Wenn der Traktor nach getaner Arbeit selbst abrechnet

Das Start-up Cash on Ledger hat ein automatisiertes Bezahlsystem entwickelt, das die Maschinennutzung in der Landwirtschaft und Industrie umkrempeln soll. Dabei kombinieren die Gründer die Blockchain-Technologie mit dem Internet der Dinge – und haben bereits namhafte Partner gewonnen.

Wenn der Traktor nach getaner Arbeit selbst abrechnet

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Sobald der Traktor eingeschaltet ist, verfolgt die Telemetrie-Einheit jedes kleine Detail bis hinunter zur Kurbelwelle. Die Geschwindigkeit, die Temperaturdaten, die CO2-Emissionen, der Neigungswinkel bei der Arbeit am Hang, welche Anbauteile aufgesetzt sind, sogar welcher Zylinderkopf sich gerade bewegt – all das lesen die an der Landwirtschaftsmaschine angebrachten Sensoren aus. Die Nutzungsdaten finden mittels der Blockchain-Technologie ihren Weg auf das Cloud-Interface des Kölner Start-up Cash on Ledger, das sie in einem voll automatisierten Prozess ausliest, absichert und daraus Forderungen und tagesaktuelle Rechnungen an den Landwirt generiert. Zugleich speist die Payment Engine die Abrechnung in das Enterprise-Resource-Planning-System des Maschinenbauers ein, bei dem der Traktor vom Band gerollt ist.

Pilotprojekt in Österreich

Was nach Science-Fiction klingt, macht Cash on Ledger gerade in einem Pilotprojekt in Kooperation mit den österreichischen Lindner Traktorenwerken zur Realität. Der Grundgedanke hinter solchen Pay-per-Use-Modellen ist recht einfach und erscheint gut auf die Landwirtschaft anwendbar: Ein gewöhnlicher Traktor kostet etwa 100000 Euro, einige Modelle sind bis zu 3,5-mal so teuer. Viele Landwirte können die Maschinen aber gar nicht so auslasten, dass sich die Anschaffungskosten lohnen würden. Für sie wäre es weitaus attraktiver, nur dann zu zahlen, wenn sie die Maschine wirklich nutzen.

Die Dienstleistungen von Cash on Ledger sollen aber nicht auf landwirtschaftliche Geräte beschränkt bleiben. So ist ein Einsatz im Druckmaschinenbereich, aber auch in der industriellen Produktion laut den Köpfen hinter dem Start-up vorstellbar, die Verhandlungen mit künftigen Geschäftspartnern laufen. „Seit Jahren versuchen Maschinenbauer, Pay-per-Use-Modelle umzusetzen – doch der manuelle Prozessaufwand ist extrem hoch“, sagt Serkan Katilmis, Gründer und CEO von Cash on Ledger. Deshalb sei es notwendig, die Abrechnung, Buchhaltung und den resultierenden Zahlungsvorgang so weit wie möglich zu automatisieren. Erst mit einem Machine-to-Machine-Prozess seien derartige Modelle skalierbar, und der Umsatz wachse schneller als die anfallenden Kosten.

Distributed-Ledger-Technologien wie Blockchains ermöglichen dabei die Dokumentation und Übermittlung von Transaktionen. Im vergangenen Jahrzehnt habe sich der potenzielle Mehrwert der Blockchain-Technologie für Unternehmen grundlegend gewandelt, heißt es in der aktuellen Ausgabe des Global Blockchain Survey des Wirtschaftsprüfers Deloitte. Statt die Technik lediglich als Bezahlplattform für Kryptowährungen wahrzunehmen, implementierten Firmen Blockchain-Lösungen in einer großen Bandbreite von Feldern und investierten dabei viel Geld und Ressourcen. Von den 1488 für den Survey befragten Führungskräften gaben 55% an, die Anwendung der Blockchain-Technologie zu ihren fünf wichtigsten strategischen Zielen zu zählen. Bei der Umfrage im Jahr 2018 hatte der Wert noch 43% betragen, im vergangenen Jahr waren es bereits 53%. Während 2019 nach eigenen Angaben 23% der Befragten die Blockchain-Technologie in die Produktion überführt hätten, sind es im laufenden Jahr schon 39% – und wiederum fast die Hälfte von ihnen kommt aus Unternehmen mit Milliardenumsatz.

Rasanter Umbruch

Laut einer ähnlichen Umfrage des Wirtschaftsprüfers PricewaterhouseCoopers aus dem Jahr 2018 werden vor allem Unternehmen aus der Finanzdienstleistungsbranche als Blockchain-Vorreiter wahrgenommen, auf Platz 2 folgt mit Abstand das verarbeitende Gewerbe. Lösungen wie jene von Cash on Ledger sollen dazu beitragen, beide Sektoren digital zusammenzubringen.

„Die Entwicklung voll automatisierter Payment-Lösungen unter Verwendung der Blockchain-Technologie steckt in Deutschland insgesamt noch in den Kinderschuhen“, sagt Philipp Sandner, Leiter des Blockchain Centers der Frankfurt School of Finance. Es gebe zwar bereits mehrere Anbieter, die Prototypen entwickelt hätten. Darunter sei auch die Commerzbank, die schon einige Projekte mit großen Industrievertretern aufgelegt habe. Zielgerichtete, marktreife Produkte seien daraus bislang aber noch nicht entstanden.

Nutzung gewinnt an Fahrt

Nun gewinne die Nutzung des digitalen programmierbaren Euro für industrielle Anwendungen aber an Fahrt. „In drei bis fünf Jahren werden zig Maschinen direkt an den Euro-Zahlungsverkehr angeschlossen sein“, prognostiziert Sandner. Bis voll automatisierte Buchhaltungs- und Bezahlsysteme auf Blockchain-Basis großflächig Anwendung fänden, werde es aber noch fünf bis zehn Jahre dauern. In den ersten Phasen entwickelten sich technologische Umbrüche meistens rasant. Im Anschluss müssten allerdings Systeme umgestellt werden, die bereits seit Jahrzehnten im Betrieb seien – dies nehme einige Zeit in Anspruch.

Die Gründer von Cash on Ledger haben den Bereich der Distributed-Ledger-Technologien nach eigener Aussage dementsprechend zunächst vier bis fünf Jahre lang beobachtet, bevor sie in einem Pay-per-Use-Modell einen lohnenswerten Anwendungsfall erkannt hätten. Im September 2019 brachten sie das Fintech an den Start. „Für Blockchain-Start-ups ist es besonders wichtig, nicht nur über ein gutes Produkt zu verfügen, sondern sich auch so früh wie möglich eine Kundenbasis zu erschließen“, sagt Sandner. Zwar sei ein klarer Fokus für Gründer wichtig, allerdings müssten sie neben Distributed-Ledger-Technologien auch weitere Zukunftsthemen im Blick behalten. Wer es schaffe, gleich mehrere auf einer Plattform zu integrieren, sichere sich einen Vorsprung.

Cash on Ledger jedenfalls setzt neben der Blockchain auch auf Funktionen des Internets der Dinge. Dieses bildet einen Sammelbegriff für Technologien, die eine Vernetzung physischer und virtueller Gegenstände ermöglichen – ebenfalls ein gewaltiger Wachstumsmarkt. Laut der spanischen Privatuniversität EAE Business School werden die Endverbraucherausgaben für Lösungen in diesem Bereich bis ins Jahr 2025 auf fast 1,6 Bill. Dollar steigen – 2017 waren es noch etwa 110 Mrd. Dollar.

Im unsicheren Corona-Umfeld mit dem allseits hohen Bedarf an Liquidität versprechen sich die Gründer von Cash on Ledger zusätzliches Momentum für ihre Lösungen. „Viele Firmen wollen investieren, um wachsen zu können, halten aber aus Furcht vor einem zweiten Lockdown ihr Geld zusammen“, sagt Katilmis. Finanzierungsverträge über fünf oder zehn Jahre seien für diese Unternehmen häufig nicht mehr praktikabel.

Allerdings sei ein rudimentäres Modell, in dem der Nutzer eine Maschine nur nach Einsatz bezahle, aus Herstellersicht unattraktiv. Ein derartiger Ansatz berge für den Produzenten den Nachteil, dass er seine Bilanz aufblähe: Die Maschine bleibe in den Büchern, gegenrechenbar seien nur die Erträge aus der Gerätenutzung des Abnehmers. „Die Lösung für dieses Problem besteht darin, dass eine Finanzierung durch einen Investor, zum Beispiel eine Bank, eine Private-Equity-Gesellschaft oder ein Family Office, erfolgt“, sagt Katilmis. Dieser Investor könne sich auf seine Anlage Renditen sichern oder das Risiko aus den Leasingforderungen in Form besicherter Wertpapiere an den Kapitalmarkt weiterreichen. Zugleich bekomme der Hersteller die Maschine aus der Bilanz und der Nutzer spare Kosten ein.

Abgrenzung von Libra

Von den häufig mit der Blockchain assoziierten, privat emittierten Kryptowährungen will sich Cash on Ledger abgrenzen. „Aus unserer Sicht ist es zielführender, auf den digitalen programmierbaren Euro zu setzen“, sagt Katilmis. Dies erleichtere die Skalierbarkeit – in Europa hätten sich schließlich zahlreiche Länder bereits gegen private Initiativen wie Facebooks Projekt Libra gestellt. In Deutschland arbeiteten mehrere Banken bereits daran, den bisherigen Währungsstandard auf eine programmierfähige digitale Infrastruktur zu übertragen – Cash on Ledger kooperiert beispielsweise mit der Landesbank Baden-Württemberg.

Die Zusammenarbeit mit Banken bietet für junge Blockchain-Dienstleister laut Experte Sandner mehrere Vorteile. Indem solche Unternehmen die Lizenzen regulierter Finanzinstitute nutzen, verhindern sie, unter die voraussichtlich ab 2022 in Kraft tretende Kryptoregulierung der EU zu fallen. Denn diese werde für viele Start-ups auf kurze Sicht vermutlich einen Mehraufwand und steigende Kosten mit sich bringen. Allerdings gebe es in Deutschland nur sehr wenige Banken, die Produkte und Dienstleistungen für die Blockchain-Technologie anböten. Zudem seien Fintechs, die mit Banken kooperierten, in nur geringem Maße von den Bemühungen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Notenbanken zum digitalen programmierbaren Euro abhängig. „Dass die EZB dem Thema Beachtung schenkt, könnte für Blockchain-Start-ups sogar einen positiven Effekt haben – schließlich lenkt sie so Aufmerksamkeit auf digitale Zahlungssysteme“, sagt Sandner.

Auch auf technologischer Seite hat Cash on Ledger große Partner gewonnen. Von Infineon kommen die in die Traktoren integrierten Chips – mit den darauf gespeicherten Daten weisen sich die Maschinen beim Eintritt in die Blockchain aus und erhalten so die Befugnis, Transaktionsdaten in diese einzutragen.

Versicherung inklusive

Zudem will Cash on Ledger eine weitere Dienstleistung ins System einbinden. „Für Hersteller und Landwirte besteht immer das Risiko eines Maschinenbruchs, gerade wenn der Traktor im Hang genutzt wird“, sagt Maximilian Forster, Mitgründer und Chief Business Development Officer. Gemeinsam mit der R+V Versicherung arbeitet das Start-up deshalb an einem systematischen Schutz. Die Versicherungskosten werden zwischen den Vertragsparteien aufgeteilt, die für den Landwirt anfallende Prämie in seiner Rechnung für die Traktorennutzung inkludiert.

Ab Ende 2020 will Cash on Ledger ihre Dienstleistungen dann auf breiter Basis anbieten – zunächst wohl vor allem in Deutschland und eventuell in Österreich. „Grundsätzlich ist aber eine Nutzung im gesamten einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum möglich, sobald die ansässigen Banken beim digitalen Geldstandard den Schulterschluss gefunden haben“, sagt Katilmis. Perspektivisch soll über eine Anbindung an das Swift-Netzwerk die globale Adaption ermöglicht werden.

Die Einnahmen des Start-up sollen sich zunächst auch aus projektbasierten Entlohnungen zusammensetzen. „In späteren Stadien der Entwicklung werden wir dann an den Transaktionen über unsere Payment Engine sowie den Kommissionen an Versicherungen und Finanzierungen beteiligt“, sagt Forster. Prognosen über Umsatzzahlen oder Schätzungen, wann das Unternehmen profitabel sein wird, wollen die Gründer aber noch nicht abgeben.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.