Shell

Mittlere Laufzeiten bevorzugen

Da die Öl-Branche aufgrund des sich verändernden Energiemix längerfristig vor größeren strukturellen Veränderungen steht, sind diese Laufzeiten mit größeren Risiken verbunden.

Mittlere Laufzeiten bevorzugen

Von Achim Wittmann*)

Unter großen Schwankungen be­wegt sich der Preis der Rohölsorte Brent seit Ende Februar in einer groben Spanne zwischen 100 und 120 Dollar je Barrel. In der vergangenen Woche sorgte die Entscheidung der Opec-plus-Staaten, die Förderung in den kommenden Monaten stärker zu erhöhen als erwartet, für eine gewisse Entspannung auf der Angebotsseite. Die Marktreaktion fiel allerdings eher verhalten aus. In der Vergangenheit konnten einige der Kartellmitglieder die vereinbarten Förderquoten nicht einhalten. Zudem gab es positive Nachrichten von der Nachfrageseite. So hat China die Lockdown-Maßnahmen teilweise aufgehoben und konjunkturelle Stützungsmaßnahmen angekündigt. Insgesamt haben sich jedoch die Wolken über dem globalen Konjunkturhimmel zuletzt verdichtet, was entsprechende Fragezeichen hinter die weitere Entwicklung der Ölnachfrage setzt. Insgesamt ist da­her weiter von volatilen Be­we­gun­gen des Ölpreises innerhalb einer großen Preisspanne auszugehen.

Verzögerte Reaktion

Die Anleihespreads der Branchenunternehmen, gemessen am iBoxx Oil & Gas, haben erst mit einer gewissen Vorlaufzeit auf die hohen Preise am Ölmarkt und die damit verbundenen verbesserten Ertragsperspektiven der Unternehmen reagiert. So hat sich die Differenz der Spreads zum Gesamtmarkt (iBoxx Non-Financials) seit Anfang Mai kontinuierlich reduziert. Die eher vorsichtige Marktreaktion könnte zum einen auf die Frage der Nachhaltigkeit der hohen Preise für fossile Energieträger zurückzuführen sein. Andererseits steht die Branche angesichts der Transformation in der Energiewirtschaft vor enormen strategischen Herausforderungen, was sich ebenfalls in der Bewertung niederschlägt. Die Spreads der Shell-Bonds haben sich nach einem leichten Anstieg zum Jahresbeginn darauf folgend bis Mitte März seitwärts bewegt. Der Ölpreis hatte bis dahin bereits einen fulminanten Anstieg von rund 80 Dollar je Barrel auf über 110 Dollar je Barrel hingelegt. Von Mitte März bis Mitte April haben sich dann auch die Risikoaufschläge der Anleihen deutlich reduziert. Mittlerweile liegen diese jedoch wieder auf dem Niveau des Jahresanfanges, während sich der Ölpreis über der 100-Dollar-Marke festsetzte. Der Spread für den Bond mit Laufzeit 11/27, der mit 27 Basispunkten (BP) ins Jahr 2022 startete, fiel zwischendurch auf 11 BP und liegt jetzt wieder bei rund 27 BP. Der als Indikation für das aktuelle Marktrisiko dienende Spread für einen CDS (Credit Default Swap) mit einer Laufzeit von fünf Jahren beträgt gegenwärtig rund 50 BP. Shell hat 15 festverzinsliche Bonds mit Volumina von jeweils mehr als 500 Mill. Euro am Euro-Bondmarkt ausstehen. Das durchschnittliche Rating der externen Agenturen liegt bei „AA-“ mit jeweils stabilem Ausblick.

Shell gehört zu den weltweit größten integrierten Öl- und Gaskonzernen. Das Unternehmen hat zu Jahresbeginn seinen Firmensitz nach Großbritannien verlegt und „Royal Dutch“ aus seinem Firmennamen gestrichen. Des Weiteren hat der Konzern seine Tätigkeiten neu gegliedert in die Segmente: Integrated Gas, Upstream, Marketing, Chemicals and Products und Renewables and Energy Solutions. Shell produziert derzeit rund 3 Mill. Barrel Öl-Äquivalente pro Tag und ist einer der weltweit führenden Konzerne im Flüssiggasgeschäft. Dieses ist im Hinblick auf die europäische Energieversorgung stark in den Fokus gerückt. Im ersten Quartal des laufenden Jahres erzielte Shell einen bereinigten Nettogewinn von 9,1 Mrd. Dollar (Vorquartal 6,4 Mrd. Dollar; Vorjahr 3,2 Mrd. Dollar). Bereinigt wurde das Ergebnis unter anderem um Belastungen infolge des Rückzuges aus den Geschäftstätigkeiten mit Russland in Höhe von 3,9 Mrd. Dollar. Diesen hatte das Unternehmen vergleichsweise­ früh und konsequent kommuniziert. Ergebnistreiber waren im Wesentlichen gestiegene realisierte Preise sowie höhere Ergebnisbeiträge der Handelsgeschäfte bei optimierter Kostenentwicklung. Sehr positiv entwickelten sich einmal mehr die operativen Mittelzuflüsse. So weist Shell für die ersten drei Monate trotz erheblichen Mittelabflusses aus dem Working Capital in Höhe von 7,4 Mrd. Euro einen operativen Cashflow von 14,8 Mrd. Dollar (Vorquartal 8,2 Mrd. Dollar; Vorjahr 8,3 Mrd. Dollar) aus. Diesem standen Mittelabflüsse aus Investitionstätigkeit von 4,3 Mrd. Dollar gegenüber. An die Aktionäre wurden insgesamt 5,4 Mrd. Dollar in Form von Dividende und Aktienrückkäufen ausgeschüttet. Die Nettofinanzschulden wurden von 52,6 Mrd. Dollar zum Jahresende 2021 auf 48,5 Mrd. Dollar per Ende März 2022 reduziert. Die Investitionen sollen sich im Gesamtjahr unverändert auf 23 bis 27 Mrd. Dollar belaufen. Darin enthalten ist auch der kürzlich bekannt gegebene Erwerb von Sprng, einer Plattform für erneuerbare Energien in Indien. Durch den Kauf erhöht Shell die Kapazitäten in diesem Bereich. Gleichzeitig ermöglicht der Erwerb den Aufbau eines integrierten Energiegeschäftes in Indien.

Die Segmente Marketing und Renewables and Energy Solutions sind im Rahmen einer nachhaltigen strategischen Ausrichtung des Unternehmens als Wachstumsfelder ausgemacht. Dabei kann der Konzern auf seine hohe internationale Präsenz und die breite Kundenbasis zurückgreifen. In das Fördergeschäft sollen zunächst noch rund 35 bis 40% der Gesamtinvestitionen fließen. Shell will sich hierbei auf die rentabelsten Förderprojekte in neun Kernregionen konzentrieren. Die Ölförderung sollte Unternehmensangaben zufolge 2019 ihren Peak erreicht haben und in den nächsten Jahren nicht zuletzt auch aufgrund geplanter Desinvestitionen um 1 bis 2% p.a. zurückgehen. Der Gasanteil in der Förderung wird weiter ausgebaut. Auf dem Weg zu Nettonullemissionen bis zum Jahr 2050 hat sich der Konzern Ende letzten Jahres strengere Klimaziele verordnet. So sollen die absoluten Emissionen aus der operativen Tätigkeit (Scope 1 und 2) bis 2030 gegenüber dem Niveau von 2016 halbiert werden.

Insgesamt hat das Unternehmen gegenwärtig einen Betrag von knapp 56 Mrd. Dollar an festverzinslichen Anleihen am Markt ausstehen. Nahezu 60% davon notieren in Dollar. Als Emittent von Eurobonds war Shell zuletzt im Mai 2020 am Markt. Im laufenden Jahr stehen keine größeren Volumina zur Refinanzierung an. Insgesamt sind die Fälligkeiten relativ ausgewogen verteilt. Die langfristigen Shell-Anleihen mit Laufzeiten von zehn Jahren rentieren derzeit mit 2,6%. Da die Branche aufgrund des sich verändernden Energiemix mittel- bis längerfristig vor größeren strukturellen Veränderungen steht, sind diese Laufzeiten jedoch mit größeren Risiken verbunden. Investoren sollten unserer Einschätzung nach auf Laufzeiten von fünf bis sechs Jahren zurückgreifen. Die Spreads der entsprechenden Bonds notieren über der Marktkurve, die dem durchschnittlichen Rating der Agenturen entspricht, und sind daher attraktiv gepreist. Die Renditen liegen bei diesen Laufzeiten bei rund 2,1%. Mit Blick auf die sehr guten Finanzkennzahlen, die eingeschlagene Nachhaltigkeitsstrategie sowie das anhaltend hohe Preisniveau für Öl und Gas sind Spread-Einengungen zu erwarten.

*) Achim Wittmann ist Senior Analyst für den Sektor Öl & Gas bei der Landesbank Baden-Württemberg.

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