Angriff auf Geldautomaten

Bis zu fünf Sprengungen pro Nacht

Beutezüge von Kriminellen, die Geldautomaten in die Luft sprengen, machen Banken und Sparkassen zu schaffen und gefährden Leib und Leben von Bürgern. Im Bundestrend steigen die Fallzahlen.

Bis zu fünf Sprengungen pro Nacht

So häufig wie nie zuvor haben Kriminelle im vergangenen Jahr hierzulande Geldautomaten gesprengt oder dies zumindest versucht. Der bisherige Höchststand von 414 Fällen im Jahr 2020 wird noch getoppt, wie das Bundeskriminalamt (BKA) auf Anfrage mitteilt, ohne konkrete Zahlen zu nennen. 392 Mal schafften oder beabsichtigten es Täter im Jahr 2021 den jüngsten verfügbaren Daten zufolge, Geldautomaten in die Luft zu jagen, um Bargeld zu erbeuten. Wird der Einsatz von Brecheisen, hydraulischen Spreizern, Winkelschleifern, Schneidbrennern und die Komplettentwendung durch Herausreißen aus der Wand hinzugezählt, summiert sich die Zahl 2021 auf 579 und 2020 auf 704.

2021 waren 105 versuchte, aber nicht geglückte und 287 vollzogene Sprengungen gezählt worden. Statistisch betrachtet machen sich Kriminelle jeden Tag an mehr als einem der gut 55000 Geldautomaten in der Republik zu schaffen, um mit Sprengkraft an Geld zu kommen. Zum Vergleich: 2019 waren es 349 Fälle, 2016 noch 318 und 2013 insgesamt 89. „Teilweise haben sich im Jahr 2022 bis zu fünf Geldautomatensprengungen in einer Nacht im gesamten Bundesgebiet ereignet“, berichtet ein Sprecher des BKA.

Der starke Anstieg in den vergangenen Jahren, der nicht nur hohe Schäden verursacht, sondern Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt, hat mittlerweile auch die Bundespolitik auf den Plan gerufen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat im November erstmals zum Runden Tisch gebeten. Mit dabei waren Vertreter der Deutschen Kreditwirtschaft (DK), des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), der Deutschen Bundesbank, des BKA, von Bundespolizei und Länderpolizeien. Sie erarbeiten gemeinsame Strategien, um Sprengungen möglichst zu verhindern, Anwohner von gefährdeten Filialen zu schützen und Tätern auf die Spur zu kommen.

Nebelschwaden und Tinte

So wird eine Palette von Präventionsmaßnahmen vorgeschlagen, von denen Banken und Sparkassen einige je nach Gefährdungsgrad des jeweiligen Filialstandorts umsetzen sollen. Dazu zählen etwa das Verschließen von Selbstbedienungsfoyers zwischen 23 und 6 Uhr, verschärfte Videoüberwachung, Installation von Einbruchmeldetechnik und Vernebelungssystemen, reduzierte Bargeldhaltung in den Automaten und Einbau von Farbpatronen, die im Fall eines gewaltsamen Öffnungsversuchs die Geldscheine mit unlöslicher Tinte einfärbt und somit als gestohlen kenntlich macht. Doch selbst für solche Scheine hat sich ein Schwarzmarkt entwickelt.

Zur Schadenshöhe liegen der Deutschen Kreditwirtschaft keine Zahlen vor. Dem BKA zufolge überstiegen die durch Sprengungen verursachten Sachschäden den Wert des erbeuteten Geldes deutlich. Die Beuteschäden betrugen 2021 bundesweit 19,5 Mill. Euro und 2020 17,1 Mill. Euro. Die Schäden durch die Wucht der Explosionen schätzt das BKA für 2021 auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag.

Die Deutsche Kreditwirtschaft beobachtet wegen der Attacken keinen beschleunigten Abbau von Geldautomaten, wie sie auf Anfrage er­klärt. Auszuschließen ist das künftig aber nicht. Manche Finanzinstitute sind bereits dazu übergegangen, besonders gefährdete Geldautomaten-Standorte, gerade an abgelegeneren Orten, zu schließen. Die Sparkasse Koblenz beispielsweise hat nach einer Serie von Attacken im Dezember eine Handvoll ihrer Geldautomaten stillgelegt, wie das Institut kürzlich mitteilte.

Risiko-Standorte vorm Aus

Auch der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) hat in einer Mitteilung erklärt, sich in der Abwägung, einerseits dem Auftrag zur flächendeckenden Bargeldversorgung nachzukommen und andererseits Menschen zu schützen, die in der Nähe von Geldautomaten leben, im Einzelfall für die Aufgabe eines Standorts zu entscheiden. „Der komplette Abbau von Geldautomaten ist für uns zwar weiterhin die Ultima Ratio, aber alternativlos, wenn durch den für Kriminelle reizvollen Standort des Automaten Gefahr für Leib und Leben Dritter besteht“, sagte Joachim Schmalzl, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DSGV. Insbesondere Automaten, die an Wohngebäude angrenzen, rückten dabei in den Fokus. Die Sparkassen betreiben bundesweit 23000 und damit gut 40% aller Geldautomaten in Deutschland.

Die Taunus Sparkasse war im Jahr 2021 von einer Serie an Attacken heimgesucht worden. Sie reagierte unter anderem mit der nächtlichen Bewachung der 26 gemeinsam mit der Frankfurter Volksbank betriebenen Finanzpunkte durch Sicherheitskräfte und der erheblichen Verringerung der Bargeldbestände in den Automaten. Zählte das im Hochtaunus- und Main-Taunus-Kreis tätige Institut vor zwei Jahren noch fünf Sprengungen und einen Sprengversuch, so waren es 2022 zwei Sprengungen. Die Sachschäden seien erheblich, sagt ein Sprecher, doch glücklicherweise seien keine Menschen zu Schaden gekommen. Zu Kosten durch die Zerstörungen und für Sicherungsmaßnahmen und Bewachung will er sich nicht im Detail äußern, doch lägen die Sachschäden nun angesichts reduzierter Bargeldbestände regelmäßig über dem Wert der Beute. Andererseits seien die Logistikkosten gestiegen, weil Dienstleister die Automaten häufiger befüllen müssten. Ein weiterer Effekt der kriminellen Taten: An einem Filialstandort habe sich der Vermieter entschieden, den Mietvertrag nicht weiterzuführen.

Um die eigenen Standorte zu schützen, hat die Taunus Sparkasse laut Sprecher gemeinsam mit der Zentralstelle für Prävention des hessischen Landeskriminalamts (LKA) ein mehrstufiges Sicherheitskonzept umgesetzt. Zudem ist das Institut eines von 15 Gründungsmitgliedern der im Mai 2022 gegründeten Allianz Geldautomaten, die hessisches Innenministerium, Polizei und Bankwirtschaft zusammenbringt, und stehe im ständigen Austausch mit der Polizei und den Geräteherstellern.

LKA Hessen ermittelt

Das LKA Hessen hat einer Sprecherin zufolge bislang in zwölf sogenannten Risikokonferenzen mit einzelnen Kreditinstituten passgenaue Maßnahmen vereinbart, um einzelne Standorte zu schützen. Die Behörde nimmt sich seit 2019 mit einer eigens eingerichteten Ermittlungsgruppe der Bekämpfung von Geldautomatensprengungen an. Seitdem seien mehr als 50 Tatverdächtige ermittelt worden, von denen 20 verurteilt worden seien.

Entgegen dem Bundestrend kam es in Hessen im vergangenen Jahr zu weniger Sprengungen und Sprengversuchen. Nach 56 im Jahr 2021 waren es laut LKA noch 41 (siehe Grafik). Das entspricht einem Rückgang von gut einem Viertel. Der Wert des in Hessen erbeuteten Bargelds hat laut Sprecherin in diesem Zeitraum von über 2,5 Mill. Euro um 28% auf rund 1,8 Mill. Euro abgenommen – das entsprach statistisch im Schnitt zuletzt 44000 Euro pro Beutezug. Die Sachschäden seien hingegen von gut 2,5 Mill. Euro 2021 auf mehr als 4,9 Mill. Euro gewachsen.

Im laufenden Jahr kam es Stand 16. Januar bereits zu einer versuchten und vier vollendeten Automatensprengungen – im Vergleich mit insgesamt zwei im Vorjahreszeitraum. Die Diebstahlsumme beziffert das LKA auf insgesamt 360000 Euro, den Sachschaden mit rund 750000 Euro auf mehr als das Doppelte. Geografische Schwerpunkte ließen sich in Hessen nicht ausmachen. Bundesweit ist Nordrhein-Westfalen besonders stark betroffen. Viele Täter, die lose kriminelle Netzwerke bilden, stammen aus den Niederlanden.

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