Finanzplatz

Hongkong tut sich schwer mit Charmeoffensive

Bemühungen, das schwer kompromittierte Standortklima aufzuhellen, laufen ins Leere. Gegenüber Singapur droht der Finanzplatz Hongkong weiter an Attraktivität zu verlieren. Die Ungeduld wächst.

Hongkong tut sich schwer mit Charmeoffensive

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Hongkongs neuer Regierungschef John Lee ist mit seiner ersten Programmrede zur Wirtschaftspolitik der chinesischen Sonderverwaltungszone und zur Wiederbelebung des unter die Räder gekommenen internationalen Finanzplatzes auf wenig Beifall in der Investorengemeinde gestoßen. Zum einen ließ die fast dreistündige Ansprache des Anfang Juli angetretenen Hongkonger Chief Executive konkrete Signale für eine Lockerung bestehender Corona-Restriktionen in der 7,5-Millionen-Metropole vermissen. Zum anderen vermögen Analysten keinerlei neue Ansätze zu erkennen, die einen Ausweg aus den akuten und strukturellen Wirtschaftsproblemen des unter manifester Konjunkturschwäche leidenden Hongkong aufzeigen. An der Hongkonger Börse wurde die Regierungserklärung denkbar schlecht aufgenommen und ließ den Leit­index Hang Seng um 2,4% auf ein neues Elfjahrestief ab­sacken.

Der weder über Regierungserfahrung noch über einen wirtschaftlichen Hintergrund verfügende Lee hatte nach den Hongkonger Unruhen des Jahres 2019 als eine Art Sicherheitschef im Pekinger Auftrag für die Umsetzung der drakonischen neuen Gesetzgebung zur Verfolgung von Oppositionellen und Regimekritikern gebürgt und wurde dann als einziger von Peking zugelassener Kandidat zum Regierungschef für die kommenden fünf Jahre „gewählt“. Seitdem versucht Lee eine Gratwanderung hinzubekommen: Im Vordergrund steht eine knallharte Durchsetzung des chinesischen Sicherheitsgesetzes, das die vormals gewohnten bürgerlichen Freiheiten der Hongkonger de facto abschafft. Gleichzeitig soll signalisiert werden, dass das Handels- und Finanzzentrum seine Rolle als Chinas Tor zur Welt nicht eingebüßt hat. Als besonders heikel gilt dabei die Corona-Schutzpolitik. Sie soll einen Kompromiss darstellen zwischen den ultraharten Res­triktionen auf dem chinesischen Festland und den Erfordernissen einer stark auf Auslandskontakt angewiesenen „offenen Volkswirtschaft“ , wie sie Hongkong ist.

Lockerungen für Reisen

Die wachsende Ungeduld in der Hongkonger Finanzgemeinde über die wirtschaftlich verheerende Abschottung durch Corona-Restriktionen hatte Ende September zu einem Durchbruch geführt, der es erstmals seit zwei Jahren ausländischen Besuchern wieder möglich macht, ohne Zwangsquarantäne nach Hongkong einzureisen. Dennoch wird das Alltagsleben von zahlreichen Corona-Schutzbestimmungen und zunehmenden politischen Restriktionen bestimmt, die die Attraktivität Hongkongs als Investitionsstandort und Finanzzentrum schwer kompromittieren und sowohl Expats wie auch Einheimische in Scharen abwandern lassen.

In den vergangenen zwei Jahren haben etwa 140000 ausgebildete Fach- und Managementkräfte Hongkong verlassen, wobei ein signifikanter Teil der Abwanderung in der Finanzbranche auf eine Übersiedlung nach Singapur hinausläuft. Der südostasiatische Stadtstaat hat im Einklang mit den Entwicklungen in westlichen Ländern früh in diesem Jahr sämtliche Corona-Beschränkungen aufgegeben und empfiehlt sich immer mehr als von der chinesischen Politik unberührte asiatische Finanzplatzalternative mit günstigen Standortbedingungen für ausländische Investoren.

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