Südamerika

Chile stimmt gegen Verfassungsreform

Chiles Bevölkerung hat den maßgeblich von Linken mitbestimmten Verfassungsentwurf abgelehnt – mit einer großen Mehrheit. Das überdeutliche Ergebnis gilt als eine Belastungsprobe für die ohnehin hadernde Regierung um Präsident Boric.

Chile stimmt gegen Verfassungsreform

af Buenos Aires

Die Chilenen haben sich am Sonntag mit deutlicher Mehrheit gegen den Entwurf der verfassungsgebenden Versammlung ausgesprochen. 62% der Wähler lehnten den Vorschlag des Verfassungskonvents ab. Lediglich 38% stimmten für den Entwurf, den das von Linken dominierte Gremium im Juli vorgelegt hatte. Eine Ablehnung hatte sich im Vorfeld abgezeichnet – aber nicht so deutlich.

Die Niederlage war absolut. In sämtlichen Regionen des Landes gewann das „no“, selbst in der Hauptstadt, wo der 36-jährige Präsident Gabriel Boric im vorigen November seinen Sieg im zweiten Wahlgang sichern konnte. 7,8 Millionen Stimmen wurden abgegeben – Landesrekord. 85% der Chilenen kamen ihrer Wahlpflicht nach. Das überdeutliche Resultat ist ein herber Rückschlag für Boric, der auf einen Triumph der „Ja“-Option gesetzt hatte. In der Nacht zum Montag kündigte er an, dass die höchsten Instanzen des Parlaments zusammentreten würden, „um so schnell wie möglich einen neuen verfassungsgebenden Prozess einzuleiten“. Er kündigte auch Umbauten in seinem Kabinett an.

Nicht mal ein halbes Jahr regiert Borics Linkskoalition nun, konfrontiert mit großen Problemen. Zu Anlaufschwierigkeiten der vielen unerfahrenen Minister kamen wirtschaftliche Probleme: hohe Inflation, steigende Arbeitslosigkeit und ein deutlicher Wertverlust des Peso. Zudem hat das Land in den letzten Jahren ein wachsendes Problem mit der inneren Sicherheit, vor allem mit militanten Indigenen. Kürzlich musste eine Ministerin zurücktreten, weil sie offenbar Verbindungen zu einem der Anführer der gewaltbereiten Mapuche pflegte.

Vor diesem Hintergrund waren viele Bürger nicht bereit, ein Grundgesetz zu akzeptieren, das ihr Land als „plurinational“ definiert und das indigenen Völkern eine separate Justiz zusicherte. Ebenso wenig überzeugte die Abschaffung des Senats und vor allem die Kleinteiligkeit des Entwurfs, der die enorme Anzahl von 388 Paragrafen aufwies.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Chilenen alles ablehnen, was der Verfassungskonvent ausgearbeitet hat. Eine verstärkte Betonung des Umweltschutzes könnte ebenso mehrheitsfähig sein wie ein größeres Engagement des Staates in grundlegenden Bereichen wie Gesundheitspflege, Bildung und Rente.

Dazu haben sich schon vor der Abstimmung am Sonntag weite Teile des politischen Spektrums bereit erklärt, sowohl die konservativen Parteien als auch die linksliberale „Concertación“. Mit diesen beiden Gruppen wird sich die linke Regierungskoalition nun zusammensetzen müssen, um den Weg zu einem Grundgesetz zu finden, das sozialer ist als die ultraliberale Verfassung der Militärs, aber gleichzeitig einfacher und weniger ideologisch als der am Sonntag abgelehnte Entwurf.

Noch ist nicht klar, wie diese neue Etappe angegangen werden soll. Eine Möglichkeit wäre es, die Pinochet-Verfassung zu belassen, aber massiv zu ergänzen. Dagegen spricht aber das Resultat des ersten Referendums, in dem sich 78% der Bürger für eine neue Magna Carta ausgesprochen haben. Darum empfehlen die meisten Experten dem Präsidenten die Suche nach einer neuen Ausarbeitung in parlamentarischen Gremien.

In den beiden Kammern hat die Linkskoalition allerdings keine Mehrheit. Daher kann dieser Weg zu einer weiteren Belastungsprobe für Borics Regierung werden, an der ideologisch geprägte Linksalternative und Kommunisten ebenso teilnehmen wie erfahrene frühere Mitarbeiter der sozialistischen Präsidentin Michelle Bachelet.

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