Japan

Die Geldpolitik auf dem Prüfstand

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank Japan, Kentaro Koyama, spricht von dem „am sehnlichsten erwarteten und am wenigsten vorhersehbaren“ Treffen der Bank of Japan (BoJ) seit viereinhalb Jahren. Zum ersten Mal seit Einführung der Zinskurvensteuerung...

Die Geldpolitik auf dem Prüfstand

mf Tokio

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank Japan, Kentaro Koyama, spricht von dem „am sehnlichsten erwarteten und am wenigsten vorhersehbaren“ Treffen der Bank of Japan (BoJ) seit viereinhalb Jahren. Zum ersten Mal seit Einführung der Zinskurvensteuerung 2016 haben die Währungshüter ihre Geldpolitik offiziell auf den Prüfstand gestellt. Das Ergebnis wird am Freitag veröffentlicht. Für den Finanzmarkt ist der Vorgang insofern bedeutend, als die BoJ der größte Käufer von japanischen Staatsanleihen und Aktien ist. Ein geldpolitischer Kurswechsel dürfte sich erheblich auf den Markt auswirken.

Mit der Überprüfung reagiert die BoJ auf die Folgen der Pandemie, wodurch ihr Inflationsziel von 2% außer Reichweite geraten ist. Dabei hat ihre ultralockere Geldpolitik die Bilanzsumme bereits auf 135% des Bruttoinlandsproduktes getrieben. Zur Beruhigung des Finanzmarktes betonte man, eine Lockerung oder Straffung stehe nicht zur Debatte. Die Aussagen einzelner Notenbanker legen nahe, dass die BoJ ihre Geldpolitik durch eine flexiblere Gestaltung der Wertpapierkäufe „nachhaltiger“ machen will. So könnte sie einerseits in Krisen agiler reagieren und andererseits die Marktfunktionen im Handel mit Aktien und Staatsanleihen stärken. „Flexible Käufe in priorisierter Form werden die Nachhaltigkeit der monetären Lockerung verbessern“, erklärte Vizegouverneur Masayoshi Amamiya. Die ausländischen Investoren blicken in erster Linie auf das BoJ-Kaufprogramm für Indexfonds, das zuletzt durch seine Extreme aufgefallen ist. Im September 2010 hatte die BoJ erstmals beschlossen, ETFs für jährlich 450 Mrd. Yen (heute 3,5 Mrd. Euro) zu kaufen. Der Bedeutung war man sich damals bewusst: „Wir riskieren größere Verluste, falls die Kurse fallen“, räumte Gouverneur Masaaki Shirakawa ein. Unter seinem Nachfolger Haruhiko Kuroda steigerte die BoJ ihr jährliches Kaufvolumen jedoch um das 13-Fache auf inzwischen 6 Bill. Yen (46,2 Mrd. Euro). Im Coronajahr 2020 führte Kuroda ein Limit von 12 Bill. Yen ein und wurde zum größten Käufer. Zum Jahresende löste die BoJ Schätzungen zufolge zudem den Pensionsfonds GPIF als größten Besitzer von einheimischen Aktien ab.

Schon länger kritisieren einige Analysten und Anlagestrategen, dass das massive BoJ-Kaufprogramm die Aktienkurse manipuliere. Der Japan-Analyst Jesper Koll, ein Berater des ETF-Anbieters Wisdomtree, warnte vor dem „größten Experiment in Finanzsozialismus“, als die BoJ ihr Kauflimit vor einem Jahr verdoppelte. In ihrer Bilanz wird die ETF-Position zu ihrem Kaufwert von 35,7 Bill. Yen (275 Mrd. Euro) geführt. Der Kurswert entspricht 7% der Topix-Marktkapitalisierung. Laut Kuroda liegt der Break-even-Punkt bei einem Nikkei-Stand von 21000 Yen, die unrealisierten Kursgewinne lägen bei 13 Bill. Yen. Doch Kuroda und seine Mitstreiter sorgen sich weniger um das Kursrisiko als um das Verhalten von privaten und institutionellen Aktienanlegern. Viele davon verlassen sich inzwischen darauf, dass die BoJ den Markt bei Abschwüngen stützt. Diese Erwartungshaltung möchte die Notenbank gerne ändern, ohne dass diese Investoren weniger kaufen oder gar verkaufen.

Während der Prüfungsphase hat die BoJ den Weg, den sie gehen will, möglicherweise schon skizziert. Denn zwischen Anfang Januar und vergangenem Freitag, als die Kurse eher stiegen, schrumpfte ihre ETF-Kaufsumme auf das Siebenjahrestief von 350,7 Mrd. Yen, drei Viertel weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Im Februar war die BoJ nur an einem einzigen Handelstag aktiv. Auch das etablierte Kaufmuster, das viele kurzfristig agierende Anleger oft berücksichtigten, beachtete sie nicht mehr. Früher stieg die BoJ nachmittags in den Markt ein, wenn der Topix vormittags mehr als 0,5% verlor. Dies war in diesem Jahr nicht mehr immer der Fall. Aufgrund dieser Entwicklung rechnen Beobachter damit, dass die BoJ ihr jährliches Kaufziel von 6 Bill. Yen streichen, aber das obere Limit von 12 Bill. Yen beibehalten wird. Dann kann sie sich bei hohen oder steigenden Kursen vom Markt fernhalten und bei heftigeren Kursabschwüngen stützend eingreifen.

Auch bei dem Kaufprogramm für Staatsanleihen dürfte die Überprüfung eher zu technischen Änderungen führen. Eine Spekulation lautet, dass die BoJ die inoffizielle Schwankungsbreite der 0-Prozent-Zielrendite für zehnjährige Staatsanleihen von derzeit 40 Basispunkten vergrößert. Doch Gouverneur Kuroda lehnt diese Idee ab – vermutlich, weil der Finanzmarkt sie als Tapering-Beginn missverstehen könnte. Sein Stellvertreter Amamiya da­gegen befürwortete höhere Renditeausschläge, „solange der Lockerungseffekt bestehen bleibt“. Vermutlich wird die BoJ künftig schlicht weniger Informationen über ihre geplanten Anleihekäufe veröffentlichen. Als andere Option gilt die Zulassung von Twist-Operationen bei Staatsanleihen zugunsten von höheren Renditen am langen Ende – also der Kauf von Kurz- und der Verkauf von Langläufern. Das würde Lebensversicherern und Pensionsfonds helfen, die unter den Niedrigzinsen ächzen. Außerdem könnte die BoJ versuchen, ihren Spielraum für verschärfte Negativzinsen auszuweiten, indem sie neue Möglichkeiten schafft, die Profitabilität der Geschäftsbanken zu stützen. So würde­ man den Bankenverband besänftigen, der den Negativzins ablehnt.