DERIVATEREGULIERUNG

Sicherheit hat ihren Preis

Bürgenstock-Treffen: Langsame Fortschritte der Derivateregulierung beklagt - Lücken müssen geschlossen werden

Sicherheit hat ihren Preis

Mit einer Fülle von Regulierungsmaßnahmen sollen die vom Derivatehandel ausgehenden Risiken eingedämmt werden. Allerdings kommen die Beteiligten vor allem in Europa nur langsam voran, wie auf dem Bürgenstock-Treffen der Derivatebranche in Genf beklagt wurde.Von Udo Rettberg, GenfDem Markt für Finanzderivate wird in der breiten Öffentlichkeit allgemein nur wenig Beachtung geschenkt. Angesichts der Komplexität dieser Instrumente überrascht diese Tatsache nicht. Trotz der Brisanz und Explosionsgefahr, die diesen synthetischen Produkten innewohnt, stellen sie für die große Allgemeinheit ein Buch mit sieben Siegeln dar. Die mangelnde Aufmerksamkeit – das hat die Vergangenheit bewiesen – birgt allerdings große Gefahren. Im Extremfall können Derivate das gesamte Finanzsystem ins Wanken bringen. Risiken noch nicht gebanntDoch auch rund sieben Jahre nach dem Höhepunkt der Finanzkrise in den Jahren 2007 und 2008 sind die Risiken noch immer nicht gebannt. Dies auch, weil auf Seiten der Finanzmarktakteure noch immer keine Bereitschaft zu erkennen ist, ein weitgehend harmonisiertes Regelwerk in Nordamerika und Europa zu schaffen. Als Folge der Finanzkrise hatten die G20-Regierungen im September 2009 in Pittsburgh ein Maßnahmenbündel verabschiedet, das einen weiteren Kollaps verhindern soll. Auf diesem harten und steinigen Weg kommen die Beteiligten – vor allem in Europa – allerdings nur langsam voran. Dies wurde in der zurückliegenden Woche von führenden Vertretern der Branche im Rahmen des von der Swiss Futures and Options Association (SFOA) in Genf ausgerichteten 36. Bürgenstock-Treffens kritisiert.Zwei Zahlen dokumentieren das Risiko, das von den exorbitant aufgeblasenen Derivatemärkten ausgeht: Das weltweit ausstehende Nominal-Volumen erreicht nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich rund 630 Bill. US-Dollar (nach mehr als 700 Bill. in den Vorjahren). Das weltweite Bruttoinlandsprodukt liegt dagegen gerade einmal bei etwa 80 Bill. US-Dollar. Fachleute sprechen im Zusammenhang mit Derivaten von einer “Luftblase”. Aufsichtsbehörden versuchen mit Nachdruck, diese gefährlich erscheinende Situation zu entschärfen.Denn vor allem die OTC-Derivatemärkte gefährden noch immer oder – je nach Sicht der Dinge – schon wieder die Stabilität des globalen Finanzsystems. In Pittsburgh wurde beschlossen, die OTC-Derivatemärkte an die Kandare zu nehmen. Obwohl seither Fortschritte bei der Regulierung und Entschärfung des OTC-Marktes erzielt wurden, hängt das Wohl und Wehe der Finanzwelt und damit der Weltwirtschaft nach wie vor maßgeblich an der Stabilität dieser Finanzprodukte. Harmonisierte globale Regelwerke, die dieser stark internationalisierte und grenzüberschreitende Markt dringend benötigt, existieren noch immer nicht. Das Geschäft wird teurerEines zeichnet sich ganz deutlich ab: Die Kosten für Derivate nutzende Finanzmarktakteure sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen und dürften in den kommenden Jahren noch weiter steigen. Das gilt vor allem für OTC-Derivate, die den weitaus größten Teil des Gesamtmarktes darstellen. Die Umsetzung der komplexeren regulatorischen Bestimmungen ist nur ein Grund für höhere Kosten und Gebühren. Kostensteigerungen werden darüber hinaus auch durch die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien zum Beispiel im Zusammenhang mit Echtzeit-Margin-Calls bewirkt. Denn in einer Zeit, in der Mikrosekunden über Erfolg und Misserfolg von Terminbörsen und Clearinghäusern bestimmen, ist modernste Technologie für die Beteiligten ein Muss.Auch durch die breiter angelegte Infrastruktur auf Seiten der Börsen, Banken und Clearinghäuser ist ein Kostenschub im Derivategeschäft entstanden. Der entscheidende Kostentreiber ist indes darin zu sehen, dass die Kapitalkosten für das Clearing solcher OTC-Terminkontrakte steigen werden. Sicherheit hat eben ihren Preis. Nicht nur durch die Vorschriften von Basel III sind Banken und andere Marktteilnehmer gezwungen, bei solchen Geschäften bessere Sicherheitsleistungen in Form höherer Kapitalleistungen bei Clearinghäusern zu erbringen. Und das wiederum bedeutet, dass jene Banken, die ihren Kunden solche Dienstleistungen bieten, ihre Gebührenmodelle nach oben anpassen müssen. Standardisierung verlangtVon Banken kreierte und auf deren eigene Bedürfnisse ausgerichtete maßgeschneiderte Derivate wie Swaps, CDS, Forwards und Swaptions sollten – so die in Pittsburgh bekundete Absicht der Politiker – möglichst standardisiert werden, damit sie sich besser für den Handel an Terminbörsen eignen und danach über zentrale Clearinghäuser abgerechnet werden können. Damit würden OTC-Derivate in jene Infrastruktur und in jenes System übernommen werden können, in dem standardisierte börsennotierte Produkte wie Optionen und Futures seit dem Jahr 1848 zur wohl dynamischsten Finanzinnovation überhaupt geworden sind. Denn im Jahr 1848 wurde auf Betreiben der US-Agrarwirtschaft in Chicago das Board of Trade of the City of Chicago (später: Chicago Board of Trade – heute: CME Group) als Vorläufer moderner Terminbörsen ins Leben gerufen.Durch die Abrechnung über als zentrale Gegenparteien fungierende Clearinghäuser (CCP) wird das Bonitätsrisiko von OTC-Derivaten von zwei Marktteilnehmern (Käufer und Verkäufer) auf wesentlich breitere Schultern (nämlich auf das von vielen Mitgliedern getragene Clearinghaus) übertragen. Auf diese Weise kann das Bonitätsrisiko von bilateral zwischen Banken gehandelten Derivaten auf von möglichst vielen Marktteilnehmern finanziell getragene Clearinghäuser verlagert werden. Das verringert die im Falle von Pleiten einzelner Banken bestehende Ansteckungsgefahr und einen gefährlichen Dominoeffekt. Sell Side härter getroffenBei den Bemühungen der Finanzwelt hat es seit dem Jahr 2009 zwar Fortschritte gegeben, doch sind noch immer große Regulierungslücken vorhanden. Und genau hierin liegen für international tätige Finanzhäuser die großen Herausforderungen. “Wir brauchen dringend innovative Lösungen”, sagt Matthias Graulich, Chief Client Officer der Deutsche-Börse-Tochter Eurex, der größten Derivatebörse Europas. Im Rahmen des Bürgenstock-Meetings wiesen Vertreter von Aufsichtsbehörden darauf hin, dass die absehbaren Veränderungen im regulatorischen Umfeld Europas die Sell Side (also Banken, Broker, FCM und Börsen) wesentlich härter treffen werden als die Buy Side (Versicherungen, Pensionskassen, Family Offices etc). Gerade solche Kapitalsammelstellen, die im Niedrigzinsumfeld nach innovativen Produkten und Strategien suchen, dringen jedoch ungeduldig auf rasche Lösungen. Aufseher, Clearinghäuser und Börsen lassen sich zeitlich jedoch nicht unter Druck setzen.Für sie steht im Vordergrund, dass sich in Zukunft keine regulatorischen Lücken mehr auftun dürfen, wenn eine Wiederholung der Finanzkrise vermieden werden soll. “Wir werden in den nächsten Tagen Details der technischen Standards vorlegen”, machte Fabrizio Planta von der European Securities and Markets Authority (ESMA) große Hoffnung darauf, dass das Mifid-Regelwerk tatsächlich ab Januar des Jahres 2017 in Kraft treten kann.Europas Clearinghäuser haben im Vergleich zu den USA einen weniger riskanten Ansatz im Hinblick auf die finanzielle Sicherheit der Märkte. Das derzeit praktizierte System der Kapitalunterlegung von OTC-Derivatetransaktionen sei in Europa teurer als in den USA, hieß es in Genf. Das mache Clearinghäuser in Europa im globalen Vergleich sicherer. Es sollte allerdings nicht sein, dass Bonitätsrisiken von OTC-Derivaten zu stark auf Clearinghäuser übertragen werden. In diesem Fall könnten diese Einrichtungen letztlich selbst zu einem Systemrisiko werden. Während US-Wissenschaftler für den Fall der Pleite eines Clearinghauses in ihren Gedankenansätzen zuletzt eine entsprechende Rettungsaktion des Staates (also die Hilfe der Steuerzahler) forderten, sind Europas CCPs mit ihren höheren Kapitalanforderungen an die Marktteilnehmer stärker marktwirtschaftlich ausgerichtet.Ihre an die Marktteilnehmer gerichteten Kapitalforderungen sollen möglichst viele Eventualfälle abdecken. Diese Fälle treten zum Beispiel dann ein, wenn es zum Zusammenbruch einer oder mehrerer Banken und/oder eines oder mehrerer Clearing-Mitglieder kommen sollte, wodurch in der Folge dann möglicherweise auch das gesamte Central Counterparty Clearing House in eine Schieflage geraten könnte. Globaler Konsens angestrebtMarktteilnehmer in Europa üben bereits seit geraumer Zeit die Zukunft; denn sie nutzen heute schon – also viele Monate vor dem für Januar 2017 geplanten Inkrafttreten der neuen Mifid-II-Regeln – freiwillig die von den CCP gebotenen Leistungen bei der Abwicklung und Abrechnung von OTC-Derivaten. Die an der Regulierungsdebatte Beteiligten bemühen sich nicht nur um eine gemeinsame europäische Lösung, sondern auch um einen stärkeren globalen Konsens. Das macht Sinn, denn wie wohl keine andere Wirtschaftsbranche sind die Finanzmärkte global aufgestellt. Die künftigen europäischen Vorschriften sollen so weit wie möglich an die US-Regulierung angepasst werden. “Regulatory arbitrage” – also das Abwandern von Derivategeschäften an Börsen und Clearinghäuser mit der laxesten Regulierung – soll möglichst vermieden werden, sagte Warren Gorlick von der US-Aufsichtsbehörde CFTC. “Direct Clearing”Regulierungsbehörden spielen im Hinblick auf die bestehenden oder zu erlassenden Regeln unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsszenarien durch. Dabei geht es um die Möglichkeit, dass nicht nur ein Derivatekunde einer Bank, sondern gleich mehrere große Klienten insolvent werden und so in der Folge ein systemisches Risiko entstehen könnte. Und so wird derzeit auch darüber diskutiert, die außerhalb der Bankenbilanz existierenden Derivatetransaktionen nicht in die Kapitalanforderungen einzubeziehen. Darüber hinaus wird in der Branche verstärkt über “Direct Clearing” diskutiert. Das bedeutet, dass z. B. Banken eigene Geschäfte und/oder Kundengeschäfte selbst abwickeln und abrechnen können und das Clearinghaus nicht involviert wird.”Wir sind im transatlantischen Dialog auf einem guten Weg”, sagte CFTC-Mann Warren Gorlick. Bei dieser Bewertung erfuhr Gorlick eine Bestätigung durch Fabrizio Planta von der ESMA. Auch Walt Lukken, einstiger Chef der CFTC und heute Präsident und Vorstandschef der US-Branchenorganisation Futures Industry Association (FIA), war in Genf voll des Lobes, als er allen an den transatlantischen Regulierungsgesprächen beteiligten Vertretern den Willen unterstellte, tragbare Kompromisse finden zu wollen.