Rohstoffmärkte

Kampf um Ölmarkt spitzt sich zu

Um den Ölmarkt ist ein heftiger Machtkampf entbrannt. Ein Kartell der westlichen Industrieländer will der Opec plus die Herrschaft über den Markt streitig machen. Der Versuch dürfte aber scheitern.

Kampf um Ölmarkt spitzt sich zu

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Der Ölpreis hat in den vergangenen Wochen eine auffällig hohe Volatilität gezeigt. Allein in den vergangenen drei Monaten bewegte sich die Notierung der weltweit führenden Ölsorte Brent Crude zwischen 84 Dollar je Barrel und 105 Dollar. Sucht man nach einer Erklärung für diese für den Ölmarkt ungewöhnlich hohe Volatilität, so wird schnell klar, dass die gegenwärtigen geopolitischen Konflikte hier eine Hauptrolle spielen. Darüber hinaus gibt es eine erhebliche Verunsicherung am Markt hinsichtlich der weiteren Entwicklung von Angebot und Nachfrage, die derzeit aber ebenfalls in hohem Maße von den geopolitischen Faktoren beeinflusst wird.

Dreh- und Angelpunkt des aktuellen Geschehens am Ölmarkt ist der Kampf um die Kontrolle über den Markt zwischen dem Anbieterkartell Opec plus und einem entstehenden Nachfragerkartell aus G7 und EU unter Führung der USA. Der Opec war im Rahmen der Ölkrise des Jahres 1973 die Übernahme der Kontrolle des Ölmarktes gelungen. Seither hatte sie diese nicht wieder verloren, trotz zwischenzeitlich weitreichender struktureller Veränderungen am Ölmarkt. So ging der Anteil der klassischen Opec an der weltweiten Ölförderung zurück, es traten große neue Player auf, vor allem die amerikanische Schieferölindustrie. Dass die Opec so lange die Kontrolle über den Markt behalten konnte, liegt unter anderem daran, dass sie stets bei der Preisgestaltung einen Ausgleich der Interessen von Anbietern und Nachfragern im Blick hatte.

Entstehenden Gefahren für diese Konstellation nahm sich die Opec an. So hatte sich Saudi-Arabien ernsthaft bemüht, der amerikanischen Schieferölindustrie den Garaus zu machen durch eine starke Ausweitung der Förderung ab 2015/16, die den Ölpreis zeitweise bis fast 20 Dollar nach unten trieb. Aufgrund der günstigeren Kostenstruktur der Saudis im Vergleich zu den amerikanischen Schieferölproduzenten gelang es, deren Produktion stark zu senken. Letztlich gesichert hat der Opec die Kontrolle über den Ölmarkt aber das Bündnis Saudi-Arabiens mit Russland und einigen russischen Verbündeten, das allgemein Opec plus genannt wird. Im Rahmen dieser Konstellation hat die Opec plus zuletzt darauf gezielt, den Ölpreis ungefähr zwischen 80 und 100 Dollar je Barrel zu halten.

Saudi-Arabien benötigt einen Ölpreis in der Größenordnung von 80 Dollar, um den eigenen Staatshaushalt ausgeglichen zu halten. Den westlichen Industrieländern unter Führung der USA fällt es aber zunehmend schwer, einen Ölpreis in dieser Höhe zu verkraften – ein Ergebnis der Covid-19-Pandemie, der handels- und machtpolitischen Auseinandersetzungen mit Russland und China sowie einer sich seit längerem stetig verschlechternden Ertragslage in weiten Teilen der (nicht börsennotierten) Realwirtschaft in den Indus­trieländern, die bereits zu einer fortgeschrittenen Deindustrialisierung in Ländern wie den USA und Großbritannien geführt hat.

Seitenwechsel der Saudis

Für erhebliche Beunruhigung dürfte in den USA der sich klar abzeichnende Seitenwechsel Saudi-Arabiens sorgen, der auf die stetige Verschlechterung des Verhältnisses zwischen US-Präsident Joe Biden und dem saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin-Salman zurückzuführen ist. Der langjährige US-Verbündete hatte über Jahrzehnte Öl nur gegen Dollar verkauft. Dieser seit dem Ende von Bretton Woods bestehende „Petrodollar“ ist für die Stabilität des Dollar und damit der US-Wirtschaft von essenzieller Bedeutung. Dass Saudi-Arabien sich nun den BRICS-Staaten annähert, die eine neue Weltreservewährung schaffen wollen, lässt in Washington die Alarmglocken läuten.

Kern des neuen informellen Nachfragerkartells ist die Preisobergrenze, die die G7-Staaten einführen wollen. Ergänzt wird sie durch das Embargo russischen Öls der EU, das für Rohöl ab dem 5. Dezember und für Ölprodukte ab Februar kommenden Jahres gelten soll. Durchgesetzt werden sollen diese Maßnahmen unter anderem dadurch, dass die westlichen Länder die Märkte für Schiffsversicherungen und sonstige maritime Dienstleistungen – zumindest derzeit – noch beherrschen, so dass diese Dienstleistungen den Sanktionen brechenden Tankern vorenthalten werden können.

Allerdings läuft es mit Blick auf die beiden neuen Sanktionsinitiativen, also Preisobergrenze und Embargo, für den Westen alles andere als gut. Zentrale Nachfrageländer wie China und Indien schließen sich nicht an. Außerhalb von G7 und EU gibt es überhaupt keine Staaten, die die Maßnahmen umsetzen wollen. Dies schränkt ihre Wirksamkeit stark ein. Das ist allerdings auch gut so, denn wenn Russland als Reaktion auf die Sanktionen den Export des per Tanker transportierten Öls einstellte, würden dem Markt 4,5 Mill. Barrel pro Tag (bpd) entzogen, was den Ölpreis vermutlich weit über die Marke von 150 Dollar treiben würde. Hinzu kommt, dass anderen Ländern aus der Opec plus klar ist, dass sie nach Russland als nächste an die Reihe kommen würden, was mit Blick auf die geostrategische Bedeutung vor allem für Saudi-Arabien gilt. Daher vermeidet Saudi-Arabien alles, was die Wirksamkeit der Sanktionen erhöhen und die Schäden in den westlichen Industrieländern mildern würde.

Reines Wunschdenken

Zwar hat das „Wall Street Journal“ jetzt berichtet, Saudi-Arabien mache sich trotz der erwarteten schwachen Nachfrage aus China für eine Anhebung der Opec-Förderquoten um 500000 bpd stark. Der Artikel scheint jedoch auf Wunschdenken zu basieren, Saudi-Arabien hat ihn sofort – und glaubhaft – dementiert. So scheint für das nächste über die Förderquoten befindende Opec-Treffen Anfang Dezember mit Blick auf die erwartete schwache weltweite Ölnachfrage eher eine Senkung der Produktionsmenge der Opec plus in den Karten zu sein. Der auf den Bericht zurückzuführende Preisrückgang von Brent-Öl zu Wochenbeginn ist daher bereits wieder ausgeglichen.

EU als Hauptleidtragender

Mittlerweile scheint den Regierungen von G7 und EU auch klar zu sein, dass ihre Länder erneut die Hauptleidtragenden sein werden, bei einer eng begrenzten Wirkung der Maßnahmen. Es werden nämlich bereits Schlupflöcher eingearbeitet. So sollen die Restriktionen für den Transport russischen Öls nur für den Ersttransport gelten. Erstkäufer des Öls können ohne Sanktionen weiterverkaufen – zum Beispiel an die EU-Länder. Großbritannien wiederum unternimmt nichts gegen die weit verbreitete Praxis, das Öl auf hoher See von Tanker zu Tanker zu pumpen und damit die Herkunft zu verschleiern. Dutzende Schiffsladungen russischen Öls haben seit März auf diese Weise britische Häfen erreicht.

Aus jetziger Sicht lässt sich daher die Prognose wagen, dass Preisobergrenze und Embargo keine durchschlagende Wirkung auf Russland und den globalen Ölpreis haben werden. Für die EU-Staaten wird sich aber nun auch der Energieträger Erdöl weiter verteuern, was sich allerdings durch die einzubauenden Schlupflöcher begrenzen lässt. Und letztlich wird die Opec plus die Kontrolle über den globalen Ölmarkt behalten und nicht an die westlichen Industrieländer verlieren.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.