Stabilitätspakt

Brüssel will mehr Spielraum beim Schulden­abbau

Die EU-Kommission will den Mitgliedstaaten künftig einen größeren Spielraum und eine stärkere Eigenverantwortung beim Abbau ihrer Staatsverschuldung geben. Die Behörde schlug vor, mit den Ländern jeweils individuelle Vier-Jahres-Ausgabenpläne auszuarbeiten.

Brüssel will mehr Spielraum beim Schulden­abbau

ahe Brüssel

Die Europäische Kommission hat eine komplette Neuausrichtung des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorgeschlagen. Die bisherigen Obergrenzen für die Neuverschuldung von 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sowie 60% bei der Staatsverschuldung sollen zwar im Grundsatz weiter gelten, allerdings soll den Mitgliedstaaten eine deutlich größere Flexibilität bei der Erreichung der Ziele an die Hand gegeben werden. Im Zentrum stehen nach dem Willen der Brüsseler Behörde dabei individuell ausgehandelte, mehrjährige Ausgabenpläne. Dies soll den Ländern auch mehr Spielraum bei Investitionen geben. Die heutigen Fiskalregeln sollen radikal vereinfacht und ihre Durchsetzung zugleich verbessert werden.

„Die fiskalischen Regeln würden sich darauf konzentrieren, die Verschuldung dort abzubauen, wo sie hoch ist, und zwar auf der Grundlage der eigenen Pläne der Mitgliedstaaten, die klare EU-Auflagen erfüllen müssen“, erläuterte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis in Brüssel. Sobald ein mehrjähriger Haushaltsplan vereinbart worden sei, werde die Überwachung auf der Grundlage einer einfachen Ausgabenregel erfolgen. Die Netto-Primärausgaben seien künftig der einzige operative Indikator, auf den es ankomme.

Die EU-Kommission will hierzu im Frühjahr nächsten Jahres konkrete Gesetzesvorschläge vorlegen und hofft noch im ersten Halbjahr 2023 auf eine Einigung der Mitgliedstaaten. Die heutigen Haushalts- und Schuldenregeln sind noch bis Ende 2023 ausgesetzt.

Die bisher geltende 1/20-Regel beim Schuldenabbau wird den Kommissionsplänen zufolge ersatzlos gestrichen. Eine neue Vorgabe, bis wann hoch verschuldete Länder wieder die 60-%-Marke erreichen müssen, gibt es nicht. Die höher verschuldeten Mitgliedstaaten sollen stattdessen Vier-Jahres-Pläne vorlegen, die dann mit der Kommission vereinbart und vom Rat gebilligt werden. Sie sollen einen „plausiblen Abwärtspfad“ der Verschuldung zeigen, auf dem das Haushaltsdefizit zugleich „mittelfristig glaubwürdig“ unter der 3-%-Marke bleibt. Für hoch verschuldete Länder gelten dabei strengere Kriterien als für moderat verschuldete.

Bessere Regel-Durchsetzung

Die Ausgabenpläne enthalten dann auch Verpflichtungen in Bezug auf Reformen und öffentliche Investitionen. „Wir wollen endlich Wachstum und Stabilität auf die gleiche Stufe stellen und effektiv darauf hinarbeiten, beides zu erreichen“, betonte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni in Brüssel. Wenn die Investitions- und Reformvorgaben es nötig machen, können die Mitgliedstaaten ihre Vier-Jahres-Pläne sogar um bis zu drei Jahre verlängern.

Wenn ein Plan einmal gebilligt ist, gilt er auch über die gesamte Laufzeit. Zwischenzeitliche Änderungen sind nicht vorgesehen. Die Mitgliedstaaten würden jährliche Fortschrittsberichte über die Umsetzung der Pläne vorlegen. Die jährliche Haushaltsüberwachung durch die Kommission wäre deutlich weniger aufwendig als heute. Jährliche Empfehlungen aus Brüssel wären dann nicht mehr nötig.

Das heutige Verfahren wegen eines exzessiven Defizits soll nach den Vorstellungen der Kommission auch im neuen Regelwerk erhalten bleiben. Es würde eingeleitet, wenn ein Mitgliedstaat mit einem Schuldenstand von über 60% des BIP von dem vereinbarten Ausgabenpfad abweicht.

Grundsätzlich will die Brüsseler Behörde im Gegenzug zur vorgeschlagenen Flexibilisierung auch die Durchsetzungsmechanismen im Regelwerk stärken. Dazu gehört etwa, die Höhe der Sanktionen zu senken, um sie leichter verhängen zu können. Verschärft werden sollten dagegen die „Reputationsstrafen“. Auch sollen EU-Finanzierungen aus dem Haushalt oder dem Wiederaufbaufonds ausgesetzt werden können, wenn ein verschuldetes Land keine wirksamen Maßnahmen zur Korrektur seines übermäßigen Defizits ergreifen würde.

Das heutige Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht soll ebenfalls im Kern erhalten bleiben. Ziel sei aber, die präventive Rolle dieses Verfahrens zu stärken –  insbesondere im aktuellen makroökonomischen Umfeld, das durch neue und sich entwickelnde Risiken gekennzeichnet sei, hieß es.

Nach letzten Prognosen der EU-Kommission werden in diesem Jahr sieben Euro-Staaten mit einer Staatsverschuldung von mehr als 100% des BIP abschließen. Auf der anderen Seite halten ebenfalls sieben Länder die 60-%-Obergrenze ein. Im Schnitt wird die Verschuldung im Euroraum in diesem Jahr bei knapp 95% er­wartet.

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