Energiepolitik

Habeck gibt im Energie­streit Kontra

Der Streit der Ampel-Koalition über den energiepolitischen Kurs eskaliert. Das von Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium hat den Forderungen von Vizekanzler Christian Lindner nach einem sofortigen Ende der Verstromung von Gas eine Absage erteilt.

Habeck gibt im Energie­streit Kontra

BZ Berlin

Im Streit über den energiepolitischen Kurs der Bundesregierung angesichts einer sich abzeichnenden Gasmangellage im Winter hat das von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium die Forderungen von Finanzminister Christian Lindner (FDP) nach einem sofortigen Stopp des Einsatzes von Gas in der Stromerzeugung zurückgewiesen. „Ein völliger Verzicht auf Gas in der Stromerzeugung ist aus Gründen der Sicherheit des Stromnetzes aktuell nicht möglich“, hieß es am Montag aus dem Wirtschaftsministerium.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki wiederum erneuerte die Forderung, die Laufzeit der verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland bis 2024 zu verlängern. Er kritisierte Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang, die am Atomausstieg zum Jahresende festhalten will. Derweil steht das erstes Steinkohlekraftwerk aus der sogenannten Kraftwerksreserve vor der Rückkehr zur Kohleverstromung. Das Kraftwerk Mehrum im niedersächsischen Hohenhameln sei bislang die einzige „Marktrückkehr“ eines Kraftwerks, die der Bundesnetzagentur angezeigt worden sei, teilte die Behörde der Deutschen Presse-Agentur mit.

Am Wochenende war der seit Wochen schwelende Streit innerhalb der Ampel-Koalition über die nötigen energiepolitischen Weichenstellungen angesichts stark reduzierter Gaslieferungen aus Russland eskaliert. „Wir müssen daran arbeiten, dass zur Gaskrise nicht eine Stromkrise kommt“, erklärte FDP-Chef Lindner in der „Bild am Sonntag“. Gas dürfe nicht zur Erzeugung von Strom genutzt werden, wie das immer noch passiere, sagte der Finanzminister. „Robert Habeck hätte die gesetzliche Ermächtigung, das zu unterbinden“, ermahnte Lindner den Koalitionspartner. Es spreche viel dafür, die restlichen Kernkraftwerke nicht zum Jahresende abzuschalten, „sondern nötigenfalls bis 2024 zu nutzen“, sagte Lindner weiter. Lang stellte im ZDF klar: „Das wird es mit uns auf jeden Fall nicht geben.“

Systemrelevante Kraftwerke

Gaskraftwerke, die nach Angaben des Informationsportals Energy-Charts im Juli rund ein Zehntel der öffentlichen Nettostromerzeugung in Deutschland ausmachten, seien kurzfristig unverzichtbar zur Deckung von Lastspitzen, teilte das Wirtschaftsministerium am Montag mit. Ein Großteil der Stromerzeugung erfolge ohnehin als Nebenprodukt im Rahmen von industriellen Wärmeanwendungen durch Kraft-Wärme-Kopplung, hieß es weiter. Würde man die Stromerzeugung in diesen Anlagen verbieten, wären Produktionsstilllegungen in der Industrie und Ausfälle bei der kommunalen Wärmeversorgung die Folge, warnte das Wirtschaftsministerium. „Es gibt systemrelevante Gaskraftwerke, die mit Gas versorgt werden müssen. Bekommen sie kein Gas, kommt es zu schweren Störungen. Das ist leider die Realität der Stromsystems, die man kennen muss, um die Versorgungssicherheit herzustellen“, sagte ein Sprecher Habecks. Da, wo Gas aber in der Stromerzeugung ersetzt werden könne, müsse es ersetzt werden – und daran werde längst mit Hochdruck gearbeitet.

So hat die Bundesregierung die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Steinkohlekraftwerke wie das in Mehrum seit dem 14. Juli zeitlich befristet in den Strommarkt zurückkehren können. Per 1. Oktober wird auch eine Reserve von Braunkohlekraftwerken reaktiviert. Schließlich soll eine Gaseinsparverordnung verhindern, dass Erdgas unnötig verstromt wird.

Eine Verlängerung der Laufzeit der drei am Netz verbliebenen Atomkraftwerke ist noch nicht vom Tisch. Das Wirtschaftsministerium hat bereits zum zweiten Mal eine Prüfung des Strombedarfs im Winter eingeleitet und auch Umweltministerin Steffi Lemke hat signalisiert, nötigenfalls eine Verlängerung der Laufzeiten in Betracht zu ziehen, um die Stromversorgung zu gewährleisten. Es sei möglich, die Kraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 bis zum Frühjahr im Streckbetrieb mit reduzierter Leistung Strom erzeugen zu lassen, erklärte die ebenfalls noch ans Netz angeschlossene Lobbygruppe Kerntechnik Deutschland gegenüber Bloomberg. Dadurch wären sie nicht auf neue Brennstofflieferungen angewiesen und böten eine Alternative zu Gas.