Aktienmärkte

„Ein zyklischer Bärenmarkt“

Goldman Sachs glaubt, dass der aktuelle Bärenmarkt zyklischer Natur ist und noch weitere Kursrückgänge zu erwarten sind, bevor der Boden erreicht wird.

„Ein zyklischer Bärenmarkt“

ck Frankfurt

Kaum jemand hat zum Jahreswechsel mit einem Bärenmarkt, definiert als Rückgang der Kurse im Vergleich zum vorangegangenen Hoch um 20% und mehr, gerechnet. Doch nun sind so gut wie alle Aktienmärkte weltweit seit den Höhen von Januar um über 20% gesunken, darunter nicht zuletzt der amerikanische, nachdem kürzlich auch der S&P 500 als wichtigster Benchmark-Index die Bärenmarktschwelle überschritten hat.

Im Durchschnitt 26 Monate

Anleger, die auf ein baldiges Ende des Bärenmarktes warten, werden sich möglicherweise noch eine Weile gedulden müssen. Das legt zumindest eine Studie nahe, in der Goldman Sachs die aktuelle Marktschwäche analysiert und mit den US-Bärenmärkten seit 1835 vergleicht. Rund fünf Monate ist der Bärenmarkt dieses Jahres derzeit alt, die Kursverluste belaufen sich auf 23%. Im Durchschnitt haben Bärenmärkte in den USA in der Vergangenheit jedoch etwas mehr als zwei Jahre bzw. 26 Monate gedauert, und der durchschnittliche Kursrückgang gegenüber dem vorangegangenen Hoch belief sich auf 37%. Bärenmärkte in den USA haben bis zu 82 Monate gedauert, der kürzeste mit nur einem Monat war der Corona-Crash im Jahr 2020. Der stärkste Rückgang (85%) war das Ergebnis des Bärenmarktes, der mit dem großen Crash von 1929 begann, auf den die Große Depression folgte.

Der bisher am Aktienmarkt entstandene Schaden reflektiert Goldman Sachs zufolge den Anstieg der Kapitalkosten, der vor allem Aktien mit langer Duration getroffen habe, und Rezessionsrisiken, durch die viele Zykliker eine Underperformance gegenüber defensiven Aktien erlitten hätten. Für Investoren seien nun zwei Fragen entscheidend, nämlich wie weit sich Aktien noch anpassen, bis die Talsohle erreicht ist, und welche Eigenschaften der neue Zyklus aufweisen wird.

Das US-Institut unterscheidet drei Arten von Bärenmärkten. Eine Variante sind strukturelle Bärenmärkte, die von strukturellen Ungleichgewichten und Finanzblasen ausgelöst werden und denen sehr oft ein „Preis“-Schock wie eine Deflation folgt. Dazu zählt das Institut die Große Finanzkrise, die von der Blase am US-Häusermarkt und der Enthebelung der Bilanzen des Privatsektors im Jahr 2008 geprägt war. Zyklische Bärenmärkte gehen Goldman Sachs zufolge üblicherweise mit steigenden Zinsen, einer sich anbahnenden Rezession und fallenden Unternehmensgewinnen einher. Sie seien ein Teil des ökonomischen Zyklus. Hinzu kommen schließlich ereignisgetriebene Bärenmärkte, denen das Institut den Corona-Crash zurechnet.

Die aktuelle Marktschwäche ist nach Auffassung von Goldman Sachs „ein zyklischer Bärenmarkt“. In der Vergangenheit dauerten solche Bärenmärkte durchschnittlich 25 Monate bei einem Kursrückgang von im Durchschnitt 31%. Strukturelle und ereignisgetriebene Bärenmärkte hatten durchschnittlich eine Dauer von 42 bzw. 8 Monaten bei Kursrückgängen von 57% bzw. 29%.

Der Bärenmarkt dieses Jahres habe aufgrund des Ukraine-Krieges zwar Eigenschaften eines ereignisgetriebenen Bärenmarktes, und das Ausmaß der vorangegangenen spekulativen Kursanstiege etwa bei unprofitablen Tech-Unternehmen und Kryptowährungen weise einige typische Muster zyklischer Bärenmärkte auf. Die Haupttreiber eines typischen zyklischen Bärenmarktes seien jedoch ein Anstieg von Inflation und Zinsen und die Einpreisung eines Rezessionsrisikos. Goldman Sachs meint, dass die meisten Aktienmärkte derzeit keine schwere, aber eine milde Rezession einpreisen. Ferner glaubt das Institut, dass der Bärenmarkt noch nicht zu Ende ist. Die meisten Bärenmärkte endeten, wenn die wirtschaftliche Lage noch schlecht sei, aber sich das Gefühl einstelle, dass sie sich nicht mehr mit der gleichen Geschwindigkeit verschlechtere. In diesem Zusammenhang sei mit weiteren Kursrückgängen zu rechnen, insbesondere durch das potenzielle Einpreisen höherer Leitzinsen und Anleiherenditen.

Steigende Kapitalkosten

Goldman Sachs ist außerdem der Meinung, dass sich die Welt in einem Übergang zu einem „postmodernen Zyklus“ befindet, der sich erheblich von den beiden zurückliegenden Zyklen unterscheidet. Gekennzeichnet ist dieser dem Institut zufolge unter anderem dadurch, dass das Inflationsrisiko nun größer sei als das Deflationsrisiko, was die Kapitalkosten hochtreibe. Regionalisierung dominiere nun über Globalisierung. Ressourcen würden knapp, Arbeitskräfte und Rohstoffe teuer, was Investitionen auslöse. Es gebe einen Bedarf an neuen Investitionen, die Regierungen würden aktiver. Die Investoren fokussierten sich mehr auf Margen als auf Erlöse. Die Implikationen dieses neuen Umfelds für Aktien sind dem Institut zufolge nicht sehr erfreulich. Investoren müssen sich seiner Einschätzung nach auf niedrigere Anlageerträge einstellen.

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