Luka Mucic, SAP-Finanzvorstand

„Für uns ist es wichtig, Mitglied im Dax zu sein“

SAP ist im aktuell eingetrübten Konjunkturumfeld aufgrund ihrer „originären Stärken“ beim Lieferkettenmanagement besser positioniert als Wettbewerber, sagt Finanzchef Luka Mucic.

„Für uns ist es wichtig, Mitglied im Dax zu sein“

Heidi Rohde und Sebastian Schmid.

Herr Mucic, die Frankfurter Börse ist vom schwersten Dax-Wert Linde als ‚Standortnachteil‘ etikettiert worden. Wie sieht das der zweitschwerste Wert?

Es gibt bei SAP keinerlei Pläne, sich aus Frankfurt zurückzuziehen. Im Gegensatz zu Linde, die mit Praxair zusammengegangen und in dem Sinne kein rein deutsches Unternehmen mehr ist, sehen wir uns als globales Unternehmen mit deutschen Wurzeln. Wir sind hier fest verankert. Eine Reihe von hiesigen Firmen, die in den USA an die Börse gegangen sind, hat sich von dort wieder zurückgezogen. Wir halten demgegenüber an unserer Notierung an der Wall Street ebenso fest. Die USA ist unser Hauptmarkt, der wichtigste IT- und Softwaremarkt der Welt. Wir sehen auch an der New Yorker Börse ein sehr vernünftiges tägliches Handelsvolumen, von daher ist auch klar, dass wir dort notiert bleiben werden. Auf der deutschen Seite ist es für uns dennoch wichtig, auch Mitglied des Dax zu sein. Wir haben ein Aktionariat, das sehr ausgewogen ist zwischen deutschen, europäischen und US-amerikanischen Investoren. Außerdem spielen passive Anleger eine immer stärkere Rolle, und diese werden auch den Dax abbilden. Auch für unsere Visibilität spielt der Dax eine große Rolle, der von den einschlägigen Finanzmedien ebenso beachtet wird wie die US-Börsen.

Wie beurteilen Sie die von Linde kritisierte Kappungsgrenze für das Gewicht im Dax?

Standorttreue schließt nicht aus, dass wir mit einigen detaillierten Regeln der Deutschen Börse nicht ganz übereinstimmen. Ich habe Verständnis, dass sich Linde an der 10-prozentigen Kappungsgrenze stört; das sehe ich ebenfalls kritisch, denn das finden Sie beispielsweise in den USA nicht. Es ist fraglich, ob das sachgerecht ist. Es gibt auch andere Details, die kürzlich eingeführt wurden, die ich diskutabel finde, etwa das Kriterium einer profitablen Historie über einen bestimmten Zeitraum. Es ist unschwer zu erkennen, dass es in den USA Unternehmen gibt, die heute zu den wertvollsten der Welt gehören, und die über viele Jahre nicht profitabel waren, ohne dass man ihnen deshalb bei der Notierung oder Index-Zugehörigkeit Steine in den Weg gelegt hat. Amazon ist ein herausragendes Beispiel. Wir meinen, dass es hier Anpassungsbedarf gibt.

Gibt es unter den Investoren Forderungen an SAP, sich stärker der US-Börse zuzuwenden, wo die unmittelbaren Wettbewerber höhere Bewertungen erzielen?

Zunächst hat die SAP-Aktie begonnen, gegenüber den Wettbewerbern an der Börse aufzuholen, insbesondere nach dem zurückliegenden dritten Quartal. Da ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. In Gesprächen mit Investoren in New York haben wir zuletzt eine sehr konstruktive Haltung gespürt. Es wächst die Einsicht, dass unsere fundamentale Transformation, die wir vor zwei Jahren mit dem Wechsel in die Cloud eingeleitet haben, jetzt auch Ergebnisse zeigt. Wir wachsen derzeit in der Cloud schneller als die Wettbewerber, die sozusagen in der Cloud geboren sind, wie Salesforce oder Workday – und sehen auch im Kerngeschäft mit ERP-Anwendungen, dass hier der Schritt in die Cloud zu erheblichem Wachstum führt, der Cloud-Backlog wächst bei S/4Hana sogar dreistellig. Es zweifelt jetzt auch niemand mehr an der Wettbewerbsfähigkeit unseres Portfolios.

Und im Ergebnis kommt jetzt auch der Turnaround, was das Wachstum betrifft?

Wir halten daran fest, im kommenden Jahr beim Ergebnis wieder zweistellig zu wachsen. Wir sehen auch, dass die SAP in einem sehr unsicheren und volatilen Umfeld in eine sinkende Konjunktur hinein ihr Wachstum beschleunigt hat und auch beginnt, Ergebniszuwachs zu zeigen. Da werden die Investoren nicht viele vergleichbar resiliente Unternehmen finden, die mit vergleichbarem Wachstumspotenzial wie SAP ausgestattet sind.

Rivale Salesforce ist stark gewachsen, hat aber für 2023 einen enttäuschenden Ausblick gegeben. Welche Voraussetzungen braucht es, damit SAP die hohen Ziele für die Cloud schaffen kann?

Als positiv möchte ich hervorheben, dass die Wachstumstreiber für SAP derzeit organisch entwickelte Cloud-Lösungen sind. Salesforce hat sich in den vergangenen Jahren Wachstum durch Zukäufe gesichert, zu erheblichen Bewertungen. Wir haben das früher auch gemacht, um überhaupt eine Basis für das Cloud-Geschäft zu schaffen. Wenn Sie aber auf die aktuellen Treiber schauen, dann sind das im Wesentlichen S/4Hana und die Business-Technology-Plattform, beides große Geschäfte, bei denen wir überzeugt sind, dass sie das SAP-Wachstum auch im kommenden Jahr voranbringen werden – auch weil wir im Moment etwas andere Prioritäten beim Kunden sehen.

Inwiefern?

Zu Beginn der Pandemie haben die Kunden aus nachvollziehbaren Gründen zunächst alles darangesetzt, die Schnittstellen zu ihren Kunden digital zu optimieren. Viele hatten da auch Nachholbedarf. Das hat natürlich eine Sonderkonjunktur für Unternehmen ausgelöst, deren Produkte auf das Management von Kundenbeziehungen ausgerichtet sind. Mittlerweile haben sich die Prioritäten verschoben. Jetzt stehen Lösungen im Vordergrund, die den Kunden ermöglichen, dem Inflationsdruck zu begegnen, wie Automatisierung der Produktion und Effizienz von Lieferketten. An dieser Stelle hat SAP ihre originären Stärken. Bei Supply Chain Management sind wir unangefochten Weltmarktführer. Und wir registrieren von den Kunden derzeit eine besonders starke Nachfrage, trotz oder gerade wegen der konjunkturell gedämpften Aussichten. Das macht uns zuversichtlich. Ein weiterer Vorteil des Cloud-Geschäfts ist ja, dass die Umsatzentwicklung über den Order Backlog sehr gut planbar ist.

Nach den Erfahrungen mit Russland blicken viele SAP-Kunden mit Sorge auf China – ob es um Datenschutz geht oder stark in die Tiefe gehende Lieferketten. .. Ist das für SAP selbst eher ein Bremsklotz oder doch sogar ein Schub?

Grundsätzlich hilft uns bei derlei Risiken auch die Umstellung auf die Cloud, mit ihrem hohen Anteil vertraglich vereinbarter Erlöse, die unser Geschäft deutlich stabiler machen als eine für externe Rahmenbedingungen anfällige Nachfrage nach Softwarelizenzen. Natürlich leidet der Umsatz von Softwareverkäufen derzeit, aber das fällt für SAP nicht mehr so ins Gewicht wie früher. China ist tatsächlich für viele unserer Dax-Peers ein ungleich wichtigerer Markt als für die SAP. Japan ist nach wie vor unser wichtigster Markt in Asien, China wächst stark, aber das Geschäft besteht immer noch zu einem erheblichen Umfang aus Softwarelizenzverkäufen, während das Cloud-Geschäft in China noch vergleichsweise klein ist. Von eskalierenden Spannungen mit China wären wir in unserem unmittelbaren Geschäft daher nur geringfügig getroffen, mittelbar aber natürlich schon. Allerdings muss man sagen: Sollte Europa mit China in eine vergleichbare Situation wie mit Russland geraten, wären die ökonomischen Auswirkungen verheerend.

Ein Unternehmen gerät als globaler Player auch schnell in die Fänge der weitreichenden US-Jurisdiktion, was etwa Sanktionsauflagen betrifft. Braucht SAP angesichts des Technologiewettstreits zwischen USA und China eine strategische Neuausrichtung?

Nein, ich glaube, dass unsere Cloud-Strategie in diesem Umfeld genau die richtige ist. So haben Sie zum Beispiel nicht in allen Fällen einen Software-Export, der dann reguliert wird. Natürlich unterliegen wir in einzelnen Ländern in unserer Wertschöpfung regulatorischen Be­schränkungen. Aber es ist beispielsweise unrealistisch, alle Produkte und Services, die ein global agierendes Unternehmen wie SAP braucht, sozusagen lokal zu klonen. Das ist ineffizient. Und eine Vorsorge dafür wäre auch zu aufwendig. Hier wird es immer Risiken geben.

Das würde die Marge im Cloud-Geschäft belasten. Wann wird diese an das herkömmliche Kerngeschäft mit Softwareverkäufen heranreichen?

Klar ist: Das Cloud-Geschäft wird auf der Ebene der Bruttomarge nie das Niveau von Softwareverkäufen erreichen. Das ist nicht möglich, weil die Produktionsbedingungen eben ganz andere sind. So haben wir in der Cloud beispielsweise Infrastrukturkosten, die im Lizenzgeschäft natürlich nicht anfallen. Auf der Ebene der operativen Marge sieht es anders aus. Dabei kann das Cloud-Geschäft äußerst profitabel werden, abhängig von der Relation zwischen Neugeschäft und Subskriptionsverlängerungen. Sobald der wiederkehrende Erlösstrom, für den die Vertriebsaufwendungen dann relativ gering sind, deutlich überwiegt, ist das Cloud-Geschäft im Vorteil.

Wann ist das der Fall?

In dem Moment, in dem das Cloud-Auftragseingangswachstum auf mittlere einstellige Prozentsätze zurückfallen würde. Aber das wird noch sehr lange dauern.

Die Inflation ist für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Wo trifft sie SAP?

Wir können nicht alles auf den Kunden abwälzen. Und wir müssen bei SAP auch mit Inflation umgehen. Dabei geht es weniger um Energiepreise, sondern in erster Linie um Infrastrukturkosten, also steigende Preise aufgrund von Komponentenengpässen wie etwa Halbleiter, und dann natürlich auch um erhöhten Lohndruck. Wir müssen auf globaler Ebene mit höheren Gehaltssteigerungen umgehen als zuvor. Bei den Kunden haben wir die Preise maßvoll angehoben. Das löst keine Begeisterung aus, ist aber akzeptiert. Außerdem haben wir immerhin den Vorteil, dass große Investitionsprogramme im kommenden Jahr auslaufen, wie zum Beispiel unser Cloud-Infrastruktur-Modernisierungsprogramm, das in diesem Jahr mehr als 400 Mill. Euro kostet und nächstes Jahr signifikant weniger benötigt. 2024 fällt dafür nichts mehr an.

Gerade angelaufen ist Ihre vertiefte Partnerschaft mit Microsoft Teams. Salesforce hat lieber gleich den Kollaborationsdienst Slack teuer eingekauft. Jetzt hat Microsoft wegen Teams Ärger mit der EU. Brauchen Sie einen Plan B?

Ich kann nicht beurteilen, wie auf der EU-Ebene mit dem Thema Microsoft Teams umgegangen wird und das steht mir auch nicht zu. Ich kann aber nicht sehen, wie der interne Einsatz von Teams bei uns oder die bessere Integration des Kollaborationstools in das Angebot für unsere Kunden nun plötzlich weniger Sinn ergeben könnte. Selbst wenn die EU irgendwann zu dem Schluss kommen würde, dass Teams herausgelöst werden muss, wird es immer noch die Teams-Software geben. Vielleicht verbessert das dann die Wettbewerbschancen für andere, stellt aber nicht den Sinn der Teams-Kooperation in Frage.

In Frage steht auch die konjunkturelle Entwicklung. Ein größeres Sparprogramm halten Sie derzeit aber nicht für nötig?

Nein. Bei uns geht es um Disziplin. Ein Unternehmen der Größe von SAP wird immer Bereiche haben, in denen das Wachstumspotenzial weniger ausgeprägt ist als in anderen. Und dann ist es Teil unserer unternehmerischen Verantwortung, Investitionen gegebenenfalls zu verlagern. Die Disziplin, unser Portfolio aktiv zu managen, brauchen wir natürlich. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder kleinere Desinvestitionen gehabt und das ist auch für die Zukunft nicht auszuschließen. Es gilt, das Portfolio dort auszubauen, wo wir Chancen sehen. Aber eben auch dort konsequent zu sein, wo wir weniger gute Chancen sehen.

Dennoch gibt es erst einmal einen Einstellungsstopp, oder?

Das kann man so nicht sagen. Wir nehmen zwar derzeit im Allgemeinen keine neuen Einstellungen vor, aber auch da gibt es Ausnahmen. Wir werden im nächsten Jahr generell sicher keinen Anstieg unserer Belegschaft sehen. Aber es gibt dennoch Bereiche, in denen wir wachsen. Mit S/4Hana Cloud wachsen wir prozentual dreistellig. Irgendjemand muss diese Systeme bereitstellen. Und das kann nicht alles nur durch Automatisierung geschehen. Dort planen wir selbstverständlich mit einem Anstieg der Mitarbeiter.

Viele US-Techunternehmen bauen aktuell sogar Stellen ab. Ist das auch eine Chance, günstiger an Talente zu kommen?

Auf Halde einzustellen, ist sicher nicht das Gebot der Stunde. Ich sehe das eher von der anderen Seite. Wir hatten vor einem Jahr einen unglaublich überhitzten Arbeitsmarkt für Talente im Engineering. Gerade US-Konzerne haben da selbst Mitarbeiter mit nicht so langjähriger Erfahrung bereits mit wahnwitzigen Equity-Paketen geködert. Dem mussten wir ein Stück weit begegnen, indem auch wir unsere Equity-Programme angepasst haben. Der Druck hier hat deutlich nachgelassen. Das ist gut für uns, weil wir unsere guten Talente so besser halten können.

In der Entwicklung ist in Relation zum Umsatz ein hoher Anteil der Mitarbeiter hier in Walldorf. Müsste es nicht eine Verschiebung geben, um etwa am US-Markt noch erfolgreicher zu sein?

SAP hat über 34000 Entwickler, von denen rund 10000 in Walldorf sitzen. Das ist also nur ein knappes Drittel. Hinzu kommt, dass die Entwicklung schon immer eine relativ global gesteuerte Funktion war – auch als andere Bereiche noch stark lokal gesteuert wurden. Und in diesem Rahmen haben wir versucht, die Entwicklungszentren nach Kompetenzen aufzubauen. Walldorf und Deutschland sind für uns enorm wichtig, weil wir hier sehr viel industriespezifische Prozesskenntnis haben, die für unsere Produkte ein wichtiges Differenzierungsmerkmal darstellt. Deutschland hat den Vorteil, dass das Land eine diversifizierte Industriestruktur hat. Und wir hoffen natürlich, dass das auch trotz der Energiekrise so bleibt. Für uns ist das ein sehr hilfreiches Umfeld, um in Co-Innovationen mit Kunden zu verstehen, wo die Reise in Bezug auf die Geschäftsprozesse hingeht.

Neben Eigenentwicklungen hat SAP auch Technologien zugekauft. Ist für SAP wieder die Zeit größerer Zukäufe?

Wir sind zwar sicher wieder an einem Punkt, an dem wir auch eine größere Akquisition stemmen könnten. Wir haben jetzt eine Nettoverschuldung im niedrigen einstelligen Milliardenbereich. Das ist für ein Unternehmen der Größenordnung von SAP natürlich kein Problem. Grundsätzlich sind wir aber mit einer Strategie unterwegs, die auf organisches Wachstum aufsetzt. Deswegen haben wir auch stark in Forschung & Entwicklung investiert. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es nicht so einfach ist, mehrere Unternehmen mit unterschiedlichen Technologien zu kaufen und das dann im Nachgang zu harmonisieren. Das dauert lange und verursacht einen erheblichen Aufwand. Dessen muss man sich bewusst sein. Zudem nehmen wir das Thema Partnerschaften sehr ernst. Das ist ein wichtiger Teil unserer Plattform-Strategie.

Es ist ja auch nicht jeder größere Zukauf zuletzt so glücklich gelaufen. Die Aktie von Qualtrics notiert deutlich unter dem Ausgabepreis. Haben Sie die Position abgebaut?

Ich halte die Bewertung von Qualtrics für fundamental zu niedrig. Wir haben von dem IPO insofern profitiert, als Qualtrics im Zuge dessen gruppeninterne Außenstände gegenüber der SAP getilgt hat. Die Bewertung ist seitdem zwar signifikant zurückgekommen, aber das ist auch bei anderen auf Wachstum ausgerichteten Technologiewerten der Fall gewesen.

Aber haben Sie hier nicht noch Goodwill in der Bilanz, der nun zumindest teilweise abgeschrieben werden muss?

Natürlich haben wir mit Blick auf Qualtrics noch Goodwill in der Bilanz. Davon ist – Stand heute – aber aus unserer Sicht nichts abzuschreiben. Wir glauben nach wie vor an Qualtrics und sehen da keinen Korrekturbedarf. Wir gehen davon aus – wie auch für SAP –, dass sich die Bewertung wieder erholen wird.

Das Interview führten

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