Ehrgeizige Pläne in der Finanzmarktgesetzgebung

Bundesregierung hat zum Ende der Legislaturperiode noch einiges vor - Wirecard-Skandal führt zu politisch brisanter Aufsichtsreform

Ehrgeizige Pläne in der Finanzmarktgesetzgebung

Bundesregierung und Bundestag starten mit einer anspruchsvollen Agenda für die Finanzmarktgesetzgebung in das Jahr 2021. Die Reform der Finanzaufsicht und Bilanzkontrolle nach dem Wirecard-Skandal wird im Bundestag noch heftige Debatten auslösen. Vier Gesetzentwürfe gingen noch vor der Weihnachtspause durch das Kabinett, einige Referentenentwürfe stehen in den Startlöchern.Von Angela Wefers, BerlinEin Konvolut von Gesetzentwürfen hat das Bundeskabinett noch kurz vor dem Jahreswechsel gebilligt. Dazu gehören die Reformen von Finanzaufsicht und Bilanzkontrolle als Folge des Wirecard-Skandals, ein komplett neues Gesetz zur Einführung digitaler Wertpapiere, die Novelle des Pfandbriefgesetzes sowie ein eigenes Gesetz zur Aufsicht über Wertpapierfirmen. Bei den beiden Letzteren geht es um die Umsetzung von EU-Recht. Der Gesetzgeber muss Fristen einhalten. Die Zeit drängt, wenn diese Vorhaben noch vor Ende der Legislaturperiode Bundestag und Bundesrat passieren sollen. Am 25. Juni geht der Bundestag in diesem Jahr in die Sommerpause und kommt bis zur Bundestagswahl Ende September regulär nicht mehr zusammen. Die Länderkammer tritt am selben Tag ebenfalls das letzte Mal vor den Sommerferien zusammen. Gesetzesvorhaben, die im Bundestag bis dahin nicht abgeschlossen sind, verfallen nach dem Grundsatz der Diskontinuität. Folgen des Wirecard-Skandals Politisch besonders brisant ist der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) – eine Folge des Wirecard-Skandals. Der börsennotierte Zahlungsdienstleister brach zusammen, nachdem rund 2 Mrd. Euro in der Bilanz unauffindbar blieben. Alle Kontrollsysteme hatten versagten. Wirtschaftsprüfer, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung als Bilanzpolizei und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bemerkten die kriminelle Energie im früheren Dax-Unternehmen viel zu spät. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags fahndet nun nach den politisch Verantwortlichen und will Hintergründe aufklären. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) steht als oberster Dienstherr der BaFin unter Druck. Auch CDU-Politiker stehen in der Kritik: Wirtschaftsminister Peter Altmaier wacht über die Wirtschaftsprüferaufsicht Apas. Kanzlerin Angela Merkel warb bei einem Staatsbesuch für den Marktzugang von Wirecard in China. Scholz wurde zusammen mit seiner Kabinettskollegin, Justizministerin Christine Lambrecht (SPD), aktiv und kündigte bereits im Sommer 2020 ein Gesetzespaket zur Aufsicht an, das nun in den Regierungsentwurf mündete. Darunter sind: die Stärkung der Befugnisse der BaFin, angefangen von der Bilanzkontrolle bis hin zur forensischen Prüfung, eine größere Unabhängigkeit der Abschlussprüfer samt Pflichtrotation und schärferer zivilrechtlicher Haftung sowie bessere interne Kontrollsysteme in börsennotierten Unternehmen. Für BaFin-Mitarbeiter wird ein gesetzliches Handelsverbot von Finanzinstrumenten der von ihnen beaufsichtigten Unternehmen eingeführt. Politische Gratwanderung Für Scholz ist der Gesetzentwurf ein politischer Befreiungsschlag. In der Unionsfraktion wird indessen die Frage ventiliert, wie stark der Ausbau von Bürokratie bei der Finanzaufsicht BaFin sein soll – als Reaktion auf einen, wenn auch spektakulären, Einzelfall, den auch härtere Vorgaben womöglich nicht verhindert hätten. Die Finanzbranche ächzt schon heute unter den seit Jahren steigenden Kosten der BaFin, die sie als Beaufsichtigte schultern muss. Für die CDU/CSU wird die Gesetzgebung eine Gratwanderung sein. Trotz aller Bedenken will sie nicht als Bremserin dastehen. Sicher ist: Das Gesetzgebungsverfahren wird spannend.Rechtliches Neuland betritt die Bundesregierung mit der Einführung digitaler Wertpapiere. Sind Wertpapiere bislang stets in Urkunden verbrieft und werden in Zentralregistern verwaltet, sollen künftig auch urkundenlose Wertpapiere geschaffen, aufbewahrt und übertragen werden können. Damit werden die Papiere über die dezentrale Distributed-Ledger-Technologie im Markt fungibel gemacht. Die Urkunde ersetzt ein Registereintrag. Neben die bisherige Verwahrung im Zentralregister tritt künftig die Möglichkeit eines dezentralen Registereintrags auf Basis von Technologien wie der Blockchain. Die Aufsicht über das Register liegt bei der BaFin. Die Bundesregierung geht schrittweise vor: Zunächst wird die neue Möglichkeit für Schuldverschreibungen geschaffen, die auch über die Blockchain emittiert werden können.Für Fondsanteile reicht der gesetzliche Schritt zum Leidwesen der Branche noch nicht ganz in die Kryptowelt hinein. Sie können im dezentralen Register verwahrt, aber noch nicht dezentral emittiert werden. Bei Aktien suchen die Experten im Bundesjustizministerium noch nach Lösungen, wie die vielfältigen Formen von Kapitalveränderungen etwa bei einer Kapitalerhöhung samt Bezugsrechtshandel oder Aktienrückkäufen rechtssicher in der Kryptowelt abgebildet werden können. Die Finanzbranche steht in den Startlöchern. Sie fürchtet um die Wettbewerbsposition des Finanzplatzes Deutschland, wenn Berlin nicht schnell genug agiert. Politisch dürfte es in der Koalition bei diesem Gesetzgebungsverfahren im Bundestag keine Spannungen geben. Pfandbrief als BenchmarkPolitisch unumstritten sind auch die Pfandbriefnovelle und die neue Aufsicht über Wertpapierfirmen. Beide Reformen passen deutsches an europäisches Recht an. Die Pfandbriefbranche ist zufrieden mit dem Regierungsentwurf. Die Bundesregierung setzt EU-Recht 1:1 um und verzichtet auf Goldplating. Wesentlich Änderungen im Geschäft hierzulande sind nicht zu erwarten, da der Pfandbrief Benchmark bei der Harmonisierung von Covered Bonds in Europa war. Das europäische Premium-Produkt hält die hohen Qualitätsstandards des Pfandbriefs. Die zweite Variante eines europäischen Standard-Produkts wird hierzulande rechtlich vorerst nicht verankert. Die Pfandbriefbranche hofft noch auf die Verwirklichung von Wünschen, unabhängig von der EU-Richtlinie: Die Vorkehrungen für den unwahrscheinlichen Insolvenzfall einer Pfandbriefbank sollen weiter verbessert werden und die aufsichtsgetriebenen hohen Kosten bei der Gebäudeversicherung sinken. Novelle für Wertpapierfirmen Bei der Aufsicht über Wertpapierfirmen kommt es durch das neue europäische Recht hierzulande zu einem Regimewechsel. Die bisher im Kreditwesengesetz (KWG) verankerte Aufsicht wird dort herausgelöst und in ein eigenes, neues Gesetz verlagert. Dieser Schritt kommt der Branche grundsätzlich entgegen, da das KWG doch für eine Reihe von kleinen Wertpapierfirmen oft sehr weitreichende Aufsichtsanforderungen mit sich brachte, wie sie auch für international tägige Banken gelten. Wertpapierfirmen haben aber ein anderes Risikoprofil als Banken, die auch Einlagen hereinnehmen. Die neuen Vorgaben untergliedern die Wertpapierfirmen in drei Größenklassen und verankern aufsichtsrechtliche Anforderungen zu den eingegangenen Risiken, zu Eigenmittelanforderungen, an die Geschäftsorganisation sowie an Geschäftsleitung und Aufsichtsorgane. Ein neues Gesetz hat immer Tücken. Die Branche treibt die Sorge um, dass die zahlreichen rechtlichen Verweise auf andere Gesetze im KWG wieder sauber in das neue Recht aufgenommen werden, um Rechtsunsicherheit zu vermeiden. Es “sollte akribisch darauf geachtet werden, dass sich die Rechtsstellung der Wertpapierfirmen in anderen Rechtsbereichen als dem KWG nicht zu deren Nachteil verändert”, schrieb der Bundesverband der Wertpapierfirmen in seiner Stellungnahme. Politischer Disput dürfte in diesem Gesetzgebungsverfahren nicht zu erwarten sein. Aufsichtsreform bei Fonds In der Pipeline des Bundesfinanzministeriums sind noch weitere Vorhaben, die früh im neuen Jahr durch das Kabinett und in das parlamentarische Verfahren gehen sollen, um auch ihnen noch eine Chance zu geben, Gesetzeskraft zu erlangen. Dazu gehören das sogenannte Fondsstandortgesetz, das zum Teil EU-Recht umsetzt, aber auch die Mitarbeiterkapitalbeteiligung hierzulande für kleine Unternehmen ausbauen will. National motivierte Vorhaben sind das “Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz” – so die amtliche Bezeichnung aus dem Bundesfinanzministerium – und der ganz frisch vorgelegte Entwurf eines “Gesetzes zur weiteren Stärkung des Anlegerschutzes”. Die Entwürfe sind noch frisch, so dass sich dazu noch keine politische Richtung in der schwarz-roten Koalition abzeichnet.Das Fondsstandortgesetz soll aufsichtsrechtliche und steuerliche Reformschritte bündeln. Zu den neuen Regelungen zählen: die weitere Entbürokratisierung für Fondsverwalter – darunter die Möglichkeit, Anleger über elektronische Medien zu informieren -, die Abschaffung zahlreicher Schriftformerfordernisse, mehr Flexibilität bei Änderungen von Fondsregeln, die weitere Digitalisierung der Aufsicht, mehr Flexibilität für Immobilienfondsverwalter sowie eine erweiterte Produktpalette für Fondsverwalter. Deutsches Recht wird auch an die EU-Transparenz- und Taxonomie-Verordnung angepasst, damit Investoren nachhaltige Aspekte bei ihren Entscheidungen stärker berücksichtigen. Sorgen bereitet den Spezialfondsanbietern dabei die neue Regelung zum Pre-Marketing. Sie hoffen auf eine flexible Auslegung der Aufsicht für die Anzeigepflicht vor Vertriebsbeginn. Die neue Regelung dürfte sonst ein echtes Hindernis für die Auflegung von Spezialfonds hierzulande werden. Flügel für WagniskapitalDie Bundesregierung will diese Novelle zugleich dazu nutzen, Wagniskapital zu stärken. Dazu wird die Umsatzsteuerbefreiung auf die Verwaltung von Wagniskapitalfonds ausgedehnt und der Steuerfreibetrag bei Mitarbeiterkapitalbeteiligungen im Einkommensteuergesetz von 360 Euro auf 720 Euro angehoben. Zudem sorgt eine neue steuerliche Regelung dafür, dass Mitarbeiter bei Start-up-Unternehmen ihre Kapitalbeteiligungen nicht mehr sofort, sondern erst nach zehn Jahren, beim Verkauf oder beim Wechsel des Unternehmens versteuern müssen.Mit dem Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (auch die offizielle Abkürzung bleibt unaussprechlich: AbzStEntModG) will die Bundesregierung nach Darstellung des Bundesfinanzministeriums das Kapitalertragsteuer-Entlastungsverfahren verbessern und Missbrauch sowie Steuerhinterziehung verhindern. Die Aussteller der Steuerbescheinigungen, also Kreditinstitute, sollen stärker in die Haftung genommen werden – dies sogar unabhängig vom Verschulden. Die deutsche Kreditwirtschaft reagiert bei allem Verständnis für den Kampf gegen Missbrauch äußerst harsch auf den Entwurf. Die in der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) vereinten Verbände schrieben in ihrer Stellungnahme, die geforderten Maßnahmen seien “unverhältnismäßig” und könnten in der Praxis eines Massenverfahrens nicht umgesetzt werden. Künftig könnten “im Dividendenbereich keine Steuerbescheinigungen mehr ausgestellt werden”, konstatierte die DK. In der Folge sei “weder eine Anrechnung von Kapitalertragsteuer noch deren Erstattung möglich”.Schließlich soll im Endspurt das Gesetz zur weiteren Stärkung des Anlegerschutzes noch offene Punkte eines Maßnahmenpakets der Bundesregierung aus 2019 umsetzen, das auf die Insolvenz des Containeranbieters P&R folgte. Zuständig sind Justiz- und Finanzministerium. Dazu gehören: das Verbot von Blindpool-Anlagen, bei denen das Finanzierungsobjekt noch offen ist, die Beschränkung des Vertriebs von Vermögensanlagen auf beaufsichtigte Anlageberater oder Finanzanlagevermittler, eine bessere Prüfungsmöglichkeit der Rechnungslegung von Vermögensanlageemittenten, die Einführung einer Mittelverwendungskontrolle und die Abschaffung der bloßen Registrierungsmöglichkeit bei geschlossenen Publikumsfonds. Die Konsultationsfrist läuft noch bis zum 15. Januar.Über das Stadium des Referentenentwurfs nicht hinausgekommen ist das bereits im April 2020 vom Bundesfinanzministerium vorgelegte Gesetz zur Deckelung der Abschlussprovision von Lebensversicherungen und von Restschuldversicherungen. Die Novelle soll Abschluss- und Vertriebskosten senken, die vor allem durch die Vermittlervergütungen bestimmt sind. Umstritten ist zwischen SPD und Union aber immer noch, ob ein gesetzlicher Eingriff in den Markt nötig ist. Bundestag berät nochIm Bundestag gibt es noch Restanten aus dem alten Jahr. Sie werden schon beraten, sind aber noch nicht abgeschlossen. Bei der strafrechtlichen Verfolgung von Geldwäsche mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung dürfte im neuen Jahr eine Einigung zu erwarten sein. In anderen Fällen liegen die politischen Positionen von Union und SPD so weit auseinander, dass nicht absehbar ist, ob sie auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Dies betrifft die Übertragung der Aufsicht über die freien Finanzanlagevermittler auf die BaFin. Der Entwurf passierte bereits im März 2020 das Kabinett und wird seitdem im Bundestag beraten. Rund 38 000 Vermittler wären betroffen. Sie befürchten mit den neuen, von der BaFin erlassenen Pflichten enorme wirtschaftliche Belastungen, die bis zum Aus ihres Geschäfts reichen könnten. Bislang liegt die Aufsicht je nach Bundesland bei den Gewerbeämtern oder den Industrie- und Handelskammern. Während die SPD auf die Aufsicht bei der stark belasteten BaFin dringt, um sie bundesweit zu vereinheitlichen, plädiert die Union für eine bundeseinheitliche, aber weiterhin dezentrale Lösung in den Bundesländern.Offen ist auch der Ausgang zur steuerlichen Behandlung sogenannter Share Deals. Der Entwurf einer Grunderwerbsteuerreform vom SPD-geführten Bundesfinanzministerium aus dem Sommer 2019 will Steuersparmodellen bei Immobilientransaktionen den Garaus machen. Anstelle von Grundstücken und Gebäuden werden bei Share Deals Anteile an einer Gesellschaft übertragen, die diese Immobilie besitzt. Damit fällt keine Grunderwerbsteuer an. Die ins Auge gefassten Regelungen würden jedoch große Kollateralschäden auslösen, etwa bei Unternehmensumstrukturierungen oder börsengehandelten Firmen. Es würden auch Transaktionen steuerlich erfasst, die nicht darauf ausgelegt sind, Steuern zu sparen. Dies wollen CDU/CSU nicht mittragen.Aus dem Koalitionsvertrag ist die Reform der Riester-Rente noch ein offener Punkt. Politisch ist sie inzwischen mit der Einführung der Grundrente verknüpft, ein Anliegen, das die SPD vorantreibt. Bei der CDU/CSU stößt dies auf Vorbehalte. Ob die Riester-Rente in dieser Legislaturperiode noch eine Reformchance hat, steht ebenso in den Sternen wie die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer, deren Einnahmen die umstrittene Grundrente finanzieren sollen.