Konjunktur

Engpässe heizen Sorgen weiter an

Ökonomen zeigen sich zunehmend alarmiert wegen der anhaltenden Lieferengpässe und Logistikprobleme. Sorgen bereitet nicht nur die langsamere Gangart der Industrie, sondern auch der nicht abebbende Preisdruck. Darunter leidet die Stimmung der Unternehmen im Euroraum.

Engpässe heizen Sorgen weiter an

ba/rec Frankfurt

Die Aussichten für die Euro-Wirtschaft trüben sich angesichts der fortdauernden Materialknappheiten und der wieder zunehmenden Sorgen über eine neue Coronawelle im Herbst immer stärker ein. Dass sich die Wirtschaft im Euroraum spürbar abkühlt, belegt der am Donnerstag veröffentlichte Einkaufsmanagerindex. Da sich für die deutsche Wirtschaft ein ähnliches Bild zeigt, schrauben Bankvolkswirte und Institute ihre Wachstumspro­gnosen für das laufende Jahr sukzessive nach unten, erhöhen sie aber für das kommende Jahr. Sobald sich die Lieferprobleme auflösen würden, so die Erwartung, werde die Produktion nachgeholt. Damit fiele die für das Jahresende prognostizierte kräftige Erholung nicht aus, sondern dürfte sich bloß nach hinten verschieben.

Wie stark die anhaltenden Logistikprobleme den Aufschwung belasten, zeigen Schätzungen des Instituts für Weltwirtschaft (IfW): Demnach kosten sie die deutsche Industrie 40 Mrd. Euro Wertschöpfung in diesem Jahr. Zwar setzen die IfW-Experten darauf, dass „ein großer Teil nachgeholt werden dürfte, sobald die Lieferengpässe überwunden sind“. Allerdings ist unabsehbar, wann sich die Situation entspannt. Allein vor den Häfen von Los Angeles und Ningbo-Zhoushan seien derzeit 6% der weltweiten Frachtkapazitäten gebunden, sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr. „Das ist schlecht für die deutsche Wirtschaftsleistung und treibt die Preise“. Seit Monaten verzeichnen Statistiker auf vorgelagerten Stufen, etwa bei Erzeugern und Importeuren, auf Jahressicht zweistellige Preissprünge. Das schürt Sorgen vor einem anhaltenden Inflationsschub. Das IfW erwartet, dass sich der Teuerungsdruck nur allmählich abbaut und die Inflationsrate erst 2023 die 2-%-Marke wieder unterschreitet. Die Wachstumsprognose für 2021 senkten die IfW-Ökonomen um 1,3 Punkte auf 2,6%, erhöhten sie für 2022 aber um 0,3 Punkte auf 5,1%. Ähnliche Revisionen veröffentlichten dieser Tage die Institute Ifo, DIW, RWI und IWH.

Alarmierende Töne waren auch bei einer Veranstaltung des Berliner Ablegers der Industrieländerorganisation OECD zu vernehmen. „Der Rohstoffmangel zieht sich quer durch alle Branchen“, konstatierte Vera Philipps vom Industrieverband DIHK. Die Situation sei nur schwer durch neue Lieferanten oder Produktionsverfahren zu kompensieren. Für wahrscheinlich hält sie, dass höhere Inflation „die Weltwirtschaft mittel- bis langfristig beschäftigen wird“. Das sei kein temporäres Phänomen. Nicht nur beabsichtigen laut einer DIHK-Umfrage aus dem August circa zwei Drittel der Firmen, höhere Preise an Kunden weiterzureichen. Auch ist mehr als die Hälfte bestrebt, Lagerkapazitäten zu erhöhen – „was noch mal die Preise treibt“.

Die Besorgnis über die hohen Preise, die angespannten Lieferketten und die Widerstandsfähigkeit der Nachfrage angesichts der anhaltenden Pandemie hat die Zuversicht vieler Unternehmen im Euroraum, aber auch in Deutschland getrübt, wie die aktuelle Einkaufsmanagerumfrage zeigt. So ist der kombinierte Index für die Industrie und den Dienstleistungssektor (PMI Composite) laut der Erstschätzung im September um 2,9 auf 56,1 Punkte gefallen – etwas stärker als von Volkswirten im Durchschnitt mit 58,5 Zählern erwartet (siehe Grafik). Der Wert liegt damit aber nicht nur weiter deutlich oberhalb der Marke von 50 Punkten, die wirtschaftliches Wachstum anzeigt, sondern hat sich von dem im Juli mit 60,2 Punkten markierten 15-Jahres-Hoch nicht allzuweit entfernt. Ökonomen erwarten daher im Schnitt, dass die Euro-Wirtschaft im dritten Quartal um 2% zum Vorquartal zulegt, nach +2,2% im zweiten Vierteljahr. Im Schlussabschnitt jedoch werde sich die Dynamik merklich verlangsamen, prophezeien Ökonomen mit Blick auf den nunmehr zweiten Rückgang des PMI Composite in Folge.

Für Chris Williamson, Chefvolkswirt bei IHS Markit, zeigt das Ergebnis der monatlichen Umfrage „eine wenig erfreuliche Kombination aus stark verlangsamtem Wirtschaftswachstum und kräftig steigenden Preisen“. Die Lieferengpässe sorgten für den kräftigsten Anstieg der Einkaufspreise seit September 2000. Da sie vielerorts an die Kunden weitergegeben wurden, kletterten die Verkaufs- bzw. Angebotspreise im September mit der dritthöchsten Rate seit zwei Jahrzehnten, hieß es bei IHS Markit.

Der Blick auf die Details zeigt, dass sich die Stimmungseintrübung quer durch die Sektoren und Länder zieht. So ist der PMI für die Dienstleister um 2,7 auf 56,3 Punkte gefallen, der Index der Industrie sank gleichfalls um 2,7 auf 58,7 Zähler. Während die Industrie wegen der Lieferprobleme trotz voller Auftragsbücher mit der Produktion nicht nachkommt, ebben die Nachholeffekte bei den Dienstleistern nach dem Ende des Sommerurlaubs ab. Auch in Deutschland und Frankreich hat sich die Stimmung weiter verschlechtert, und laut IHS Markit deutet sich für die restlichen von der Umfrage erfassten Länder ebenfalls eine langsamere Gangart an.

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