IM INTERVIEW: BERND HERTWECK

"Notfalls einen Schnaps mehr"

Der Verbandspräsident und Wüstenrot-Chef über Kreditrisiken, Corona und das Bausparkassen-IT-Projekt

"Notfalls einen Schnaps mehr"

Das Corona-Virus hat sich wie Mehltau auf den Markt für Wohnimmobilien gelegt. Dennoch geht Bernd Hertweck, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Privaten Bausparkassen, davon aus, dass eine scharfe Preiskorrektur ausbleiben wird. Auch wenn der Ertragsdruck für seine Branche weiter anhält, schätzt er, der im Hauptberuf dem Vorstand der Wüstenrot Bausparkasse AG vorsitzt, die Aussichten für die Bausparkassen als eher günstig ein. Neben dem Produkt Bausparen spielt dabei die reine Immobilienfinanzierung eine zunehmend wichtige Rolle. Herr Hertweck, durch Corona ist der Markt für Immobilienfinanzierungen praktisch zum Erliegen gekommen. Käufer wie Verkäufer warten ab. Kommt am Ende das, was Pessimisten schon lange erwartet haben: Das Platzen einer Blase am Immobilienmarkt?Die Folgen der Coronakrise sind natürlich davon abhängig, wie lange die Einschränkungen des öffentlichen Lebens gelten und wo wir dann stehen werden. Eine Blase kann allerdings nicht platzen, weil es nach unserer Überzeugung gar keine gibt. Zwar sind die Preise für selbst genutztes Wohneigentum in den vergangenen zehn Jahren deutschlandweit um 55 % gestiegen. Übertreibungen finden sich aber allenfalls in den sieben größten Städten. Dort haben sich die Preise mehr als verdoppelt. Die Dynamik des Preisanstiegs dürfte sich jetzt insgesamt zunächst abschwächen. Größere Preisrückgänge drohen am ehesten in den teuren Großstädten, kaum in den urbanen Ballungsräumen, wo wir weiterhin einen Nachfrageüberhang sehen. Unterm Strich ist daher nicht damit zu rechnen, dass es zu einer scharfen Preiskorrektur kommt. Vielmehr dürften die Wohnungsmärkte relativ gut durch die Krise kommen. Denn auch das Coronavirus setzt den Markt langfristig nicht außer Kraft. Dennoch wird die Verunsicherung durch Corona nicht spurlos an den Leuten vorübergehen . . .Bei drohender Arbeitslosigkeit wird mancher den Wunsch nach den eigenen vier Wänden zurückstellen müssen, das ist klar. Gleichzeitig aber lehrt uns die Krise auch, wie wichtig es ist, frühzeitig Eigenkapital anzusparen, um die Schuldenlast von vornherein zu begrenzen. In den vergangenen zehn Jahren war ein Stück weit zu erkennen, dass wir es verlernt haben vorzusorgen. Wenn aufgrund von Corona eine Rückbesinnung auf die Tugend des Sparens stattfinden würde, wäre das gut. Was halten Sie von Instrumenten wie “Mietstundung” und “Hypothekenauszeit”, die das Rettungspaket der Bundesregierung beinhaltet?Die Entscheidung, dass Mietern, die aufgrund der Pandemie drei Monate lang ihre Miete schuldig bleiben, nicht gekündigt werden darf, ist politisch nachvollziehbar. Man darf allerdings nicht vergessen, dass bei einer Stundung die Zahlung der Mieten nur gestreckt wird. Es bauen sich also Mietschulden auf, die zurückgezahlt werden müssen. Dasselbe gilt für die mögliche Aussetzung der Zins- und Tilgungsleistung bei einem Darlehen. Insgesamt ist es richtig, hier eine unkomplizierte Regelung eingerichtet zu haben, ohne die Finanzierer etwa mit einer Verschärfung der Eigenkapitalvorgaben zu belasten. Es sind bei uns bisher auch nicht allzu viele Stundungsanfragen seitens unserer Kunden gestellt worden. Als Bausparkassen tun wir alles, um den Kunden individuell zu helfen, indem beispielsweise Spar- und Tilgungsleistungen für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt werden. Schließlich hat niemand ein Interesse an geplatzten Krediten und Zwangsversteigerungen. Angesichts der immensen Neuverschuldung der Bundesrepublik wegen Corona könnte man, der reinen Lehre folgend, steigende Zinsen erwarten. Wäre das so abwegig?Für die kommenden zwei, drei Jahre sind sicher keine wesentlich höheren Zinsen zu erwarten, insbesondere aufgrund des aufgestockten Aufkaufprogramms für Anleihen der EZB. Daher erwarte ich eine Seitwärtsbewegung mit kleineren Auf und Abs. Längerfristig könnten infolge der höheren Staatsverschuldung die Bauzinsen durchaus wieder steigen. Deutsche Staatsanleihen, die auch den Takt für Hypothekenzinsen vorgeben, werden dann möglicherweise nicht mehr zum Nulltarif abgenommen. Sprechen sinkende Eigenkapitalquoten bei Baufinanzierungen nicht doch für Risikoaufschläge in Form von höheren Zinsen – und damit auch für höhere Margen?Nun, während der zehnjährigen Hochkonjunktur, die nun zu Ende gegangen ist, waren die Margen für Wohnbaufinanzierer zwar relativ bescheiden, aber doch vergleichsweise sicher. Ein erhöhtes Kreditrisiko, etwa aufgrund steigender Fremdfinanzierungsanteile, spräche tatsächlich für einen erhöhten Zins. Da wir aber einen hart umkämpften Baufinanzierungsmarkt haben, ist das schwer durchzusetzen. Ich denke, die gesamte Kreditbranche schaut sich die Ausfallrisiken noch einmal genauer an, um notfalls einen Schnaps mehr für das Risiko zu nehmen, das aber immer noch kalkulierbar bleibt. Tendenziell könnten Wohnungsfinanzierungen also um ein paar Basispunkte teurer werden, weil dies eingepreist werden müsste. Welche Erwartungen können denn die Bausparkassen für das laufende Jahr noch haben?Corona wird in diesem Jahr seine Schleifspuren hinterlassen, ohne Zweifel. Allein schon die zeitweise Schließung der Filialen wird sich im Neugeschäft widerspiegeln. Das gute Ergebnis des Jahres 2019, in dem die privaten Bausparkassen ihr Bausparvolumen um fast 4 % und die Zahl der neuen Verträge erstmals seit langem um gut 1 % steigern konnten, werden wir nicht wiederholen können. Der Trend zu höherer Eigenkapitalbildung zeigt sich an den seit Längerem sichtbaren, deutlich gestiegenen Durchschnittssummen der neu abgeschlossenen Bausparverträge. Diese Entwicklung dürfte durch die am 1. Januar 2021 anstehende Erhöhung der Wohnungsbauprämie noch verstärkt werden. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren ein- bis eineinhalb Millionen Menschen neu anfangen, gefördert zu sparen. Hinzu kommen Fördermöglichkeiten im Rahmen des Klimapakets der Bundesregierung zur Energieeinsparung. Nimmt man all dies zusammen, ist das Umfeld für die Bausparkassen eher günstig. Wüstenrot hat schon früh auf Digitalisierung gesetzt. Inwieweit kommt Ihnen dies in der Krise entgegen?Dass rund 80 % der Wüstenrot-Mitarbeiter derzeit problemlos im Homeoffice arbeiten, funktioniert nur, weil wir eine entsprechende Infrastruktur schon geschaffen hatten und kurzfristig weiter aufbauen konnten. Dadurch gelang es, eine Produktivität von 95 % gegenüber normalen Zeiten zu erreichen. Hinzu kommt, dass wir schon früh in digitale Abschlussprozesse investiert hatten, was uns während des Lockdowns erst recht zugutekommt. 2019 haben das BHW und die Deutsche Bank Bauspar fusioniert. In diesem Jahr wird Wüstenrot die Aachener Bausparkasse übernehmen. Seit den 1990er Jahren hat sich die Zahl der privaten Bausparkassen auf heute zehn mehr als halbiert. Dauert der Konsolidierungsprozess noch an?Das lässt sich schwer sagen. Sollte es zu neuen Zusammenschlüssen kommen, dann würde dies meines Erachtens nur geschehen, um eine starke Marke weiter auszubauen oder weil sich Anteilseigner auf ihr Kerngeschäft fokussieren wollen. Neben dem Kostendruck und dem Trend zur Digitalisierung lastet insbesondere die Niedrigzinssituation auf dem Geschäftsmodell der Bausparkassen. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die momentane Ertragssituation der Branche?Natürlich macht uns die anhaltende Niedrigzinssituation weiter zu schaffen. Altverträge, die bis 2006 abgeschlossen wurden, belasten die Ergebnisse, auch wenn sich die Bestände wie geplant reduzieren. Dennoch konnte die Branche 2018 mit einem aggregierten Zinsüberschuss von 2,7 Mrd. Euro den Tiefpunkt von 2016 überwinden. 2019 dürfte der Zinsüberschuss zwar nochmals unter Druck gekommen sein. Trotzdem kann man sagen, dass wir mit unserem Neugeschäft, sowohl mit Bausparen als auch mit der Baufinanzierung, gutes Geld verdienen. Baufinanzierungen, die wir nicht selbst darstellen können oder wollen, vermitteln wir über Portale an Drittbanken. Und um unabhängiger vom Zinsüberschuss zu werden, sind einige Institute auch als Plattformbetreiber aktiv – mit Partnerangeboten rund ums Wohnen. Wachstum generieren die Bausparkassen im Neugeschäft aber vor allem mit der außerkollektiven Baufinanzierung. Machen dauerhaft niedrige Zinsen das eigentliche Bausparen uninteressant?Nur mit einem Bausparvertrag kann man sich die heute extrem niedrigen Zinsen auch für den Fall sichern, dass erst in acht oder zehn Jahren finanziert oder umgeschuldet werden muss. Einmalig ist aber nicht nur der Zeitraum der Zinsgarantie, sondern auch die Kombination von Zinsgarantie und einem zweckgerichteten Eigenkapitalaufbau. Wir bieten beides aus einer Hand. Mehr Eigenkapital bedeutet weniger Schulden und weniger Tilgungslast. Niedrige Bauzinsen sind dafür kein Ersatz. Sie haben als Verband vor kurzem eine Wunschliste, die mehr finanziellen Spielraum fordert, an BaFin und Bund herangetragen. Erhöhen derartige Lockerungen nicht auch das Risiko im System?Es ging uns mehr um “technische” Erleichterungen wie die zeitliche Streckung von Maßnahmen – etwa den Verzicht auf Auskunftsersuchen oder die Verschiebung des nächsten Stresstests von 2021 auf 2022. Auch wollten wir klargestellt haben, dass ein im Coronakontext gestundeter Kredit nicht als “ausgefallen” gilt. Denn das wäre mit einer höheren Eigenkapitalunterlegung verbunden gewesen. Die Aufsicht hat sich in diesen Punkten verständnisvoll gezeigt. Die Bausparkassen sind gut kapitalisiert und leiden auch nicht unter Liquiditätsengpässen. Solche eher “technischen” Erleichterungen in der Verwaltungspraxis bringen deshalb auch nicht mehr Risiko ins System, sondern weniger. Ob diese Erleichterungen ausreichen, werden wir vielleicht im nächsten Jahr sehen, wenn wir wissen, was unter der viel beschworenen “neuen” Normalität nach Corona zu verstehen ist. Die Wüstenrot Bausparkasse baut schon seit geraumer Zeit zusammen mit dem BHW und der Bausparkasse Schwäbisch Hall an einem IT-Gemeinschaftsprojekt für ein neues Kernbankensystem. Wann ist hier mit der Fertigstellung zu rechnen?Der Grundgedanke dieses Projekts ist es, auf einer SAP-basierten Kernbankenanwendung für die Automatisierung von Geschäftsprozessen eine Nutzergemeinschaft zu bilden. Neue Bausparprodukte sollen sich künftig mit deutlich weniger Aufwand realisieren lassen und den Unternehmen die Flexibilität geben, auf Marktveränderungen schnell zu reagieren beziehungsweise neue Marktchancen durch Digitalisierung aufzugreifen. Der Vorteil wird sein, dass neue, nicht wettbewerbsrelevante Entwicklungen nicht von jedem Partner neu erfunden werden müssen. Es ist aber nicht ganz trivial, alle drei Beteiligten auf denselben Standard zu bringen. Daher gehe ich davon aus, dass das System bis Ende 2022 implementiert sein wird, so dass wir ab 2023 damit arbeiten können. Von da an versprechen wir uns bei Wüstenrot Einsparungen von 30 % unserer jährlichen IT-Kosten, was etwa 30 Mill. Euro entspricht. Damit wären unsere Investitionen nach zweieinhalb bis drei Jahren amortisiert. Das Interview führte Thomas Spengler.