Verbandschefin Verena Pausder

Wo es in der deutschen Venture-Capital-Szene hakt

Verena Pausder sieht großes Potenzial in der deutschen VC-Szene. Welche Hebel die Start-up-Verbandschefin bei Versicherern, Pensionskassen und Universitäten sieht und warum sie sich für neue Gesetze ein Ablaufdatum wünscht.

Wo es in der deutschen Venture-Capital-Szene hakt

"Wir haben Innovationen in Deutschland, nur wir geben sie dann weg"

Start-up-Verbandschefin Verena Pausder redet Politik, Investoren und Universitäten ins Gewissen – Plädoyer für Gesetze mit Ablaufdatum

Von Philipp Habdank, Frankfurt

Ob Verena Pausder wohl jemals von Wagniskapital sprechen würde, wenn sie über die hiesige Venture-Capital-Szene spricht? Wohl eher nicht. Für die Unternehmerin und Chefin des Bundesverbands Deutsche Startups wäre das wohl eher Chancenkapital. Venture – das bedeutet übersetzt sowohl wagen als auch trauen. Deutschland müsse sich deutlich mehr zutrauen, appellierte Pausder am Dienstag auf einer Veranstaltung der Deutschen Börse in Frankfurt.

Ihr Anspruch: Deutschland müsse nicht immer nur dann beteiligt sein, wenn es darum gehe, Risiken und Verluste nach unten abzusichern. "Mit sicher, wie wir das in Deutschland definieren, bist du halt Schlusslicht, was das Wachstum angeht, weil du eben nach unten absicherst, aber nach oben so viel Potenzial verschenkst", so Pausder. Sie wünscht sich einen etwas höheren Anspruch, wenn es darum geht, in Deutschland entwickelte Ideen und Unternehmen hier auch großzumachen.

Mehr größere Venture-Capital-Deals

In der Frühphasenfinanzierung sei Deutschland inzwischen wahnsinnig stark und weltweit wettbewerbsfähig. Aber nur bis zur Series A – also Finanzierungsrunden bis 10 oder 20 Mill. Euro. "Beim Late-Stage-Kapital, das so ab 50 Millionen losgeht, da sind unsere Fonds zu klein", konstatiert Pausder und macht dafür auch deutsche Pensionskassen und Versicherer mitverantwortlich, die nicht in diese Assetklasse investieren würden.

Beim Late-Stage-Kapital, das so ab 50 Millionen losgeht, da sind unsere Fonds zu klein.

Verena Pausder, Deutscher Start-up-Verband

Das Geld dafür sei da, es müsse nur richtig allokiert werden, damit die großen Finanzierungsrunden nicht nur in den USA, sondern auch in Europa stattfinden könnten. "Wir investieren jedes Jahr mit unseren Pensionskassen und Versicherern 300 Milliarden", sagt Pausder und fragt sich, was wohl wäre, wenn nicht gleich 10%, aber vielleicht 3% über Dachfonds-Strukturen in Venture Capital fließen würden. "Ich glaube, da haben wir einen riesigen Hebel, den wir noch nicht umgelegt haben", ist sich Pausder sicher und schaut sehnsüchtig nach Frankreich.

Vive la France

Dessen Präsident Emmanuel Macron habe bewirkt, dass jährlich pro Versicherer mindestens 500 Mill. Euro in Venture Capital fließen würden. In den vergangenen vier Jahren sei die Start-up-Szene damit um 30% gewachsen. Zudem habe es ungefähr 6 Mrd. Euro zusätzlich für die Initiative gegeben. Darum findet es Pausder auch so gut, dass es jetzt nun die Initiative "Wagnis- und Innovationskapital für Deutschland" gibt. Sie soll deutsche Kapitalmärkte vor allem im Bereich Venture Capital wettbewerbsfähiger machen. Medienberichten zufolge soll Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) überlegen, dafür die Regulierung von Pensionskassen, Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen zu lockern.

Investoren verstecken sich hinter Regulierung

Auf die Regulierung allein lässt sich die bisherige Zurückhaltung deutscher Versicherer laut Pausder aber nicht schieben. Mit Blick auf die Solvency-II-Richtlinie dürften Versicherer schon jetzt viel mehr machen. Gar nicht in illiquide Anlageklassen investieren zu dürfen, sei auch "ein bisschen eine Ausrede". Schließlich braucht es für das Geschäft andere Leute als für Anlagen in Unternehmens- oder Staatsanleihen oder Immobilien.

Pausder lobt auch das Fachkräfteeinwanderungs- oder das Zukunftsfinanzierungsgesetz verbunden mit dem Wachstumsfonds, was in Deutschland schon auf den Weg gebracht ist. Gesetze müssten aber auch zum Leben erweckt werden. "In Deutschland machen wir hinter Gesetze oft einen Haken und dann guckt nie wieder jemand, ob das auch into action gekommen ist", kritisiert Pausder. Sie würde Gesetze deshalb gern mit einem Ablaufdatum versehen. Wenn ein neues Gesetz nach fünf Jahren nicht bestimmte KPIs erreicht habe, wird es wieder abgeschafft – postuliert Pausder und erntet dafür im Publikum lauten Beifall.

Gründen statt Forschen

Auch Universitäten und Hochschulen redet Pausder ins Gewissen. Deutschland sei zwar "Forschungsweltmeister" und auf Augenhöhe mit den USA, was Grundlagenforschung und Patente angeht. "Und dann brechen wir aber massiv ein bei den Ausgründungen", sagt Pausder und kritisiert, dass Professoren hierzulande auch keinerlei Anreiz dazu hätten, weil alles über Forschung, Publizieren und Lehre laufe.

Wir haben Innovationen in Deutschland, nur wir geben sie dann weg.

Verena Pausder, Deutscher Start-up-Verband

"Wir haben Innovationen in Deutschland, nur wir geben sie dann weg", moniert Pausder. Ein konkretes Beispiel ist Marvel Fusion. Das Münchener Kernfusions-Start-up ist in die USA gegangen, weil es dort von einer Universität 150 Millionen Forschungsgeld für den ersten Prototypen erhalte. Ankerinvestor ist mit Earlybird immerhin ein deutscher Venture-Capital-Fonds.

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