Britische Streiks

Hart bleiben zahlt sich aus

Die britische Regierung sollte im Tarifkonflikt hart bleiben, auch wenn der Wirtschaft eine harte Landung droht. Sie hat die Chance, überfällige Veränderungen durchzusetzen.

Hart bleiben zahlt sich aus

Die britische Regierung hat sich in den laufenden Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst offenbar dazu entschieden, weiter auf Zeit zu spielen. Die Krisengespräche Anfang der Woche, mit denen weitere Streiks abgewendet werden sollten, zeigten lediglich, wie weit die gegnerischen Lager auseinanderliegen. Für die Regierung sind die Lohnforderungen der Gewerkschaften einfach nicht finanzierbar. Sie deutet aber die Bereitschaft zu Zugeständnissen an – im Gegenzug für Maßnahmen zur Effizienzsteigerung. Die Arbeitnehmervertreter verlangen dagegen nicht nur einen Inflationsausgleich, sondern darüber hinausgehende Lohnsteigerungen. Zugleich wehren sie sich mit Händen und Füßen gegen jegliche Veränderung überkommener Prozesse und Privilegien, die für eine anhaltend niedrige Produktivität sorgen. Die Arbeitsniederlegungen von Eisenbahnern, Krankenschwestern und Rettungssanitätern sowie anderen Berufsgruppen, die unverzichtbare Dienste erbringen, werden also weitergehen – ohne jede Rücksicht auf den Rest der Gesellschaft, der auf sie angewiesen ist. Krankenhausärzte und Lehrer stimmen derzeit über Arbeitskampfmaßnahmen ab.

Für Schatzkanzler Jeremy Hunt ist es nicht der erste Tarifkonflikt, der mit harten Bandagen geführt wird. Den Krankenhausärzten bot er bereits als Gesundheitsminister von David Cameron die Stirn. Auch gegen streikende Krankenschwestern kann man eigentlich nicht gewinnen. Sie genießen zu großes Ansehen in der Öffentlichkeit. Zudem fällt der Regierung auf die Füße, dass sie die Mitarbeiter des kollabierenden öffentlichen Gesundheitswesens NHS während der Pandemie zu Nationalheiligen verklärt hat. Doch könnte es dem guten Image der Pflegekräfte nachhaltig schaden, wenn noch mehr Chemotherapie-Termine für Krebspatienten wegen Arbeitsniederlegungen abgesagt werden müssen, von verschobenen Routineeingriffen und anderen Behandlungsvorhaben ganz zu schweigen. Zudem verdienen die Krankenschwestern nicht wenig, wenn man die großzügigen Altersvorsorgeleistungen berücksichtigt. Nach Rechnung des „Spectator“ belaufen sich die Bezüge einer Krankenschwester im Schnitt auf 50 000 Pfund pro Jahr. Mit 55 Jahren kann sie in den Ruhestand gehen. Warum sich die Regierung nicht traut, das anzusprechen, ist völlig unbegreiflich. Die Bahngesellschaften wurden während der Pandemie vom Staat mit Milliardenhilfen über Wasser gehalten. Mittlerweile ist ein Großteil des Bahnverkehrs wieder in staatlicher Hand. Es ist also gerechtfertigt, ihre Mitarbeiter dem öffentlichen Dienst zuzuschlagen, auch wenn sie in der Statistik noch als Beschäftigte der Privatwirtschaft geführt werden. Wer die Forderungen der Streikenden für gerechtfertigt hält, sollte darüber nachdenken, wer am Ende für sie aufkommen muss. Es sind die Steuerzahler, die von ihnen rüde zur Kasse gebeten werden. Die meisten arbeiten unter schlechteren Bedingungen, verdienen weniger und müssen sich um ihre Altersvorsorge größere Sorgen machen. Eltern dürften sich erinnern, wie sie von den Lehrergewerkschaften während der Pandemie alleingelassen wurden. Kein Wunder, dass Streikposten beschimpft werden und die öffentliche Unterstützung schwindet. Es dürfte der Linken schwerfallen, den Ärger der Bevölkerung für ihren nicht enden wollenden Kulturkampf gegen die seit 2010 regierenden Tories und den immer noch nicht verdauten EU-Austritt zu mobilisieren.

Es wäre falsch, die Auseinandersetzungen im Bildungs-, Gesundheits- und Verkehrswesen isoliert zu betrachten. Streiks in diesen Branchen wirken sich unmittelbar auf die Gesamtwirtschaft aus. Wenn die Lehrer an den öffentlichen Schulen streiken, können viele Menschen nicht arbeiten, weil sie sich um ihre Kinder kümmern müssen. Wenn Busse und Züge nicht fahren, können sie ihre Arbeitsplätze nicht erreichen. Und schon ohne Streiks standen Millionen Menschen auf den Wartelisten des NHS für Routineeingriffe. Viele können nicht arbeiten, solange sie nicht behandelt worden sind – eine weitere Erklärung für den Arbeitskräftemangel in Großbritannien. Der Konflikt wird von beiden Seiten als Abnutzungskrieg geführt. Keine wird daraus unbeschadet hervorgehen. Das Land muss sich darauf einstellen, dass Produktivität und Wachstum durch weitere Arbeitskampfmaßnahmen erheblich beeinträchtigt werden. Eine harte Landung steht bevor, nachdem die Gesetze der Schwerkraft seit der Finanzkrise mit Hilfe der Notenpresse außer Kraft gesetzt worden waren. Sollte die Regierung deshalb nachgeben? Nein, denn wenn den Gewerkschaften die Puste ausgeht, hat sie die Chance, überfällige Veränderungen durchzusetzen.

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