Italien

Kabinett verabschiedet Haushalt

Der Widerstand gegen die Politik von Italiens Premierminister Mario Dra­ghi wird innerhalb seiner eigenen Regierung immer stärker. Besonders deutlich wurde dies vor der Verabschiedung des Haushalts für 2022 gestern im Kabinett.

Kabinett verabschiedet Haushalt

Von Gerhard Bläske, Mailand

Der Widerstand gegen die Politik von Italiens Premierminister Mario Dra­ghi wird innerhalb seiner eigenen Regierung immer stärker. Besonders deutlich wurde dies vor der Verabschiedung des Haushalts für 2022 gestern im Kabinett. Vor allem im Hinblick auf das Ende der großzügigen Vorruhestandsregeln musste Draghi zurückrudern.

Draghi konnte den Haushalt – wie geplant – mit defizitfinanzierten Mehrausgaben von 23,4 Mrd. Euro durchbringen. Davon gehen 8 Mrd. Euro in Steuersenkungen. Wegen des regierungsinternen Streits wurde aber noch nicht festgelegt, welche Steuern gesenkt werden sollen. Das soll im Laufe der parlamentarischen Debatte entschieden werden. Weitere 4 Mrd. Euro fließen in das Gesundheitswesen, 3 Mrd. Euro in soziale Maßnahmen wie die Verlängerung von großzügigen Kurzarbeitsregelungen und 2 Mrd. Euro in die Senkung der hohen Energiekosten. Dank des hohen Wachstums von 6% in diesem Jahr sollen das Defizit dennoch von 9,4% auf 4,3% im kommenden Jahr und die Schulden von 153,5% auf 149,4% sinken.

Heftig umstritten war bis zuletzt die Ende 2018 von der Populistenregierung von Lega und 5-Sterne-Bewegung eingeführte Vorruhestandsregelung, die das Renteneintrittsalter von 67 auf 62 Jahre herabsetzte – bei 38 Beitragsjahren. Damit sollten neue Jobs geschaffen werden. Draghi wollte das Rentenalter bis 2025 in Stufen wieder auf 67 Jahre anheben. Dabei stieß er auf massiven Widerstand der Lega, der Gewerkschaften und sogar des sozialdemokratischen PD. Nun soll das Renteneintrittsalter 2022 auf 64 steigen. Dann soll neu verhandelt werden.

Die großzügige Vorruhestandsregelung hat Rom bisher 11,8 Mrd. Euro gekostet und Anstrengungen, die Kosten der Altersvorsorge zu reduzieren, um mehr als 20 Jahre zurückgeworfen. Die Beschäftigungsquote unter den 15- bis 64-Jährigen ist auf 58% gesunken – einen der niedrigsten Werte unter den Industrieländern. Italiener gehen durchschnittlich mit 61 in Rente, und das Land gibt 15,7% des Bruttoinlandsprodukts für die Rente aus – mit steigender Tendenz. Die Industrieländerorganisation OECD hat Rom wiederholt aufgefordert, die teuren Vorruhestandsregeln zu beenden. Im Haushalt 2022 sind weitere 600 Mill. Euro für die Frühverrentung von Frauen und bestimmter Berufssparten vorgesehen.

Wie vergiftet das Klima in der breiten Regierungskoalition ist, zeigt die Tatsache, dass der Senat in einer geheimen Abstimmung mit den Stimmen der Regierungspartei Lega die Einführung eines Gesetzes gegen Homophobie abgelehnt hat, das von dem ebenfalls in der Regierung vertretenen PD und den 5 Sternen unterstützt worden war. Draghi will zwar endlich das immer noch nicht umgesetzte Gesetz zur Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte (Bolkestein-Richtlinie) einführen, stößt jedoch auch hier auf Widerstand der Lega und hat das Vorhaben wiederholt aufgeschoben. Nun soll insbesondere die Neuausschreibung der Konzessionen für Strandbäder ausgeklammert werden.

Festhalten will Draghi dagegen an dem ebenfalls 2018 von der Lega und den 5 Sternen eingeführten Bürgergeld, dessen Kosten Experten auf bisher deutlich mehr als 10 Mrd. Euro schätzen. Es sollte „die Armut abschaffen“, was aber nicht gelang. Es verleitete vor allem zu Betrug. Statt Arbeitslosigkeit zu beseitigen, förderte es eher die Schwarzarbeit. Draghi will das Bürgergeld nun reformieren. Die Unterstützung soll schneller gekürzt werden, wenn die Bezieher Jobangebote wiederholt ablehnen.

In Italien wird spekuliert, Draghi könnte angesichts des wachsenden Widerstands amtsmüde sein und im Frühjahr für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren. Es ist jedoch kein anderer Regierungschef vorstellbar, der national oder international über eine ähnliche Glaubwürdigkeit verfügt. Für Italien würde ein Ende der Regierung Draghi wohl eine Rückkehr zur Instabilität bedeuten.