Konjunktur

Russland zahlt hohen wirtschaftlichen Preis

Seit Russland 2014 mit der Ukraine und dem Westen in Konflikt getreten ist, zahlt es dafür wirtschaftlich einen hohen Preis. Das Land befindet sich in einer längeren Stagnation als unter Breschnew.

Russland zahlt hohen wirtschaftlichen Preis

Russland zahlt hohen wirtschaftlichen Preis

„Verlorenes Jahrzehnt“ unter Kreml-Chef Wladimir Putin – Durchschnittliches Wachstum von 1 Prozent jährlich

est Moskau

Wenn Wladimir Putin im Jahr 24 seiner Herrschaft nun wiedergewählt wird, fehlt ihm zeitlich zwar noch einiges auf Langzeitherrscher Josef Stalin. Dafür hat er inzwischen den langjährigen Sowjetchef Leonid Breschnew in einem anderen zweifelhaften Kriterium überholt: in der Stagnation.

Längst wird der Kreml-Chef mit dem wirtschaftlichen Stillstand der 70er Jahre assoziiert. Man spreche von einem verlorenen Jahrzehnt seit 2013, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), zur Börsen-Zeitung. Dabei passt der Befund so gar nicht ins Bild, das Putin selbst gern zeichnet. Und er passt auch nicht zum vorjährigen Wachstum von 3,5%, das sich den hohen Ausgaben für Rüstung verdankt und Russlands Resilienz gegenüber westlichen Sanktionen zeigen soll. Kurzfristig ist Russland tatsächlich fein raus. Auf die Sicht von zehn Jahren freilich kann Putin auf keinen wirtschaftlichen Erfolg verweisen. „Seit 2013 beträgt das durchschnittliche Wachstum ungefähr 1% pro Jahr“, erklärt Igor Lipsiz, Gründer der Moskauer Wirtschaftsuniversität HSE, im Gespräch.

Auch bei den real verfügbaren Einkommen sieht es nicht besser aus. „Zwischen 2013 und 2019 fielen sie um 6%“, sagt Natalja Subarewitsch, Ökonomin der Moskauer Staatlichen Universität (MGU), zur Börsen-Zeitung. „Dann kam das Covid-Jahr, dann 2022 der Beginn der sogenannten Spezialoperation in der Ukraine. Wir sind noch nicht auf das Niveau von 2013 zurückgekehrt.“ Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ein ähnliches Bild. Es sei in den zehn Jahren seit 2013 nur um 5% gewachsen, schreibt das russische Online-Wirtschaftsmedium „The Bell“ in einer Analyse: Habe es vor der proeuropäischen Revolution in der Ukraine Ende 2013 nur um 2% unter dem globalen BIP pro Kopf gelegen, so habe sich der Abstand zehn Jahre später verfünffacht.  

Das Jahrzehnt der putinschen Stagnation folgt auf die starken Nullerjahre, in denen wirklich Wohlstand aufgebaut worden ist. Der hohe Ölpreis hatte im Verein mit einigen Wirtschaftsreformen durch Putin damals Wachstumsraten von jährlich bis zu 8% gebracht.

Allein, 2013 stotterte der Motor bereits gehörig, weil das ölpreisgetriebene Wachstumsmodell erschöpft und ein investitionsgetriebenes Wachstumsmodell nicht geschaffen worden war. Als dann Mitte 2014 auch noch der für Russland so entscheidende Ölpreis abstürzte, schrumpfte die Wirtschaft und kam auf keine nennenswerten Wachstumsraten mehr, ehe sie im Corona-Jahr 2020 um 2,7% einbrach.

Viele Ursachen

Die Stagnation hat demnach viele Ursachen und nicht nur den politischen Kurs gegenüber der Ukraine. Vereinzelte Zahlen geben aber immerhin eine Ahnung von den finanziellen Folgen. So werden die direkten Ausgaben aus dem Budget allein für die annektierte Krim auf jährlich 200 Mrd. Rubel (2 Mrd. Euro) geschätzt. Die westlichen Sanktionen haben die Kreditaufnahme für einige russische Konzerne im Westen erschwert, und Russlands Embargo gegen westliche Agrargüter haben die Lebensmittel verteuert. Gewiss, im Gegenzug wurde die einheimische Produktion angekurbelt. Dafür begannen die ausländischen Direktinvestitionen nach 2013 abzunehmen.

WIIW-Experte Astrov weist indes noch auf einen anderen, „wirklich wichtigen Grund für die Stagnation hin – und zwar, dass Russland über die Jahre eine restriktive Wirtschaftspolitik verfolgte, die Schulden reduzierte, ein großes Budgetdefizit vermied und Reserven aufbaute“. Ab 2018 sprang dieser Sparkurs ins Auge. „Russland bereitet sich auf einen Wirtschaftskrieg vor“, sagte Oleg Wjugin, Ökonom und Ex-Vizechef der russischen Zentralbank, Anfang 2019 denn auch im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Das Volk nahm das auf seine Art in Kauf, wie der russische Soziologe Alexej Lewinson kürzlich erklärte: „Wir leben zwar schlecht, aber wir sind ein mächtiges Land.“

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.