtuellen Teams zu regeln. “Homeoffice gibt es ja schon seit vielen Jahren. Warum hat es nie Fuß gefasst? Aus Angst der schwachen Führungskräfte, die Kontrolle über die Mitarbeiter zu verlieren”, sagt Leist. “Jetzt sind sie gezwungen worden, ins Homeoffice zu gehen, und die Ergebnisse sind teilweise besser als das, was die Mitarbeiter im Büro produziert haben.” Höhere ProduktivitätSeines Erachtens steigern die gewonnenen Freiheiten die Effizienz deutlich. Das deckt sich mit den Erkenntnissen einer Langzeitstudie der Universität Stanford, der zufolge die Produktivität der Mitarbeiter, die zu Hause arbeiteten, im Schnitt höher war als jener, die im Büro tätig waren. Die zwei Jahre währende Untersuchung mit insgesamt 500 Angestellten hat nicht nur zutage gefördert, dass die Homeoffice-Arbeiter deutlich mehr leisteten als die Vergleichsgruppe im Büro, sondern auch, dass sie sich seltener krankmeldeten und weniger Pausen einlegten. Ein weiterer Effekt: Pro Mitarbeiter wurden rund 2 000 Dollar an Miete im Jahr eingespart, weil weniger Büros gebraucht wurden.Bankenberater Leist ist der Meinung, dass Corona viele seit Jahren bekannte Schwächen im Finanzsystem transparent macht: zu viele schwache Führungskräfte, um Personen herumgebaute Organisationen und ineffiziente Prozesse. “Corona, so schlimm es ist, bedeutet für die Arbeitswelt einen Schritt nach vorn. Im Moment sind teilweise noch die IT-Infrastruktur und rechtliche Vorgaben Schwachstellen, aber wenn diese gelöst sind, dann war’s das. Dann wird sich unser ganzes Arbeitsleben nachhaltig verändern.” Die Coronakrise beschleunige zudem den Abbau von Stellen und von Filialen. Er frage sich, wieso Banken umfangreiche Filialsysteme und Büroflächen aufrechterhalten müssten, wenn doch die Krise zeige, dass diese oft gar nicht vonnöten seien (s. unten stehenden Artikel).