Veronika Grimm

„Den Klimaschutz nicht konterkarieren“

Seit 2020 gehört Veronika Grimm den sogenannten „Wirtschaftsweisen“ der Bundesregierung an. Im Interview spricht sie über rasant gestiegenen Energiekosten und Entlastungen der Verbraucher sowie der Unternehmen.

„Den Klimaschutz nicht konterkarieren“

Frau Professor Grimm, die Bundesregierung will mehr tun, um Verbraucher und Unternehmen von den gestiegenen Energiekosten zu entlasten. Der richtige Schritt?

Die hohe Inflation, die insbesondere durch die Energiepreise ge­trieben ist, stellt Haushalte im unteren und mittleren Einkommensbereich vor große He­rausforderungen. Entlastungen sind daher geboten. Verschiedene sinnvolle Maßnahmen wurden schon be­schlossen. Gerade für Haushalte mit wenig finanziellem Spielraum dürfte das die Verluste ihrer Kaufkraft aber nicht genügend kompensieren. Zu­sätzliche Maßnahmen sind jetzt richtig. Sie sollten aber zielgerichtet untere und mittlere Einkommen entlasten, und zwar so, dass der Klimaschutz nicht konterkariert wird.

Wie beurteilen Sie da den von Finanzminister Christian Lindner (FDP) durchgesetzten Tankrabatt oder das von den Grünen geforderte Energiegeld für alle?

Ein Tankrabatt entlastet Menschen stärker, die ohnehin höhere Einkommen haben. Man senkt zudem die Preise fossiler Energieträger, aber diese wollen wir ja gerade einsparen. Wir brauchen dringend den Nachfragerückgang, der durch die Preise ausgelöst wird. Wenn es zu einem Lieferstopp von russischem Gas oder Öl kommen sollte, haben wir sonst ernste Probleme. So bitter es ist, der Anreiz, wenig zu verbrauchen, sollte bleiben. Aber man muss die Leute entlasten – etwa durch ein zielgerichtetes Energiegeld für jene mit unterem und mittlerem Einkommen.

Aus der Politik gibt es die Idee, die Milliardengewinne der Mineralölkonzerne auf EU-Ebene einzuziehen. Was halten Sie davon?

Wir erleben gerade eine enorme Un­sicherheit an den Märkten, vor allem infolge des Ukraine-Kriegs. Wenn man da abschöpfen will, wie will man denn zwischen den „guten“ und den „schlechten“ sogenannten Kriegsgewinnlern unterscheiden? Erneuerbare-Energien-Anlagen haben in den vergangenen Monaten auch höhere Ge­winne erzielt, Digitalkonzerne während der Corona-Pandemie mehr verdient. Ich würde in der aktuellen Phase von derartigen Ad-hoc-Eingriffen absehen, da dies die ohnehin ho-he Unsicherheit noch erhöhen dürfte.

Sollten Hilfen gegenfinanziert werden oder wäre eine hö­he­re Neuverschuldung angemessen?

Die aktuelle Lage in Europa ist angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine brisant. Die Entwicklungen zwingen uns zu einem schnellen und grundsätzlichen Umdenken, etwa in der Verteidigungs- und der Energiepolitik. Dadurch wird sich auch das wirtschaftliche Umfeld grundlegend ändern. Die Energieversorgung wird langfristig teurer, die öffentlichen Investitionen müssen erheblich steigen. Die Schuldenbremse ist zurzeit noch ausgesetzt. Die Politik sollte den dadurch be­stehenden Spielraum nutzen, um ge­zielt zu entlasten – aber nicht, um Geschenke an die eigene Klientel zu verteilen. Mittelfristig müssen wir uns auf die neue Situation einstellen, denn tragfähige Staatsfinanzen sind für die Bewältigung zukünftiger Krisen von hoher Bedeutung.

Gibt der Energiepreisanstieg ei­nen Vorgeschmack auf die Kosten der Energiewende und kann das den Rückhalt schwinden lassen?

Transformationspfade, bei de­nen billiges Gas als Übergangstechnologie geplant war, müssen sicherlich noch einmal neu überdacht werden. Das schnellere Hochfahren von erneuerbaren Energien dürfte die zu erwartenden Kostensteigerungen aber sukzessive abfedern. Je schneller wir vorankommen, desto eher setzt dieser Effekt ein. Daher sollte man auf keinen Fall die Transformation zur Klimaneutralität ausbremsen.

Die Fragen stellte Mark Schrörs.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.