Italien

Melonis echte Tests kommen erst noch

Giorgia Meloni ist seit hundert Tagen Premierministerin Italiens. Die Ängste vor einer Radikalisierung der Politik waren übertrieben. Aber die echten Bewährungsproben kommen erst noch.

Melonis echte Tests kommen erst noch

Hundert Tage ist Italiens Premierministerin Giorgia Meloni jetzt im Amt. Die nationalen und internationalen Ängste vor der postfaschistischen Regierungschefin und ihrer Rechtskoalition haben sich praktisch in Luft aufgelöst. Die Börsenkurse sind deutlich gestiegen. Der Spread zwischen deutschen und italienischen Bonds ist stark gesunken.

Meloni führt im Wesentlichen den Kurs ihres Vorgängers Mario Draghi fort. Angesichts des Ukraine-Kriegs, der Konjunkturabschwächung und der hohen Energiepreise hat sie sich der Realität gebeugt. Die radikale Rhetorik früherer Zeiten hat sie weitgehend abgelegt, vor allem gegenüber Europa. Denn sie weiß, dass Italien die EU braucht.

Ihre Regierung hat zwar die Gesetze gegen Schiffe von Nichtregierungsorganisationen, die Flüchtlinge im Mittelmeer retten, verschärft. Doch die Rettungsaktionen gehen weiter und verlaufen weitgehend lautlos. Meloni will zwar Änderungen bei der Verteilung – das aber in Abstimmung mit den europäischen Partnern. Und die großzügigen Wahlversprechen vor allem ihrer Koalitionspartner Lega und Forza Italia, die eine niedrige Flat Tax beziehungsweise eine Mindestrente von 1 000 Euro pro Monat fordern, sind erstmal ad acta gelegt und bisher allenfalls in homöopathischen Dosen umgesetzt worden. Auch den Widerstand gegen die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) hat Meloni aufgegeben. Mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die sie schon mehrmals getroffen hat, versteht sich Meloni gut. Mit dem Haushalt für 2023 erfüllt Italien weitgehend die Vorgaben der EU. Außerdem zählt Italien zu den stärksten Unterstützern einer harten Haltung im Ukraine-Krieg gegen Russland.

Doch die potenziellen Konflikte sind nur aufgeschoben, nicht aufgehoben worden. Von der Opposition hat Meloni nichts zu fürchten: Die ist schwach, zerstritten und weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Probleme gibt es eher innerhalb der Regierungskoalition. Streitpunkte sind eine geplante Justizreform, das ewige Thema der von der EU seit 2009 verlangten, aber nie umgesetzten Liberalisierung von Märkten wie die Neuausschreibung der Lizenzen für Strandbäder, eine Katasterreform und Ähnliches. Auch das Konfliktthema Rentenreform, die aus demografischen Gründen dringend nötig wäre, hat Meloni aufgeschoben. Und die Einheit innerhalb der Regierung im Hinblick auf den Ukraine-Krieg ist brüchig. Sowohl Lega-Chef Matteo Salvini als auch Forza-Italia-Boss Silvio Berlusconi haben eine zumindest ambivalente Haltung zu Putin und unterstützen Melonis harte Ukraine-Politik nur murrend.

Es bleibt offen, wie lange Melonis radikale Anhänger und ihre beiden Koalitionspartner stillhalten werden. Eine wichtige Nagelprobe sind die Regionalwahlen Mitte Februar in den zentralen Regionen Lombardei und Latium. Meloni darf sich keinen zu großen Erfolg ihrer Partei Fratelli d’Italia, die in landesweiten Umfragen auf 30 % der Stimmen kommt, zulasten der Koalitionspartner wünschen. Das würde mit großer Wahrscheinlichkeit zu starken Spannungen in der Regierung führen, weil die Koalitionspartner im Fall einer Niederlage stärker Profil zeigen müssten.

Es wird schwieriger für Meloni. Sie muss die Erwartungen ihrer Anhänger erfüllen, hat aber angesichts der gigantischen Verschuldung des Landes nicht die Mittel, die Versprechen zu erfüllen. Die Konflikte werden auch deshalb zunehmen, weil Italien in Europa zu den Ländern gehört, die an vorderster Front neue, durch Gemeinschaftsschulden finanzierte Programme als Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act fordern. Dabei ist das Land nicht einmal in der Lage, die Mittel des europäischen Wiederaufbauprogramms und der Strukturfonds auszugeben, weil Planungskapazitäten fehlen und die lahme Bürokratie das blockiert. Selbst Draghi ist es nicht gelungen, diese Probleme zu lösen.

Statt wie geplant ein präsidentielles System à la Frankreich einzuführen, das auch nicht gerade gut funktioniert, sollte Meloni endlich die auch unter Draghi versäumten Strukturreformen auf den Weg bringen. Italien hat sich in den vergangenen Jahren als unfähig erwiesen, echte Steuer-, Justiz- oder Bürokratiereformen durchzuführen. Dazu kommen Probleme wie die Steuerflucht, der hohe Anteil an Schwarzarbeit, der wirtschaftlich abgehängte Süden oder die dramatische demografische Entwicklung. Das werden die Herausforderungen Melonis in den nächsten Monaten sein und daran wird und muss sie gemessen werden.

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