Kursturbulenzen

Die Zocker stürzen sich auf Windeln.de

Die Aktie von Windeln.de ist zum Objekt von Zockern geworden, die sich in Internetforen zu Käufen verabreden. Grundlage sind abenteuerliche Gerüchte um das Unternehmen und chinesische Hedgefonds.

Die Zocker stürzen sich auf Windeln.de

Von Christopher Kalbhenn und Alex Wehnert, Frankfurt

Zustände wie in den USA, wo über soziale Medien organisierte aktivistische Anleger konzertierte Käufe von Aktien von zumeist geringer Qualität verabreden und exorbitante Kurssteigerungen auslösen, scheinen auf Deutschland überzugreifen. Die Aktie der Windeln.de ist nun zum Objekt der Zocker geworden. Am vergangenen Freitag zuletzt bei 0,95 Euro notierend, schoss die Aktie bis auf ein am Mittwoch erreichtes Hoch von 6,92 Euro hoch. Ihre Marktkapitalisierung erhöhte sich damit von 11,5 Mill. bis auf 83,5 Mill. Euro.

Getrieben wird der Titel von fragwürdigen Empfehlungen, die im Internet verbreitet werden. So wurde unter anderem über die Plattform Reddit, die auch aktivistische US-Kleinanleger­ zur Kommunikation nutzen, kolportiert, dass die nun in China erfolgte Erlaubnis von drei Kindern pro Familie die Geschäftsaussichten des Unternehmens dramatisch verbessere. Dass dies bei leichtgläubigen Anlegern zog, ist darauf zurückzuführen, dass Windeln.de rund drei Viertel ihres Umsatzes in China generiert.

Unter den Tisch fällt dabei, dass die Aufhebung der Ein-Kind-Politik wohl höchstens mit einer langen Zeitverzögerung auf die Nachfrage durchschlagen würde und die angespannte Liquiditätssituation von Windeln.de es fraglich erscheinen lässt, ob das Unternehmen überhaupt von einem solchen Boom profitieren könnte. Zudem zählt die Plattform von Windeln.de, die mehr als 200 Beschäftigte hat, laut dem Research-Haus Montega lediglich rund 300000 Nutzer.

In Reddit-Subthreads riefen Aktivisten auch mit dem Verweis auf angebliche spekulative Aktivitäten chinesischer Hedgefonds bei Windeln.de zu Käufen auf. Unter anderem gingen auf der Plattform Gerüchte um, Leerverkäufer wollten den Kurs drücken, um das Unternehmen günstig übernehmen zu können. Unter dem ersten, inzwischen wieder gelöschten Post finden sich Kommentare wie: „Da sollten wir wohl dagegenhalten. In Windeln zum Mond!“ Dass auch das Hedgefonds-Narrativ offenbar verfängt, könnte darauf zurückzuführen sein, dass der größte Anteilseigner der Gesellschaft die Hedgestone Multi-Strategy Global Consumer Fund ist (21,8%).

Unterschiede zum US-Markt

Das zeigt aber auch Unterschiede zum Treiben am US-Aktienmarkt auf. Dort wurden konzertierte Käufe bei Unternehmen in schwieriger La­ge getätigt, in denen Leerverkäufer großvolumig Short-Positionen aufgebaut hatten. Ziel war es, diese auszuhebeln – mit dem bekannten Er­folg: Auf die ursprünglichen Kursexplosionen hin waren viele Short Seller gezwungen, sich mit Aktien der betroffenen Unternehmen einzudecken, um ihre Verluste zu begrenzen. Dies verstärkte den Höhenflug von Gamestop und Co. Hedgestone Multi-Strategy Global Consumer Fund ist als Anteilseigner kein Leerverkäufer, im Bundesanzeiger liegen keine Meldungen über Leerverkaufspositionen in Aktien der Windeln.de vor.

In den USA haben die Kurskapriolen der sogenannten Meme Stocks die SEC auf den Plan gerufen: Nach Medienberichten erwägt die Börsenaufsicht Warnhinweise an Privatanleger, die über Neobroker wie Robinhood Aktien von Gamestop und AMC Entertainment handeln. Die deutsche Finanzaufsicht will sich indes nicht zu Kursausschlägen bei Einzelwerten wie Windeln.de äußern. „Die BaFin prüft extreme Kursausschläge immer darauf, ob Verdachtsmomente hinsichtlich konzertierten Handelns und einer Marktmanipulation oder eines Marktmissbrauchs vorliegen“, heißt es aber auf Anfrage.

Wie bei den amerikanischen Beispielen entwickelt sich das Geschäft der Windeln.de alles andere als berauschend. 2020 erwirtschaftete das Unternehmen einen Fehlbetrag von 14 Mill. nach 14,6 Mill. im Jahr zuvor und 37,3 Mill. Euro 2018. Das Unternehmen kündigte am 5. März eine noch durchzuführende Kapitalerhöhung von bis zu 10% an und teilte am 1. April mit, dass ein Verlust von mehr als der Hälfte des Grundkapitals eingetreten sei.

Schwaches erstes Quartal

Auch das erste Quartal überzeugte nicht. Der Erlös ging im Vorjahresvergleich um 1,9% auf 14,6 Mill. Euro zurück, das Ebit (Ergebnis vor Zinsen und Steuern) betrug –3,4 Mill. nach –3 Mill. Euro. „Jahresauftaktquartal lässt noch keine Trendumkehr erkennen“, überschrieb Montega ihren Kommentar zu den Zahlen. Im laufenden Geschäftsjahr rechne der Vorstand unverändert mit einem „sehr starken“ Umsatzwachstum sowie einer „sehr starken“ Ergebnisverbesserung. Die von dem Unternehmen avisierte Kapitalmaßnahme sei essenziell, um die Ziele zu erreichen. Das organische Wachstum in China sei zwar ein Lichtblick. Allerdings sei die Liquiditätslage insbesondere mit Blick auf die notwendige Vorfinanzierung für das Jahresschlussquartal wieder etwas angespannt. „Bis zur Klärung der Finanzlage setzen wir das Rating aus“, so das Research-Haus, das die Aktie zuletzt mit einem Kursziel von 1,60 Euro zum Halten empfohlen hatte.