Javier Rodriguez-Alarco

Mit Big Data zur umfassenden Aktienanalyse

GSAM verspricht sich von einem Big-Data-Modell einen Vorsprung in der Anlagestrategie. Der Assetmanager kombiniert unter anderem Geodaten und intelligente Textanalyse – mit überraschenden Ergebnissen.

Mit Big Data zur umfassenden Aktienanalyse

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Technologische Fortschritte, etwa im Computing, ermöglichen laut Javier Rodriguez-Alarcon, Leiter Portfolio Management/Quantitative Investment Strategies bei Goldman Sachs Asset Management, auch aus Investmentperspektive neue Chancen. „Über moderne, hochleistungsfähige Mikroprozessoren können gewaltige Datenmengen gespeichert und analysiert werden“, sagt er.

Überraschende Ergebnisse

Während in der Vergangenheit Anlageentscheidungen auf Basis von Fundamentaldaten und Prognosen einzelner Unternehmen oder zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung getroffen worden seien, seien mittlerweile alternative Datensätze verfügbar – und diese führten häufig zu anderen Betrachtungsweisen als die herkömmlichen Zahlen. „So können zum Beispiel Fußgängerdaten Aufschluss darüber geben, wo sich zu welcher Tageszeit besonders viele Menschen befinden – dies lässt unter anderem Rückschlüsse auf das Konsumverhalten zu“, führt Rodriguez-Alarcon aus. In ähnlicher Weise können Investoren mit Hilfe von Satellitenbildern die Anzahl der vor Einzelhandelsgeschäften geparkten Autos verfolgen, um die Verbrauchernachfrage abzuschätzen.

Angesichts von Geschäftsschließungen in Coronazeiten dürften Online-Nutzungsdaten, zum Beispiel die Klickzahlen einer Unternehmenswebseite, die GSAM in die Analyse einbindet, noch an Bedeutung gewinnen. „Eine starke Internetpräsenz hat schließlich häufig einen großen Einfluss auf die Umsatz- und Ergebnisentwicklung eines Unternehmens“, sagt Rodriguez-Alarcon.

Das zeigt sich in Pandemiezeiten besonders deutlich, da der Online-Handel für zuvor stationäre Anbieter zwangsläufig stark an Bedeutung gewonnen hat. Vom Boom des E-Commerce profitieren nicht nur Versandriesen wie Amazon, sondern zum Beispiel auch der Cloud-basierte Plattformanbieter Shopify, mit dessen Software kleine und mittelständische Händler Online-Shops aufbauen können. Allein im Verlauf des vergangenen Jahres hat die Shopify-Aktie um über 190% zugelegt.

Viele Dynamiken in der schnelllebigen digitalen Welt sind laut Rodriguez-Alarcon allerdings kurzfristiger Natur – es gelte, über eine quantitative Analyse diejenigen Entwicklungen herauszufiltern, die langfristig Bestand haben werden. Daher kombiniere GSAM möglichst viele, sehr unterschiedliche alternative Datensätze, etwa auch zum Umgang mit und der Zufriedenheit von Mitarbeitern einer Firma. So ließen sich die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen, die Qualität der Unternehmensführung und die Gewinnaussichten beurteilen – und somit feststellen, inwieweit der aktuelle Aktienkurs vom fairen Wert entfernt ist.

Am Ende der Big-Data-Analyse trifft bei GSAM aber kein Algorithmus, sondern nach wie vor ein Mensch die Anlageentscheidungen. „Unser Anlageuniversum enthält über 15000 Unternehmen, was eine ständige Einzelfallüberprüfung aufwendig macht“, sagt Rodriguez-Alarcon. Das Datenmodell helfe den Fondsmanagern bei der Validierung, während Computer ihre eigenen Anlageideen systematisieren.

Nur die Spitze des Eisbergs

Allerdings sei bezüglich der Datenanalyse im Fondsmanagement bisher nur die Spitze des Eisbergs sichtbar, es gebe noch ein weites Feld an wenig genutzten Anwendungsmöglichkeiten. „Während wir zum Beispiel NLP, also Natural Language Processing, schon seit einigen Jahren einsetzen, steht der Einsatz von Machine-Learning-Technologie zum Lesen von Textinformationen erst am Anfang“, führt der Stratege aus. Die Sentiment-Analyse von Medienberichten und Studien anderer Finanzdienstleister könne ein detailliertes Bild über die öffentliche und branchenspezifische Meinung gegenüber bestimmten Unternehmen ergeben.

„Besonders interessant ist außerdem die Auswertung von Dokumenten aus dem Europäischen Patentamt sowie dessen Pendants aus den USA und den asiatischen Industriestaaten“, sagt Rodriguez-Alarcon. Bei einem Patentantrag sei es Aufgabe des Antragsstellers, die Originalität seiner Idee zu beweisen. Die Dokumente könnten daher Informationen liefern, wer sich in den kommenden Jahren in bestimmten Branchen einen Vorsprung erarbeiten werde oder welche neuen Marktsegmente eine Investition lohnten. Allerdings seien sie sehr komplex formuliert, zumal weltweit eine gewaltige Anzahl an Patentanträgen gestellt werde.

Daher biete die maschinelle Auslesung unschlagbare Vorteile. „Wir sind darüber zum Beispiel auf ein Unternehmen in Asien gestoßen, das Nähmaschinen für die Fertigung von Sportschuhen herstellt und für seine spezielle Methode ein wichtiges Patent beantragt hat. Das Unternehmen hat enorm vom Erfolg einer amerikanischen Sportbekleidungsfirma profitiert, die ein neues Sportschuhdesign, basierend auf dieser Technologie, auf den Markt gebracht hat. Da die beiden Unternehmen aber in völlig unterschiedlichen Branchen und Regionen tätig sind, hätten wir ohne unsere Analysemethode bestenfalls Glück gehabt, den Zusammenhang zu erkennen“, so der GSAM-Portfoliomanager. Durch weitere technologische Fortschritte werde die Textanalyse noch an Zuverlässigkeit und Detailliertheit gewinnen. Auch bei der Bildanalyse bestehe noch viel Potenzial für Weiterentwicklungen.