WSI-Tarifarchiv

Inflation frisst EU-weit Lohn­wachstum auf

Die Reallöhne dürften dieses Jahr laut einer Studie gewerkschaftsnaher Ökonomen sinken. Sie fordern von Unternehmen „Gewinnzurückhaltung“, statt Angst vor einer Lohn-Preis-Spirale zu schüren.

Inflation frisst EU-weit Lohn­wachstum auf

ast Frankfurt

Die hohe Inflation in der EU dürfte in diesem Jahr zu einem deutlichen Reallohnverlust in allen EU-Staaten führen. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung schätzt in seinem Tarifbericht, dass die Reallöhne um 2,9% sinken. Die Forscher schreiben zudem, dass es derzeit keine Anzeichen für „eine sich überhitzende Lohndynamik“ gebe. Eine von Ökonomen und Politik gefürchtete Lohn-Preis-Spirale, bei der sich steigende Preise auf das Lohnwachstum auswirken und dieses wiederum die Preise weiter nach oben treibt, ist laut WSI nicht zu erwarten.

Angesichts der aktuellen Preissteigerungsraten in Europa bleibt die Entwicklung der effektiven Bruttolöhne EU-weit auf der Strecke. In Deutschland stiegen die Nominallöhne Daten der EU-Kommission zufolge im vergangenen Jahr um 3,4% – und lagen damit deutlich unter der Teuerungsrate. Für 2022 zeichnet sich für Deutschland eine ähnliche Entwicklung ab, und auch das EU-weite Nominallohnwachstum dürfte mit etwa 3,7% moderat bleiben.

Wie die Studienautoren Malte Lübker und Thilo Janssen in der Tarifstudie analysieren, machen viele Unternehmen hohe Gewinne und schütten Milliarden an Dividenden aus. „Das laufende Jahr könnte damit von einer Umverteilung zulasten der Beschäftigten geprägt sein – eine Entwicklung, die sich in einer sinkenden Lohnquote niederschlägt“, heißt es in der WSI-Studie. „Spiegelbildlich führt dies zu einem höheren Anteil der Unternehmens- und Vermögenseinkommen am Volkseinkommen.“

Die Autoren kommen daher zu dem Schluss, dass hohe Lohnforderungen besonders in Branchen mit guter Gewinnentwicklung berechtigt und für die Unternehmen stemmbar seien – auch in einem Umfeld steigender Weltmarktpreise für Vorprodukte und importierte Energieträger. „Einseitige Forderungen an die Gewerkschaften, im übergeordneten Interesse auf Lohnsteigerungen zu verzichten, greifen zu kurz und verkennen die Ursachen der momentanen Preisdynamik“, analysieren Lübker und Janssen. „Angebrachter wäre ein Appell an die Unternehmen, ihrerseits ‚Gewinnzurückhaltung‘ zu üben“, finden sie.

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