Meme Stocks

AMC-Hype verunsichert Wall Street

Die Spekulationen auf im Internet gehypte Aktien nehmen an den US-Börsen wieder zu. Banken und Wertpapierhäuser reagieren mit Vorsichtsmaßnahmen, die Börsenaufsicht SEC zeigt sich besorgt.

AMC-Hype verunsichert Wall Street

Von Norbert Kuls, New York

Nach ein paar Monaten relativer Ruhe haben die heftigen Spekulationen auf von Kleinanlegern in Internetforen hochgejubelte US-Aktien wieder zugenommen. Ohne ersichtliche fundamentale Gründe sind die Kurse der US-Kinokette AMC Entertainment oder des Videospiel-Einzelhändlers Gamestop seit Mitte Mai – begleitet von starken Schwankungen – deutlich gestiegen. Der Kurs von AMC, deren Vorstandschef Adam Aron Anlegern jüngst Gratis-Popcorn versprach, hat sich in den vergangenen Wochen fast versechsfacht. Der Kurs von Gamestop hat sich im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt. Zu anderen Titeln aus der zweiten Reihe, die sich im Visier von US-Kleinanlegern­ befinden und konzertiert in die Höhe getrieben werden, gehören Koss, ein Hersteller von Kopfhörern, der Modeeinzelhändler Express, der kanadische Softwareanbieter Blackberry und Bed Bath & Beyond, ein auf Haushaltswaren spezialisierter US-Einzelhändler. Nach kräftigen Kursaufschlägen am Montag legten die im Wall-Street-Jargon als „Meme Stocks“ bezeichneten Aktien am Dienstag im frühen Handel mehrheitlich weiter überdurchschnittlich zu. Als „Meme“ werden populäre Bilder oder Videos bezeichnet, die im Internet kursieren.

Wie schon zu Beginn des Jahres scheinen es die Kleinanleger auf Aktien abgesehen zu haben, bei denen Hedgefonds und andere Profianleger mit Leerverkäufen auf fallende Kurse wetten. Steigen die Kurse der Aktien indes, drohen den Hedgefonds empfindliche Verluste. Bei Leerverkäufen verkaufen Hedgefonds geliehene Aktien, um sie später zu einem günstigeren Kurs wieder zurückzukaufen und die Differenz als Gewinn einzustreichen. Kleinanleger auf Plattformen wie Reddit wetten darauf, dass die Leerverkäufer angesichts der steigenden Kurse aufgeben und die Aktien zurückkaufen, um ihre Verluste zu begrenzen, – was zu weiter steigenden Kursen führt. Nach Angaben der Analysegesellschaft S3 Partners haben Profi­anleger mit Leerverkäufen von AMC 2021 schon 4 Mrd. Dollar Verlust gemacht. Bei Gamestop beliefen sich die Verluste auf rund 7 Mrd. Dollar.

Analysten geben auf

Angesichts der Kursturbulenzen geben sich auch die ersten Wall-Street-Analysten geschlagen. Curtis Nagle von der Bank of America hat seine Berichterstattung zu Gamestop beendet und die Bewertung von Bed Bath & Beyond zunächst ausgesetzt. Der Aktienkurs von Bed Bath & Beyond war am vergangenen Mittwoch um mehr als 60% gestiegen und am Tag darauf wieder um fast 30% eingebrochen. „Wir sind der Meinung, dass die Aktien von Bed Bath & Beyond nicht mehr nach fundamentalen Gesichtspunkten gehandelt werden“, schrieb Nagle. „Wir glauben, dass der rasante Anstieg der Bed-Bath-&-Beyond-Aktie von zu­nehmendem Interesse und Handel unter der Führung von Privatanlegern getrieben wird“, ergänzt er.

Joseph Feldman, Analyst beim Wertpapierhaus Telsey Advisory Group, hat die Bewertung von Gamestop ebenfalls eingestellt. Feldman hatte für die Aktien eine gegenüber dem Gesamtmarkt unterdurchschnittliche Entwicklung mit einem Kursziel von 30 Dollar avisiert – rund 100% unter dem aktuellen Wert.

Banken und Wertpapierhäuser reagierten mit Vorsichtsmaßnahmen auf die Volatilität. Der Online-Broker TD Ameritrade erlaubt Kunden den Kauf von AMC- und Gamestop-Aktien nicht mehr auf Kredit. Goldman Sachs, Bank of America und Citi­group verlangen nach Angaben der Agentur Bloomberg von in Meme-Aktien engagierten Hedgefonds höhere Sicherheitsleistungen. Außerdem schränken sie die Leerverkäufe ein, die Hedgefonds über sie abwickeln.

Die Kurskapriolen haben auch die US-Börsenaufsicht SEC auf den Plan gerufen, nachdem es in den vergangenen Monaten im Kongress mehrfach Anhörungen zu dem Thema gegeben hatte. Die SEC beobachte die Märkte und suche nach jeglichen Anzeichen von Fehlverhalten und Manipulation, hieß es in einer Stellungnahme vom Montag. „Darüber hinaus werden wir handeln, um Kleinanleger zu schützen, wenn Verstöße gegen das Wertpapierrecht festgestellt werden.“

Der neue SEC-Vorsitzende Gary Gensler hatte im Mai bei einer Anhörung die Sorge geäußert, dass bei Privatanlegern beliebte Wertpapierhandelsapps wie Robinhood zu stark Videospielen ähneln. Die Anbieter setzten „spielähnliche Funktionen wie Punkte oder Belohnungen“ ein, um das Engagement der Nutzer zu steigern. „Viele dieser Funktionen ermutigen Investoren, mehr zu handeln“, sagte Gensler. Einige wissenschaftliche Untersuchungen legten indes nahe, dass aktiverer Handel für den Durchschnittsanleger zu niedrigeren Renditen führe. Nach Medienberichten erwägt die SEC Warnhinweise zu potenziellen Kursverlusten vor Abschluss einer Transaktion. Das Fintech Robinhood, das zuletzt mit knapp 12 Mrd. Dollar bewertet wurde, plant noch in diesem Jahr seinen Börsengang.

Zeichen des Überschwangs

Matt Maley, der die Marktstrategie beim Wertpapierhaus Miller Tabak verantwortet, warnte vor einem bösen Ende der AMC-Manie. „Die dramatischen Kursbewegungen sind einfach ein Zeichen von Überschwang auf dem Markt“, sagte Maley dem Wirtschaftssender CNBC. Sobald die Notenbank ihre expansive Geldpolitik etwas zurückfahre, werde es für einige Aktien, die weit über ihren Fundamentaldaten gehandelt werden, „wirklich rau“.

AMC sei zwar nicht so bedeutsam, dass es zu einem Börsenkrach kommen werde. Eine allgemeine Kurskorrektur erwartet Maley dennoch. „Was im Moment vor sich geht, ist einfach nicht gesund“, sagte er.