Konjunktur

Deutschland mit einem Bein schon in der Rezession

Die Einkaufsmanager in Deutschland und der Eurozone sind noch pessimistischer, als Volkswirte erwartet hatten. Nach einer Ökonomen-Umfrage steht die heimische Wirtschaft mit einem Bein sogar bereits in der Rezession.

Deutschland mit einem Bein schon in der Rezession

Die deutsche Wirtschaft hat ihre Talfahrt im Oktober angesichts der Energiekrise beschleunigt. Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft – Industrie und Dienstleister zusammen – sank um 1,6 auf 44,1 Punkte. Das sei der niedrigste Stand seit den ersten Corona-Lockdowns Anfang 2020, teilte der Finanzdienstleister S&P Global am Montag zu seiner monatlichen Umfrage unter rund 800 Unternehmen mit. Damit liegt das an den Finanzmärkten viel beachtete Barometer klar unter der Marke von 50, ab der es ein Wachstum signalisiert. Von Reuters befragte Ökonomen hatte nur einen Rückgang auf 45,3 Zähler erwartet. „Die Anzeichen für eine bevorstehende Rezession in der größten Volkswirtschaft der Euro-Zone haben zugenommen“, kommentierte S&P-Ökonom Phil Smith die Entwicklung.

Besonders stark sank die Industrieproduktion. Sie nahm so deutlich ab wie zuletzt vor knapp zweieinhalb Jahren. „Verantwortlich hierfür waren die hohen Energiekosten und die anhaltend schwache Nachfrage nach Industrieerzeugnissen“, hieß es dazu von S&P Global. Bei den Dienstleistern beschleunigt sich dagegen die Talfahrt nur leicht. Die Aussichten bleiben insgesamt stark eingetrübt. „Der starke Preisdruck, die steigenden Zinsen und die zunehmende Ausgabenzurückhaltung der Kunden aufgrund von Rezessionsängsten sorgten dafür, dass der Auftragseingang in Industrie und Servicesektor jeweils das höchste Minus seit Mai 2020 auswies“, betonten die Experten.

Ökonomen: Deutschland schon in der Rezession

Aus einer am Montag veröffentlichten Reuters-Umfrage unter 21 Volkswirten geht hervor, dass der Abschwung schon viel weiter ist, als es viele Daten suggerieren. Danach ist das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal bereits um 0,2% im Vergleich zum vorangegangenen Vierteljahr gesunken. Das wäre der erste Rückgang seit Anfang 2021, als die Corona-Pandemie durchschlug. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht diesen Freitag eine erste Schätzung zum Abschneiden von Juli bis September. Im Frühjahr hatte es noch zu einem Mini-Wachstum von 0,1% gereicht, am Jahresanfang wegen der Corona-Erholung sogar zu einem kräftigen Plus von 0,8%. Bei zwei negativen Quartalen in Folge wird von Rezession gesprochen, die Experten zufolge nun immer wahrscheinlicher wird.

„Zurückzuführen ist das schwache Ergebnis vor allem auf die hohe Inflation, steigende Zinsen und die Lieferprobleme in der Industrie“, betonten die Ökonomen der BayernLB mit Blick auf die Sommermonate. Besonders der private Konsum dürfte geschwächelt haben, nachdem die Inflationsrate zuletzt mit 10,0% so hoch ausgefallen ist wie sei 1951 nicht mehr und an der Kaufkraft der Verbraucher nagt. Die Ersparnisse aus der Zeit der Corona-Krise – in der etwa Reisen, Restaurant- und Konzertbesuche eingeschränkt waren – seien aufgebraucht. Diese Puffer dürften nun nicht mehr gereicht haben, um ein Minus beim Privatverbrauch zu verhindern. „Die Entwicklung des Einzelhandels zeigt, dass sich vor allem die Konsumenten zurückgehalten haben“ hieß es auch bei der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba).

Kleiner Lichtblick: Arbeitsmarkt

Zumindest einen Lichtblick gibt es aber. „Trotz des Wachstumsrückgangs und der ausgesprochen düsteren Geschäftsaussichten ist das Beschäftigungsniveau noch nicht gesunken, was auf die Widerstandsfähigkeit des deutschen Arbeitsmarktes hindeutet“, sagte S&P-Ökonom Smith. „So waren die Firmen bereit, ihre Personalstärken beizubehalten und in einigen Fällen wurden sogar freie Stellen neu besetzt.“ Und das, obwohl die Unternehmen mit explodierenden Kosten – einschließlich der Löhne – und einer immer wahrscheinlicher werdenden Rezession konfrontiert seien.

Stimmung in der Eurozone verdüstert sich

Im Euroraum hat sich die Unternehmensstimmung im Oktober ebenfalls weiter verschlechtert. Der Einkaufsmanagerindex fiel zum Vormonat um 1,0 Punkte auf 47,1 Zähler, wie die Marktforscher in London nach der ersten Umfragerunde mitteilten. Der Indikator ist damit den sechsten Monat in Folge gefallen und liegt so niedrig wie seit fast zwei Jahren nicht mehr. Zudem wird auch in der Eurozone die Wachstumsschwelle von 50 Punkten klar unterschritten, was auf eine schrumpfende Wirtschaft hindeutet.

Analysten hatten zwar mit einem erneuten Stimmungsdämpfer gerechnet. Sie waren aber von einem etwas höheren Indexwert von 47,6 Punkten ausgegangen.„Angesichts des verstärkten Produktionsrückgangs und der weiter nachlassenden Nachfrage dürfte die Wirtschaftsleistung der Eurozone im vierten Quartal 2022 schrumpfen, was die Spekulation anheizt, dass eine Rezession immer unvermeidbarer wird“, erklärte S&P-Chefökonom Chris Williamson. Sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungssektor trübte sich die Wirtschaftslage ein.

Jörg Angele, Volkswirt bei Bantleon, zeichnet ein düsteres Bild: „Der Abwärtstrend dürfte sich bis weit ins Jahr 2023 fortsetzen. Es dominieren mithin klar die Abwärtsrisiken für unsere bereits seit Längerem vertretene pessimistische Prognose einer ausgewachsenen Rezession in der Eurozone“.

Finanzierung immer schwieriger

Erschwerend kommt hinzu, dass Unternehmen immer mehr über Finanzierungsprobleme klagen. Wie das Münchner Ifo-Institut etwa im Hinblick auf die deutsche Wirtschaft ermittelt hat, kommen heimische Unternehmen angesichts der drohenden Rezession und der befürchteten Pleitewelle schwieriger an neue Kredite. Aktuell berichten 24,3% der Betriebe, die gegenwärtig Verhandlungen über Darlehen führen, von Zurückhaltung bei den Banken. Dies ist der höchste Wert seit 2017. „Die aktuell ungünstige wirtschaftliche Entwicklung lässt die Banken vorsichtiger werden“, sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. „Für manche Unternehmen könnte das wirtschaftliche Überleben ohne neue Kredite schwierig werden.“

Bei den Dienstleistern sind es 28,8% der kreditsuchenden Firmen, die von Zurückhaltung der Banken berichten. In der chemischen Industrie klagen 8,4% und bei den Automobilherstellern 22,4% der kreditsuchenden Unternehmen, dass sie nicht mehr so einfach neue Darlehen bekommen. Im Handel waren es hingegen nur knapp 15% dieser Firmen.

Am stärksten betroffen sind dabei die Kleinstunternehmen und Solo-Selbständige. Hier berichtete rund jede zweite kreditsuchende Firma, dass es schwierig ist, sich frisches Geld zu leihen. „Für Kleinstunternehmen sind andere Finanzierungsformen wie Anleihen kaum nutzbar“, sagte Wohlrabe. „Sie sind deshalb oft auf Bankkredite angewiesen.“

„An der Schwelle zur Rezession“

Die Bundesbank sieht Deutschland wegen der Energiekrise an der Schwelle zur Rezession. „Die anhaltend hohe Inflation und die Unsicherheit über die Energieversorgung und ihre Kosten belasten die deutsche Wirtschaft deutlich“, heißt es im aktuellen Monatsbericht. Bereits im zurückliegenden Sommerquartal könnte das Bruttoinlandsprodukt schon nicht mehr gewachsen sein, sondern stagniert haben. Im gerade begonnenen Winterhalbjahr werde es dann wohl „deutlich sinken“, betonte die Bundesbank die Gefahr einer Rezession. Sie versteht darunter einen deutlichen, breit angelegten und länger anhaltenden Rückgang der Wirtschaftsleistung.