Lieferengpässe

Ifo: Material­mangel dauert länger an

Da die anhaltenden Materialknappheiten teils auch strukturell bedingt sind, wird die deutsche Industrie damit noch länger zu kämpfen haben. Renationalisierung ist aber auch keine Lösung: Sie kostet 10% des Wohlstands.

Ifo: Material­mangel dauert länger an

ba Frankfurt

Die deutsche Industrie wird einer neuen Ifo-Studie zufolge noch länger unter Materialknappheiten leiden. Wesentliche Ursachen seien zwar die Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges. Aber „zum Teil spiegeln sich darin dauerhafte Entwicklungen wider, die Folge weltweiter Änderungen in der Produktionsstruktur sind – etwa der zunehmende Bedarf an Halbleitern oder an Industrie-Rohstoffen,“ schreibt Ifo-Forscher Joachim Ragnitz. Daher sei es keineswegs selbstverständlich, dass sich die Beschaffungsprobleme in absehbarer Zeit auflösen werden.

Die Faktoren, die langfristig und dauerhaft für Versorgungsengpässe bei Vorprodukten sorgten, seien teils angebotsseitig bedingt, teilweise aber auch nachfrageseitig oder politisch: Ragnitz zählt dazu etwa die zunehmenden demografischen Probleme, die den Fachkräftemangel verschärfen und die Produktion behindern. Außerdem bestehe die Gefahr, dass China bei bestimmten Rohstoffen eine Verknappung oder Preissteigerungen auslöse. Auch die Dekarbonisierung könne die Produktion in Deutschland zu teuer machen. Zudem könne das EU-weit geltende Lieferkettengesetz, dessen Einführung die EU-Kommission vorbereitet, die Kosten für Unternehmen erhöhen oder den Bezug von bestimmten Lieferanten unmöglich machen.

Um negative Folgen für den Industriestandort Deutschland zu vermeiden, müssten die Unternehmen neue bzw. zusätzliche Lieferanten finden, die Lagerhaltung erhöhen, die Informationsbasis über die tatsächliche Herkunft von Vorleistungsgütern verbessern oder besonders knappe Vorleistungsgüter sub­stituieren, so Ragnitz. Der mit der Verknappung von Vorleistungen einhergehende Kostenanstieg bei diesen Gütern liefere den notwendigen Anreiz hierfür und sollte daher nicht unterbunden werden.

Marktaustritte seien zwar nicht auszuschließen, weil die Produktion bestimmter Endgüter hierzulande wegen der zu teuren oder nicht mehr zur Verfügung stehenden Vorleistungen eingestellt würde. Dies bedeute aber nicht, dass es deswegen zu Versorgungsengpässen kommen müsse. Im Regelfall werde es immer Länder geben, die als Lieferant einspringen könnten, heißt es in der Studie.

Völlig falsch sei, wenn nun mit politischer Unterstützung an einer „Deglobalisierung“ gearbeitet werden würde, also der Rückführung weltumspannender Lieferketten. Für den Fall einer solchen Renatio-­­na­lisierung der Vorleistungsproduktion rechnet das Ifo-Institut hierzulande mit Wohlstandsverlusten von wenigstens 10%. Wobei noch nicht berücksichtigt sei, dass Deutschland auch auf der Absatzseite von der internationalen Arbeitsteilung und offenen Märkten profitiert. Beinahe 50% der Umsätze der deutschen Industrie werden im Ausland erzielt.

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