Die EZB und die Ungleichheit

Notenbank weist Vorwürfe von Kritikern zurück, ihre Politik führe zu mehr Spaltung - Positiver Beitrag durch geringere Arbeitslosigkeit

Die EZB und die Ungleichheit

Von Mark Schrörs, FrankfurtGeldpolitik hat seit jeher und stets Umverteilungswirkungen – das ist im Grunde unbestritten. In den vergangenen Jahren aber sind die Notenbanken weltweit gehörig unter Beschuss geraten, sie hätten mit der ultralockeren Geldpolitik, mit der sie sich erst gegen die Weltfinanz- und dann gegen die Euro-Schuldenkrise stemmten, die Ungleichheit weiter deutlich erhöht. Die Reichen würden durch Wertpapierkäufe und boomende Finanzmärkte immer reicher und die Armen durch Null- und Negativzinsen immer ärmer, so die Kritik.In den USA entzündet sich nicht zuletzt daran die Debatte, ob die Unabhängigkeit der Fed beschnitten werden sollte. Und in Großbritannien hatte Regierungschefin Theresa May der Bank of England Ende 2016 vorgehalten, dass die Niedrigzinsen die Ungleichheit erhöht hätten. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) sieht sich mit solchen Vorwürfen konfrontiert – speziell mit Blick auf ihr umstrittenes Wertpapierkaufprogramm Quantitative Easing (QE).Dagegen wehrt sich die EZB jetzt. In einem Diskussionspapier, das die EZB heute veröffentlichen wird, kommen die Autoren, im Wesentlichen Mitarbeiter der EZB-Forschungsabteilung, zu dem Ergebnis, dass von der Geldpolitik in den vergangenen Jahren die meisten Haushalte im Euroraum profitiert hätten. Das gelte insbesondere auch für die Anleihekäufe, die die Ungleichheit sogar eher verringert hätten.”Insgesamt zeigt sich, dass die Geldpolitik der vergangenen Jahre den meisten Haushalten zugutekam und nicht zu einem Anstieg der Vermögens-, Einkommens- oder Konsumungleichheit beitrug”, heißt es in dem Papier. Mit Blick auf die Anleihekäufe heißt es, dass diese die Einkommensungleichheit verringert hätten – “hauptsächlich durch eine Verringerung der Arbeitslosenquote der ärmeren Haushalte”.In der Untersuchung unterscheiden die Experten zwischen direkten und indirekten Effekten der Geldpolitik. Direkte Effekte betreffen etwa den Einfluss auf das Sparverhalten oder Veränderungen des Nettofinanzeinkommens. So führe etwa eine Zinssenkung zu geringeren Zinseinkünften für Sparer, aber auch zu einem geringeren Schuldendienst für jene, die sich verschuldet haben. Bei den indirekten Effekten richtet sich der Blick auf die generellen Folgen für das Arbeitseinkommen und die Beschäftigung. Niedrigere Zinsen führten zu höheren Ausgaben der Haushalte und mehr Investitionen, was den gesamtwirtschaftlichen Output ankurbele. Was das Endergebnis betrifft, seien die indirekten Effekte “quantitativ wichtiger”, so die EZB. Bereits im August vergangenen Jahres hatte der damalige EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio argumentiert, dass unter dem Gesichtspunkt der Verteilung die Hauptwirkung der expansiven Geldpolitik der EZB in der Reduzierung der Arbeitslosigkeit bestehe, was positive Effekte auf die Reduzierung der Ungleichheit habe (vgl. BZ vom 23.8.2017).Die Bundesbank hatte sich ihrerseits im September 2016 mit den Verteilungseffekten der EZB-Politik befasst – und vieles passt zu den jetzigen EZB-Ergebnissen. Das Fazit damals: Die geldpolitischen Sondermaßnahmen könnten die Vermögensungleichheit zwar über einen Anstieg der Vermögenspreise kurzfristig erhöht haben. Der mittel- bis langfristige Effekt sei aber unklar, da dieser wesentlich von den gesamtwirtschaftlichen Anpassungsprozessen abhänge. Bei der Einkommensverteilung dürfte die Geldpolitik sogar zu einem Rückgang der Ungleichheit geführt haben – eben wegen der gesunkenen Arbeitslosigkeit. Ob die EZB ihre Kritiker nun verstummen lassen kann, erscheint aber fraglich. Sie könnten sich sogar bestätigt fühlen durch eine Analyse der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Diese hatte sich in ihrem Quartalsbericht März 2016 mit dem Thema “Vermögensungleichheit und Geldpolitik” befasst. Der Tenor: Steigende Aktienkurse seien der “Hauptgrund” für die steigende Vermögensungleichheit seit der Finanzkrise. Es liege “somit die Vermutung nahe, dass die Geldpolitik zu dieser Ungleichheit beigetragen” habe. Allerdings untersuchte die BIZ die Effekte auf Ersparnisse, Schuldenaufnahme und Humankapital nicht. Dauer der KrisenpolitikDer renommierte Ökonom Raghuram Rajan hatte bereits Ende 2015, damals noch als Chef der indischen Zentralbank, im Interview der Börsen-Zeitung ein großes Problem in dieser Debatte skizziert (vgl. BZ vom 18.11.2015): Je länger die sehr aggressive Geldpolitik andauere, desto deutlicher kristallisiere sich eine bestimmte Gruppe an Gewinnern – traditionell die Kreditnehmer – und an Verlierern – traditionell die Sparer – heraus. Das sei anders als beim normalen geldpolitischen Zyklus, wo sich diese Interessen immer wieder ausgleichen würden. Rajan: “Das ist etwas, das große Sorgen macht.”