Bundesverfassungsgericht

Befreiungsschlag für Währungshüter

Beobachter begrüßen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, Anträge auf Vollstreckung seines spektakulären EZB-Urteils abzuschmettern. Er weist einen pragmatischen Weg aus ähnlichen Konflikten.

Befreiungsschlag für Währungshüter

rec Frankfurt

Ökonomen und Rechtsexperten interpretieren den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, Anträge auf Vollstreckung seines aufsehenerregenden EZB-Urteils abzuschmettern, als Befreiungsschlag für die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bundesbank. Für ING-Ökonom Carsten Brzeski ist die Entscheidung „auf ganzer Linie positiv für die EZB“. Friedrich Heinemann, Finanzmarktexperte des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), sekundierte, die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung über die Anleihekäufe im Rahmen des regulären Programms PSPP sei „endgültig ad acta gelegt“.

Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht zwei Anträge auf Erlass einer sogenannten Vollstreckungsanordnung verworfen. Sie kamen von den Beschwerdeführern Peter Gauweiler und Bernd Lucke. Andernfalls hätte die Bundesbank nicht länger an den Anleihekäufen des Eurosystems im Rahmen des 2015 aufgenommenen PSPP teilnehmen dürfen. Hintergrund ist das Urteil vom Mai 2020, in dem die Karlsruher Richter das PSPP als teilweise verfassungswidrig einstuften. Daraufhin haben EZB und Bundesbank dem Bundestag und der Bundesregierung die Verhältnismäßigkeit der Anleihekäufe in mehreren Dokumenten dargelegt. Damit gibt sich Karlsruhe nun zufrieden.

Der Wirtschaftsweise Volker Wieland, der als Sachverständiger in Karlsruhe aufgetreten war, verwies gegenüber der Börsen-Zeitung auf die Bedeutung der EZB-Ratssitzung Anfang Juni 2020. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Euro-Hüter seinerzeit umfangreich die Verhältnismäßigkeit der Anleihekäufe – ohne dass die EZB davor oder danach näher darauf einging. Wieland hält „eine regelmäßige Verhältnismäßigkeitsprüfung, ob der Instrumenteneinsatz ausreichend, effektiv und verhältnismäßig ist, insbesondere was die möglichen Nebenwirkungen betrifft“, für sinnvoll. „Damit ließe sich auch gut der Ausstieg der EZB aus der Krisenpolitik, wenn die Krise überwunden ist, kommunizieren.“ Wieland legt der EZB spezielle Indikatoren nahe, sonst werde „aus der Verhältnismäßigkeitsprüfung möglicherweise nur ein langer Aufsatz, in dem alle Argumente, die einem einfallen, mal aufgeführt werden.“

Der Europarechtler Christoph Schalast hob den Entscheidungsspielraum hervor, den die Karlsruher Richter Bundestag und Bundesregierung zugestanden haben. Ihnen kommt damit entscheidende Bedeutung in der Kontrolle der Geldpolitik zu. „Das ist eine gute Entscheidung, denn damit gibt es auch in Zukunft einen pragmatischen Weg, wie ein solches Problem im Dialog zwischen EZB, Bundesregierung und Bundesbank aus der Welt geschafft werden kann“, sagte Schalast der Börsen-Zeitung. Er sieht „ein klares Signal der Deeskalation, was gerade in der aktuell schwierigen Situation für Europa gut ist. Es ist zu hoffen, dass der Dialog zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof möglichst schnell und konstruktiv in Gang kommt.“

Das Bundesfinanzministerium begrüßte die Entscheidung des Gerichts. Die Rechtsauffassung der Bundesregierung werde bestätigt. CSU-Politiker Gauweiler zeigte sich enttäuscht. Indem die Anträge für unzulässig erklärt worden seien, lasse Karlsruhe „die Nichtbeachtung seines Urteils durch die EZB, die Bundesregierung und den Bundestag ungerügt.“ AfD-Gründer Lucke sagte, es sei nur darum gegangen, „die angebliche Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB einsehen zu dürfen“. Nur ein Teil der Dokumente ist öffentlich zugänglich. „Es ist sehr enttäuschend, dass das Bundesverfassungsgericht heute gegen eine offene und mündige Gesellschaft geurteilt hat.“ Der wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Markus Ferber, zeigte sich „froh“. Bundestag und Bundesregierung hätten das „schwierige Urteil“ klug umgesetzt. Ferber appellierte an alle Beteiligten, es „in dieser Form“ zu akzeptieren.