Gabriel Khodzitski, Prea Group

Rechenzentren – muss es immer Frankfurt sein?

Wenn es um die Banken- und Finanzbranche geht, gilt Frankfurt am Main als die unangefochtene deutsche Nummer 1. Das bedeutet jedoch nicht, dass es junge, aufstrebende Unternehmen aus dem Finanzsektor zwangsweise nach Hessen zieht: Dem „Berlin...

Rechenzentren – muss es immer Frankfurt sein?

Wenn es um die Banken- und Finanzbranche geht, gilt Frankfurt am Main als die unangefochtene deutsche Nummer 1. Das bedeutet jedoch nicht, dass es junge, aufstrebende Unternehmen aus dem Finanzsektor zwangsweise nach Hessen zieht: Dem „Berlin Startup Monitor“ zufolge wird mehr als jedes dritte Fintech, also technikaffine Start-ups im Finanzsegment, in Berlin gegründet – unter anderem inzwischen namhafte Akteure wie N26 oder Trade Republic.

Deutsche Hochburg

Das ist kein Wunder, gilt Berlin doch völlig zu Recht als deutsche Start-up-Hochburg, was unter anderem an der erstklassigen Arbeitsmarktsituation dank der vier international renommierten Universitäten sowie unzähligen Fachhochschulen liegt. Besonders im Tech-Segment muss Berlin inzwischen den direkten Vergleich mit dem Silicon Valley beziehungsweise Mumbai oder Tel Aviv nicht mehr scheuen. Das Einzige, woran es in und um Berlin mangelt: Ausreichend lokale Infrastruktur in Form von Data-Centern. Diese werden nach wie vor meist in Frankfurt am Main entwickelt, obwohl dieser Standort immer mehr mit Unsicherheiten und Risiken behaftet ist.

Die Rechenzentrums-Hauptstadt Frankfurt gerät an ihre Grenzen. Der Tagesschau zufolge existieren in der Finanzmetropole allein 60 sogenannte Colocations, also Rechenzentren, die Kapazitäten an Dritte vermieten. Daher befindet sich aktuell auch der weltgrößte Internetknotenpunkt in Frankfurt, weshalb Neuansiedlungen von einem digitalen Geschwindigkeitsvorteil profitieren.

Enormer Datenverkehr

Diese Strukturen haben sich nicht zufällig etabliert: Die Frankfurter Finanzbranche war und ist auf einen enormen Datenverkehr angewiesen. Daher lag es nahe, dass die großen Finanzhäuser ihre Rechenzentren in der Nähe ihrer Zentrale errichten ließen. Für einige Bereiche, zum Beispiel den Hochfrequenzhandel, ist diese physische Nähe nach wie vor wichtig. Schließlich ist das Handelstempo dort so enorm, dass nicht nur der Datendurchsatz, sondern selbst die Länge der Glasfaserkabel für den Wettbewerbsvorteil entscheidend sein kann. Die hohe Konzentration sorgt jedoch für deutliche Probleme. Zum einen gelangt die Stadt energetisch an ihre Kapazitäten: Bereits vor fünf Jahren wurde der Vergleich gezogen, dass größere Rechenzentren in etwa so viel Strom verbrauchen wie eine US-ame­rikanische Kleinstadt.

In der Nähe von Berlin

Mittel- bis langfristig spricht daher vieles dafür, dass deutsche Rechenzentren verstärkt in der Nähe von Berlin entwickelt werden – sowohl unternehmenseigene Immobilien als auch anmietbare Colocations. Dieselben Vorteile, die die Finanzindustrie einst in Frankfurt vorfand, gelten wiederum für den „neuen“ Rechenzentrumsstandort Berlin: eine größtmögliche Nähe zu den rasant wachsenden Fintechs beziehungsweise den zahlreichen anderen Start-ups sowie den internationalen Großkonzernen wie Tesla, die sich verstärkt in der Metropolregion inklusive Speckgürtel ansiedeln.

Berlin bietet einen geografischen Sicherheitsvorteil. Auch für Unternehmen, bei denen die unmittelbare geografische Nähe keine Rolle spielt, bieten Colocations nahe der Bundeshauptstadt bestimmte Vorteile. Zum einen werden die Dateien innerhalb des deutschen Staatsgebiets gespeichert und die Rechenzentren nach deutschen Standards überwacht, was unter anderem für verschiedene rechtliche Aspekte äußerst wichtig ist. Zum anderen bieten sich standortbezogene Sicherheitsvorteile: Die Lagekriterien für Rechenzentren wurden in den vergangenen Jahren immer weiter ausdifferenziert, um beispielsweise Schäden durch Naturgewalten auszuschließen.

Erdbebenzonen beachten

Frankfurt am Main befindet sich genau an der Grenze zwischen Erdbebenzone 0 und Erdbebenzone 1, während Berlin nicht als Gefahrengebiet deklariert ist. Am 17. Mai 2014 wurde das im Frankfurter Speckgürtel gelegene Darmstadt von einem Erdbeben erschüttert, das eine Magnitude von 4,2 auf der Richterskala aufwies. Die Erdbebenzone 1 wird mit möglichen Intensitäten von bis zu 7,0 beziffert. Ein solches Beben in der Nähe von Frankfurt könnte schwere Schäden an den dortigen Rechenzentren verursachen. Gleiches gilt für die Gefahr durch Überschwemmungen: Einige der Frankfurter Rechenzentren sind gefährlich nahe am Main errichtet. In einem „Handelsblatt“-Artikel aus dem Juni 2020 wurde Frankfurts Stadtrat Mike Josef zitiert, der sogar Anträge für Rechenzentren in unmittelbarer Wasserlage erhalten habe.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) verschärft zudem kontinuierlich die Bestimmungen der sogenannten Georedundanz für hochverfügbare und höchstverfügbare Daten, deren stetiger Zugriff unbedingt gesichert sein muss. Meistens handelt es sich um sensible Daten von Behörden und großen Unternehmen, die selbst dann verfügbar sein müssen, wenn einzelne Rechenzentrumsstandorte ausfallen.

Seit Ende 2018 beträgt die nötige Entfernung 200 Kilometer von Rechenzentrum zu Rechenzentrum, um diese Georedundanz zu gewährleisten. Von Frankfurt am Main aus gesehen kommen Standorte wie Stuttgart, Nürnberg, Düsseldorf oder Dortmund, wo sich ebenfalls regionale Internetknotenpunkte befinden, diesbezüglich nicht in Frage. Sollte diese Entfernung irgendwann auf 300 Kilometer ausgeweitet werden, fällt beinahe der gesamte deutsche Süden inklusive Münchens weg. Berlin hingegen befindet sich selbst dann noch in ausreichender Entfernung.

Professionelle Investoren

Nicht allein aufgrund des enormen Datenbedarfs einer durchgehend digitalisierten und nach und nach immer stärker automatisierten Welt rücken Rechenzentren immer stärker in den Fokus von professionellen Investoren auf den Immobilientransaktionsmärkten. Rein investmenttechnisch betrachtet bieten sie die Möglichkeit, erhebliche Kapitalsummen in einer vergleichsweise „kleinen“ Immobilie zu allokieren: Einzeltransaktionen größerer Rechenzentren können dabei durchaus Größenordnungen erreichen, die sich mit dem Verkauf bundesweiter Wohn- oder Büroportfolios messen lassen. Dessen ungeachtet liegt die Rendite oftmals über dem Durchschnitt klassischer gewerblicher Assetklassen, und das Vermietungsmanagement ist denkbar einfach. Bei Colocations handelt es sich beispielsweise um Betreibermodelle mit langjährigen Mietverträgen. Die nötige Hardware wird dabei in aller Regel vom Mieter, nicht vom Vermieter gestellt.

Dennoch besteht wie bei jedem Betreibermodell ein gewisses Restrisiko: Ist die Immobilie an sich nicht mehr marktgängig, wird sich im Fall einer Insolvenz oder nach Auslaufen des Mietvertrags nur sehr schwer ein neuer Nutzer finden. Im hochkomplexen Segment der Rechenzentren ist es daher umso wichtiger, die branchen- und technikbezogenen Trends der kommenden Jahre zu antizipieren – und alternative Standorte und Immobilientypen abseits des „Mainstreams“ für Rechenzentren zu identifizieren.