Grüner Parteitag

Einwechselstimmung

Auf dem Parteitag von Bündnis90/Die Grünen war trotz der großen Zustimmung für die Parteispitze und das Programm wenig von einer historischen Wechselstimmung zu spüren. Die Chancen für eine Einwechslung auf die Regierungsbank im Herbst sind trotzdem gestiegen.

Einwechselstimmung

Fühlt sich so politische Wechselstimmung an? Die Stimmung auf dem Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen, bei dem das Spitzenduo Robert Habeck und Annalena Baerbock sagenhafte 98% Zustimmung erhielt und auch das Parteiprogramm mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde, wirkte trotz der vielfach beschworenen historischen Chance auf das Kanzleramt jedenfalls seltsam gebremst. Wie groß die Anspannung nach der Pannenserie der vergangenen Wochen gerade bei der Spitzenkandidatin ist, konnte man direkt im Anschluss an die von der Parteitagsregie als Höhepunkt eingeplanten, aber wenig mitreißenden Rede Baerbocks hören, als sie ihren Auftritt kurz und bündig selbst bewertete: „Scheiße“, entfuhr es der frischgebackenen Kanzlerkandidatin, während ihr Mikrofon noch geöffnet und sie deshalb für alle Delegierten zu hören war.

Es ist offensichtlich: Die Leichtigkeit bei den Grünen ist kurz vor dem Start in die heiße Wahlkampfphase verflogen. Nach dem Höhenflug in den Umfragen, die sie noch vor wenigen Wochen an der Spitze der Wählgunst sahen, während die Unionsparteien unter anderem wegen Maskenskandalen und dem Streit über ihren Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl abzurutschen drohten, haben für die Herausforderer die Mühen der Ebene begonnen. Doch von atmosphärischen Störungen der Parteitagsregie abgesehen war das zurückliegende Wochenende für die grünen Wahlkämpfer ein Erfolg. Denn die Parteispitze wurde nicht nur durch die eigenen Abstimmungsergebnisse gestärkt, sondern konnte auch bei den meisten der mehr als 3000 Änderungsanträge zum Parteiprogramm ihren Kurs durchsetzen. Die Delegierten folgten Co-Parteichef Robert Habeck auch dann, als er sich dagegen aussprach, den für das Jahr 2023 im Programm vorgesehenen CO2-Preis von 60 Euro auf 80 Euro zu erhöhen.

Im Programmentwurf der Unionsparteien, der gestern die Runde machte, ist von einer Anhebung des nationalen CO2-Preispfades, der für 2023 bisher 35 Euro je Tonne vorsieht, keine Rede. Dafür will die CDU, dass der CO2-Preis schon 2025 im Markt entsteht. Das Programm der Union, die sich seit der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Aufwind befindet und in den Umfragen derzeit wieder vorn liegt, soll nächste Woche vorgestellt werden. Mit ihrer Parteitagsdisziplin haben die Grünen keine neue Stimmung für einen Wechsel im Kanzleramt erzeugt. Ihre Chancen für eine Einwechslung auf die Regierungsbank im Herbst haben sie aber verbessert.

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