Reporting

Bilanzen im Härtetest

Die Herausforderungen der Unternehmen mit Lieferkettenproblemen, Preis- und Zinsanstieg sowie wirtschaftlicher Flaute spiegeln sich in bilanziellen Risiken und Volatilitäten.

Bilanzen im Härtetest

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Der Countdown läuft. Für die meisten Konzerne geht es auf den Bilanzstichtag zu, das anhaltende Krisenszenario stellt die Berichterstattung vor enorme Herausforderungen. Waren es in der ersten Hälfte des Jahres noch überwiegend die unmittelbaren Auswirkungen des Ukraine-Krieges und Nachwehen von Corona-Lockdowns, die Sorgenfalten in den Finanzabteilungen hervorbrachten, geht es inzwischen um eine Vielzahl von krisenhaften Entwicklungen. Zinsanstieg, explodierende Energiepreise, Inflation und Ausfallrisiken sind die aktuell brisanten Themen für Unternehmen, Investoren und Ab­schlussprüfer.

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat über das Jahr in laufend aktualisierten sogenannten „Fachlichen Hinweisen“ auf Knackpunkte hingewiesen, um der eigenen Zunft und den Unternehmen Leitlinien für Rechnungslegung und Prüfung zu geben. Die Dramatik der Situation hat sich über die Monate verschärft. Zentrale Fundamentaldaten haben sich verschlechtert, die Anzeichen für eine länger anhaltende Rezession nehmen zu, Banken verschärfen ihre Bedingungen für Unternehmenskredite.

Je nach Branche und Geschäftsmodell sind die Unternehmen von unterschiedlichen Risiken getroffen. Insbesondere energieintensive Firmen stehen unter hohem Druck, es dürfte aber kaum eine Gesellschaft geben, die von den aktuellen Krisen nicht an irgendeiner Stelle getroffen ist. Wirtschaftsprüfer heben hervor, dass die Berichterstattung die erwarteten Auswirkungen der Risikolage be­rücksichtigen muss. Damit werde es kaum möglich sein, Erfahrungen und Annahmen aus der Vergangenheit schlichtweg in die Zukunft fortzuschreiben.

In dem Szenario müssen viele Unternehmen ihre bewährten Bewertungsmodelle weiterentwickeln, um die vielschichtigen Unsicherheiten angemessen abzubilden. Diese Unsicherheiten erschweren vielerorts die Vorhersage der weiteren Unternehmensentwicklung. Im Worst Case ist zu Fragen, ob die Fortführung der Unternehmenstätigkeit überhaupt gewährleistet ist. Zentrale Bilanzposten wie Firmenwerte und Goodwill, Rückstellungen, Beteiligungsbuchwerte und latente Steuern stehen im Stresstest.

Als Instrument der Kapitalmarktkommunikation ist Transparenz im Jahresabschluss oberstes Gebot. So müssen Prognosen von Zahlungsströmen sowie Schätzungen plausibel, kohärent und für Dritte nachvollziehbar sein. Den Unternehmen wird ans Herz gelegt, Schätzunsicherheiten zu benennen und mit Sensitivitätsanalysen Licht ins Dunkel zu bringen, also etwa erwartete Zahlungsströme unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien zu schätzen. Auch das Ausüben von Ermessensspielräumen darf keine Blackbox bleiben, genauso wie eine veränderte Einschätzung von Risiken.

Auch wenn der Blick in die Zukunft derzeit dem Blick in die Glaskugel gleicht, auf eine Prognose dürfen die Unternehmen nicht verzichten. Die Firmenmüssen sich auf verschiedene Szenarien vorbereiten und dem Adressaten des Jahresabschlusses die möglichen Konsequenzen dar­legen.

Nach den Vorgaben der Deutschen Rechnungslegungsstandards (DRS20) dürfte für viele Unternehmen immerhin gelten, dass sie ausnahmsweise geringere Anforderungen an den Detailgrad der Prognosen stellen dürfen. Wirtschaftsprüfer warnen aber, dass auch hier eine Beurteilung des Einzelfalls angeraten ist, weil Firmen unterschiedlich stark von den krisenhaften Rahmenbedingungen betroffen sein können.

Wer für sich reklamieren kann, dass die Prognosefähigkeit aufgrund außergewöhnlich hoher Unsicherheit beeinträchtigt ist, kann es bei einer komparativen Vorhersage belassen. Er muss keine Zahlenwerte nennen, muss nicht die Intensität der erwarteten Veränderung seiner Kennzahlen darstellen – also etwa ob der Umsatz leicht steigen soll –, es reicht aus, die Richtung der erwarteten Veränderung anzugeben. In diesem Fall sind aber die besonderen Umstände sowie deren Auswirkungen auf die Prognosefähigkeit, den Geschäftsverlauf und die Lage des Konzerns darzustellen

Hoher Goodwill

Eines der heikelsten bilanziellen Themen in jeder Krise ist die Werthaltigkeit von Geschäfts- und Firmenwerten, zumal zahlreiche Konzerne nach Akquisitionen hohe Goodwillbeträge aktiviert haben, die mancherorts einen beträchtlichen Teil des Eigenkapitals erreichen (siehe Grafik). Außerhalb des Dax sticht Teamviewer hervor, die in der Konzernbilanz Geschäfts- und Firmenwert im Umfang von 669 Mill. Euro zeigt und ein den Aktionären zustehendes Eigenkapital von 89 Mill. Euro. In der gegenwärtigen Marktphase ist Goodwill von zwei Seiten unter Druck. So haben sich vielerorts wegen steigernder Kosten und rückläufiger Nachfrage die langfristigen Ertrags- und Cashflow-Erwartungen eingetrübt. Gleichzeitig reduziert sich der Barwert des Cashflows aufgrund steigender Kapitalisierungszinssätze.

Festhalten an Impairment

Der obligatorische Impairment-Test könnte also Abschreibungsbedarf ergeben. Gewarnt wird in dem Zusammenhang immer wieder vor prozyklischen Effekten aus dem Impairment in Krisenzeiten. Um diese Risiken einzuschränken, fordert mancher Bilanzierungsexperte, den Impairment-Only-Ansatz wieder aufzugeben und zur ratierlichen Ab­schreibung von Goodwill zurückzukehren – wie es auch das deutsche Handelsgesetzbuch (HGB) noch vorsieht. Der internationale Standardsetzer IASB hat jüngst darüber abgestimmt und zehn von elf Board-Mitgliedern haben sich gegen die Abkehr vom reinen Wertminderungsmodell ausgesprochen.

Im ersten Jahr der Corona-Pandemie hatten die Wertberichtigungen auf Firmenwerte bereits deutlich zugenommen. Bei deutschen Unternehmen waren im laufenden Jahr größere Abschreibungen bislang vor allem mit dem Rückzug aus Russland oder den Auswirkungen des Ukraine-Krieges verbunden. BASF, Eon und Uniper haben als Finanzierer und/oder Anteilseigner der Gaspipelines Nord Stream 2 und Nord Stream 1 in Summe Milliarden ­abgeschrieben. Bei Continental hat eine Goodwill-Abschreibung von 500 Mill. Euro im Unternehmensbereich Automotive das Konzernergebnis nach neun Mo­naten in die Verlustzone gedrückt.

Ein wesentlicher Bilanzposten resultiert für viele Traditionskonzerne auch aus Rückstellungen für die Altersversorgung der Mitarbeiter. Hier ergibt sich aus der Zinserhöhung eine Entlastung beim ausgewiesenen Barwert. Im Industriekonzern Thyssenkrupp hat sich im abgelaufenen Turnus 2021/22 das Eigenkapital auch deshalb signifikant von 10,8 Mrd. auf 14,7 Mrd. Euro erhöht, weil sich positive Effekte von 1,9 Mrd. Euro durch das gestiegene Zinsniveau und die daraus folgende Neubewertung der Pensionsverpflichtungen ergaben. Gegenläufiger Effekt ist allerdings, dass sich aktuell durch Preis- und Kostensteigerungen der Betrag erhöht, den die Unternehmen bei Fälligkeit an ihre Pensionäre zahlen müssen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.