DEVISENWOCHE

Ungewollte Gemeinsamkeiten

Von Stefan Hofrichter *) Börsen-Zeitung, 31.7.2018 Was haben die Volkswirtschaften und Währungen von Australien, China, Hongkong, Indien, Israel, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Schweden und der Türkei gemeinsam? Auf den ersten Blick: wenig...

Ungewollte Gemeinsamkeiten

Von Stefan Hofrichter *)Was haben die Volkswirtschaften und Währungen von Australien, China, Hongkong, Indien, Israel, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Schweden und der Türkei gemeinsam? Auf den ersten Blick: wenig bis nichts. Die Gruppe umfasst sowohl entwickelte Industrieländer als auch Schwellenländer mit unterschiedlichsten Wachstums- und Inflationsdynamiken und divergierender Geldpolitik. Idiosynkratische Faktoren spielen für die Wechselkursentwicklung ebenfalls eine Rolle. Gerade die Abwertung der türkischen Lira kann durch einen anhaltenden Vertrauensverlust von Investoren in die Regierung erklärt werden. Wo liegen also die Gemeinsamkeiten, und inwieweit sind diese für Währungsbewegungen relevant? ImmobilienboomAlle genannten Ökonomien haben in den Jahren seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise einen deutlichen Immobilienboom erlebt – ein Nebeneffekt der weltweit expansiven Geldpolitik. So sind beispielsweise im Zeitraum 2012 bis 2017 die inflationsbereinigten Häuserpreise in Neuseeland um 48 % angestiegen, in Schweden um 41 %, in Australien um 35 % und in Kanada um 34 %. In Schwellenländern war der Häuserpreisanstieg vergleichbar: +50 % in Indien, +28 % in der Türkei, +27 % in China. Der Anstieg der Häuserpreise in Hongkong, Israel, Malaysia und Mexiko war nur unwesentlich geringer. Die Immobilienpreisdynamik in diesen Ländern ist vergleichbar mit der in den USA und Großbritannien in den Jahren unmittelbar vor der Finanzkrise. Es ist somit auch wenig überraschend, dass infolge des Preisanstiegs Immobilien in diesen Ländern inzwischen meist deutlich über ihrem fairen Wert liegen: So ist das Verhältnis von Kaufpreis zu Miete – ein übliches Maß zur Bewertung von Immobilien – in Kanada und Neuseeland mehr als doppelt so hoch im Vergleich zum langfristigen Durchschnitt, in Hongkong, Australien und Schweden mehr als 70 %. Die Überbewertung in Mexiko, der Türkei, China und Israel liegt zwischen 20 und 40 %. Zum Vergleich: Mitte der letzten Dekade waren die Häuserpreise in den USA und Großbritannien auf Basis dieses Bewertungsmaßes ca. 40 bis 50 % überbewertet. Und wie so oft ging in allen genannten Ländern mit dem Immobilienboom auch ein rasanter Anstieg der Verschuldung des Privatsektors einher: Die Verschuldungsquote von privaten Haushalten und Unternehmen relativ zum BIP erreichte neue Rekordhöhen.Diese gemeinsame Dynamik von Immobilienpreisen und Kreditwachstum – auch “Finanzzyklus” genannt – gibt Anlass zur Sorge: Die BIZ hat in umfangreichen Studien gezeigt, dass in Zeiten, in denen der Finanzzyklus den Gipfel überschreitet und an Dynamik verliert, konjunkturelle Abschwünge deutlich länger und tiefer sind als in Zeiten eines sich verbessernden Finanzzyklus. Die ökonomische Erklärung liegt auf der Hand: Eine Abschwächung – sei sie intrinsisch ausgelöst durch Gewinnmitnahmen am Immobilienmarkt oder durch einen exogenen “Schock” – führt dazu, dass der hoch verschuldete Privatsektor versucht, seine Bilanzen zu reparieren: Überteuerte Immobilien werden verkauft, eine Abwärtsspirale im Immobilienmarkt beginnt. Da Abschreibungen auf Immobilienkredite steigen, schränken Banken ihre Kreditvergabe ein und verschärfen somit den Abschwung. Anschauungsbeispiele gab es in den letzten Jahrzehnten zur Genüge: die Rezession nach der globalen Finanzkrise 2007/08 als auch das Platzen der verschiedenen Immobilienblasen Ende der achtziger bzw. Anfang der neunziger Jahre in den nordischen Ländern (Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden), in Japan, den USA (Savings-&-Loan-Krise), Großbritannien und Australien. Kapitalabflüsse internationaler Investoren waren die Folge. Die Währungen der jeweiligen Länder werteten nach Überschreiten des Höhepunkts im Immobilienmarkt gegenüber einem breiten Währungskorb im Durchschnitt der folgenden gut sieben Jahre ab (siehe Chart). Der maximale Wertverlust erfolgte nach ca. vier Jahren. Einzig Japan konnte sich dem Trend zum Teil widersetzen. Der chronische Leistungsbilanzüberschuss dürfte ein wichtiger Grund gewesen sein.Droht den Währungen unserer Ländergruppe ein ähnliches Szenario? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Immobilienpreise in Australien, China, Hongkong, Indien, Kanada, Neuseeland, Malaysia, Mexiko und der Türkei bis dato weiterhin ansteigen und in Israel und Schweden der Scheitelpunkt der Häuserpreisdynamik erst im letzten Jahr erreicht wurde. Ähnliches gilt für die Verschuldungsdynamik: In einigen Ländern steigt das Verhältnis der Verschuldung des Privatsektors relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) weiter an – zum Beispiel in Kanada und Hongkong -, in vielen anderen Ländern geht die Verschuldungsdynamik nur langsam zurück. Anders ausgedrückt: Der Finanzzyklus ist in vielen Ländern zwar nahe am Gipfel, zeigt aber bisher nur wenig Anzeichen eines Abschwungs. Eine unmittelbare Korrektur der genannten Währungen ist somit nicht zu erwarten. Auf mittlere Sicht sehen wir aber den vergangenen Anstieg der Verschuldung in Kombination mit einer Überhitzung in den Immobilienmärkten klar als Risikofaktor. Sollte der Finanzzyklus drehen, würden wir eine deutliche Abwertung der Währungen gerade aus Ländern mit einem Leistungsbilanzdefizit (Australien, Indien, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Türkei) erwarten. Ob Währungen aus Ländern mit einem Leistungsbilanzüberschuss (China, Hongkong, Israel, Schweden) sich dann einer Abwärtsbewegung entziehen können, ist zumindest fraglich.—-*) Stefan Hofrichter ist Chefvolkswirt bei Allianz Global Investors.