Konjunktur

Deutsches Wachstum stagniert – Rezession droht

Nachdem das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im ersten Quartal stärker als zunächst gemeldet gewachsen ist, stagniert es nun im zweiten Quartal. Und es droht Schlimmeres: eine Stagflation wegen hoher Teuerung, Kauf- und Investitionszurückhaltung.

Deutsches Wachstum stagniert – Rezession droht

Die deutsche Wirtschaft hat im Frühjahr stagniert. Das Bruttoinlandsprodukt hat zwischen April und Juni gegenüber dem Vorquartal nicht mehr zugelegt, teilte das Statistische Bundesamt (Destatis) auf der Basis vorläufiger Zahlen mit. Ökonomen hatten dagegen zumindest mit einem Plus von 0,1% gerechnet. Anfang des Jahres war die Wirtschaft noch besser gelaufen als gedacht: Destatis revidierte das BIP-Plus für das erste Quartal auf 0,8% von zunächst genannten 0,2% nach oben.

Nach Einschätzung der EU-Kommission wird Europas größte Volkswirtschaft dieses Jahr voraussichtlich nur um 1,4% zulegen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von nur 1,2% im Gesamtjahr.

Außenbeitrag belastet

Gestützt wurde die Wirtschaft im Frühjahr vor allem von den privaten und staatlichen Konsumausgaben, während der Außenbeitrag das Wirtschaftswachstum dämpfte. „Die schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit anhaltender Corona-Pandemie, gestörten Lieferketten, steigenden Preisen und dem Krieg in der Ukraine schlagen sich deutlich in der konjunkturellen Entwicklung nieder“, erklärten die Wiesbadener Statistiker.

Konsumverhalten ändert sich

Nach Angaben der GfK-Konsumforscher hat sich auch das Ausgabeverhalten der Menschen in Deutschland mittlerweile spürbar verändert. Bei Gütern des täglichen Bedarfs wie Lebensmitteln oder Körperpflegeprodukten schnallen Verbraucherinnen und Verbraucher den Gürtel enger. Die Konsumlaune ist auf ein Allzeittief gesunken. „Zu den Sorgen um unterbrochene Lieferketten, den Ukraine-Krieg und stark steigende Energie- und Lebensmittelpreise kommen nun Befürchtungen um eine ausreichende Gasversorgung von Wirtschaft und privaten Haushalten im nächsten Winter“, erläuterte GfK-Konsumexperte Rolf Bürkl.

Zugleich hat sich die Stimmung in den Unternehmen deutlich verschlechtert. Das Ifo-Geschäftsklima, für das etwa 9.000 Unternehmen ihre gegenwärtige Geschäftslage und die Erwartungen für die nächsten sechs Monate beurteilen, ist im Juli auf den niedrigsten Stand seit gut zwei Jahren gesunken. „Deutschland steht an der Schwelle zur Rezession“, sagte unlängst Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Hohe Energiepreise und drohende Gasknappheit belasten die Konjunktur.“

Konjunktur von Putins Gnaden

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht davon aus, dass sich die deutsche Wirtschaft bereits in einem Abschwung befindet. Wie schlimm es am Ende komme, liege vor allem in den Händen von Russlands Präsident Wladimir Putin. „Käme es zu einem kompletten Stopp der Gaslieferungen, wäre eine tiefe Rezession unvermeidlich“, so Krämer. Das bedeutet, dass die deutsche Wirtschaft nicht mehr wachsen, sondern über zwei oder mehr Quartale schrumpfen würde.

Es drohten, so formuliert KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib, zusätzliche Kaufkraftverluste durch massiv steigende Heizkosten, denn die russischen Gaslieferungen würden wohl entweder stark reduziert bleiben oder sogar ganz abreißen. Auf jeden Fall sei die Unsicherheit derzeit gewaltig, was Gift für die Investitionstätigkeit sei. Und sie fordert: „Es ist wichtig, dem entgegenzuwirken, denn es sind gerade Investitionen, die notwendig sind, um die akuten Herausforderungen, wie die seit Kriegsausbruch noch dringendere Energiewende, zu meistern.“

Jan Holthusen von der DZ Bank spricht bereits von einer „Stagflation“ – stagnierende Wirtschaftsleistung bei hoher Inflation. Mit den jüngsten Zahlen werde klar, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer Stagflation befinde. „Die Aussichten für die kommenden Monate sind nicht besser.“

Andere europäische Länder erfolgreicher

Die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland kontrastiert mit jener in anderen europäischen Ländern. Die Eurozone ist im Frühjahr deutlich stärker als erwartet gewachsen. Im zweiten Quartal wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der 19 Euro-Länder zum Vorquartal um 0,7%, wie das Statistikamt Eurostat in Luxemburg mitteilte. Volkswirte hatten im Schnitt lediglich mit einem Wachstum von 0,2% gerechnet. Im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum wuchs die Eurozone sogar um 4,0%.

In der gesamten EU war die Entwicklung ähnlich. Das deutlichste Wachstum im Euroraum unter Ländern, die bereits Daten veröffentlicht haben, verzeichnet Spanien. Hier wuchs die Wirtschaft zum Vorquartal um 1,1%. In Italien stieg das BIP um 1,0% und in Frankreich um 0,5%.

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