Devisen

Geldpolitik ersetzt Risk-on/Risk-off-Muster

Vor gut einem Jahr hatten die Notenbanken weltweit tief in ihre Trickkisten gegriffen und in bis dato ungekanntem Ausmaß geldpolitische Hilfen in der Coronakrise bereitgestellt. Einige stockten bereits bestehende QE-Programme auf, andere führten...

Geldpolitik ersetzt Risk-on/Risk-off-Muster

Von Dorothea Huttanus*)

Vor gut einem Jahr hatten die Notenbanken weltweit tief in ihre Trickkisten gegriffen und in bis dato ungekanntem Ausmaß geldpolitische Hilfen in der Coronakrise bereitgestellt. Einige stockten bereits bestehende QE-Programme auf, andere führten entsprechende Wertpapierkäufe neu ein, wieder andere schöpften ihr vorhandenes Leitzinssenkungspotenzial aus. Inzwischen ist nicht nur die globale Risikofreude zurückgekehrt, auch die ökonomischen Bedingungen haben sich, mit regionalen Unterschieden, so stark verbessert, dass sich die Frage aufdrängt, wie lange die Notenbanken noch am geldpolitischen Notfallmodus festhalten werden. Die vermeintlichen Exit-Pläne der US-Notenbank haben die Märkte weltweit in den letzten Monaten in Aufruhr versetzt; und auch die Zukunft des PEPP-Krisenprogramms der EZB, das im März 2022 planmäßig auslaufen würde, bietet Spielraum für Diskussionen. Unser Interesse gilt heute den anderen, kleineren Zentralbanken, unter denen nicht wenige bereits ihre geldpolitische Normalisierung mehr oder weniger heimlich angestoßen haben.

Aus der Perspektive des Devisenmarktes ist nicht jeder geldpolitische Kurswechsel gleich zu werten. Es gibt gute und schlechte Zinserhöhungserwartungen. Maßnahmen der Geldpolitik, die als Abwehr gegen ausufernde Inflation angestoßen werden „müssen“, sind weniger attraktiv als solche, die aufgrund von Fortschritten in der Pandemiebekämpfung erfolgen „können“. Für den FX-Markt ist eine weniger expansive Geldpolitik dann attraktiv, wenn sie nicht von der Teuerung aufgefressen wird, sondern auch im Realzins noch etwas für die Investoren hängen bleibt.

Kampfansage an Inflation

Am offenkundigsten ist die Entwicklung dort, wo es zu traditionellen Leitzinserhöhungen gekommen ist, dem Inbegriff der geldpolitischen Normalisierung. In Russland, Brasilien und der Türkei wurden die Schlüsselzinsen in den letzten Wochen um 75, 150 bzw. 200 Basispunkte erhöht. Dies ist allerdings kein Vertrauensbeweis hinsichtlich des Endes der Krise, sondern eine Kampfansage an die Inflation. In der Türkei geht (bzw. ging) es zudem um die Verteidigung der Lira und die institutionelle Unabhängigkeit der Notenbank. Noch nicht an der Zinsschraube gedreht, aber entsprechende Absichtserklärungen abgegeben haben die Notenbanken in Norwegen und Tschechien. Der Weg zur Leitzinswende ist hier klar vorgezeichnet und wird für die zweite Jahreshälfte von den Notenbanken in Aussicht gestellt. China wiederum liegt nicht nur im Kampf gegen die Pandemie, sondern auch bei der Rückkehr zum geldpolitischen Normalzustand weltweit vorn. Die PBoC-Bilanz schrumpft schon seit einigen Monaten. Obwohl in all diesen genannten Ländern der geldpolitische Ausstieg aus der Coronakrisenpolitik in vollem Gang ist, ist die Reaktion der zugehörigen Währungen sehr unterschiedlich. Allein eine geldpolitische Wende ist demnach noch lange kein Garant für eine Aufwertung.

Für Notenbanken mit QE- oder ähnlichen Kaufprogrammen ist der erste Schritt zur Normalisierung keine Zinserhöhung, sondern eine Reduzierung der Wertpapierkäufe. Kanadas Notenbank hat erst kürzlich und als erste der G10-Länder offiziell ihr Tapering, die Reduzierung ihrer wöchentlichen Anleihekäufe, gestartet. Eine spezielle Variante eines De-facto-Tapering sehen wir in der Schweiz. Die SNB hatte zwar nie ein klassisches QE-Programm, aber durch ihre enormen FX-Interventionen massive Liquidität geschaffen. Dass sie seit rund einem halben Jahr weitgehend auf Eingriffe am Devisenmarkt verzichtet, kommt mit Blick auf die jetzt nicht mehr wachsende Bilanzsumme einem Ausstieg aus der Krisenpolitik gleich.

Die Zentralbanken in Japan und Australien weisen Exit-Unterstellungen zwar empört von sich; die Realität in Form ihrer tatsächlichen Käufe straft sie aber Lügen. Die BoJ-Bilanz expandiert nur noch langsam, und der JGB-Bestand (als Resultat der QE-Käufe) wächst praktisch nicht mehr. Australiens RBA verlängert zwar offiziell ihr Kaufprogramm immer wieder, schöpft das theoretisch zur Verfügung stehende Volumen aber nicht annähernd aus. Ihr QE-Programm verkommt immer mehr zur Symbolpolitik, und im Jahresverlauf dürfte es immer schwerer werden, die Marktspekulationen über einen echten Exit einzufangen.

Die globale Liquiditätslage wird weiterhin von den großen Notenbanken EZB und Fed geprägt, auf die weltweit die Mehrheit des frischen Zentralbankgeldes entfällt. Insofern muss der globale Risikoappetit derzeit noch nicht auf sein lieb gewonnenes Rettungsnetz verzichten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass einige der kleinen Länder ihre eigenen Wege gehen. Dies geschieht nicht als offizieller Ausstieg aus der geldpolitischen Krisenpolitik, sondern schleichend und möglichst heimlich. Schließlich gilt es vor allem bei den Musterschülern (Australien, China, Norwegen), den ohnehin latent vorhandenen Aufwertungsdruck auf die Währung nicht zusätzlich zu verstärken. Auf Dauer wird sich der angeborene Marktreflex aber nicht unterdrücken lassen, auf eine weniger expansive Geldpolitik mit FX-Nachfrage zu reagieren.

Ein Wandel in der Wahrnehmung der wechselkursbestimmenden Argumente ist längst zu erkennen: Ultralockere Geldpolitik wird nicht mehr unreflektiert als universelle Antwort auf alle Krisen willkommen geheißen. Immer mehr Notenbanken und damit auch Währungen werfen inzwischen ein Auge auf die Inflation. Statt des in den letzten Jahren so vertrauten RoRo-Musters (Risk on/Risk off) sollten wir uns auf einen Gezeitenwechsel vorbereiten. Schon in Kürze sollte sich am Devisenmarkt wieder alles um das traditionellste aller Argumente drehen: die globale Zinsdivergenz.

*) Dorothea Huttanus ist Senior-Analystin Devisenmärkte der DZBank.